Verglichen mit der mondänen weitläufigen Flucht im Kanzleramt ist das neue Büro von Angela Merkel eine bescheidene Hütte. Eher überschaubar in den Dimensionen jedenfalls. Es sieht aus wie ein Büro und ist nicht groß wie ein Ballsaal, wie ihre bisherige Arbeitsstätte im Kanzleramt.
Die Adresse von Merkels neuer Dependance ist ordentlich repräsentativ – Unter den Linden 71. Aber das bekannte Gebäude mit den vielen Säulen im Erdgeschoss ist verglichen mit dem Kanzleramt doch eher unscheinbar und vor allem ist es alt. Helmut Kohl hatte hier nach seinem Ausscheiden aus dem Amt auch schon sein Büro. Zu DDR-Zeiten agierte dort Margot Honecker.
Weniger bescheiden ist allerdings die Ausstattung mit neun Mitarbeitern. Für deren Gehälter müssen aus dem Staatshaushalt von jetzt an jeden Monat zusammen genommen etwa 50.000 Euro bezahlt werden. Auf Lebenszeit der Bundeskanzlerin a.D.
Es hat schon einigen Ärger in dieser Sache gegeben. Im November, kurz vor Weihnachten, als die Zahl der Mitarbeiter bekannt wurde, hatten sich einige mal kurz aufgeregt. Gesine Lötzsch zum Beispiel, Haushaltsexpertin der Linken. Sie ärgert sich immer noch. Das sei „Selbstbedienungsmentalität“, sagt sie. „Niemand verlangt, dass Frau Merkel keine Ansprüche mehr haben soll, aber das widerspricht eindeutig dem, was der Haushaltsausschuss beschlossen hat. Die Ausstattung muss angemessen sein und auch dem Beschluss entsprechen“, sagt Lötzsch.
Der Haushaltsausschuss hatte 2019 die personelle Ausstattung der Bundespräsidenten und Bundeskanzler nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt deutlich beschnitten. „Die personelle Ausstattung der Büros zukünftiger Bundespräsidenten und Bundeskanzler nach dem Ausscheiden aus dem Amt erfolgt aus dem öffentlichen Dienst im Sinne der Abordnung. Die Personalausstattung beschränkt sich maximal auf einen Büroleiter mit einer Planstelle/Stelle bis zur Wertigkeit B3/AT B3, zwei Referentenstellen bis zu einer Wertigkeit A14/E14, eine Büro- oder Schreibkraft sowie einen Chefkraftfahrer. Nach fünf Jahren entfällt eine Referentenstelle“, heißt es im Beschluss.
Es sollen also nur noch fünf Mitarbeiter sein und nicht neun, wie jetzt bei Merkel. Die Höhe der Gehälter soll sinken. Zumindest für den Büroleiter oder die Büroleiterin fallen dann nach Besoldungstarif für Bundesbeamte nur noch jeweils 8600 Euro pro Monat an. Merkels Büroleiter bekommt aber über 10.000 Euro monatlich, der oder die Stellvertreterin ebenso. Für sie gilt der Tarif B6.
Nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses hatte man eigentlich angenommen, dass sich für zukünftige Kanzler und Kanzlerinnen a.D. wie auch für Bundespräsidenten und Bundespräsidentinnen nach ihrem Ausscheiden einiges ändert. Zusätzliche Einkünfte sollen laut Beschluss vom Ehrensold abgezogen, die Akten nach den Regeln des Bundes geführt werden. Die Räume dürfen nicht irgendwo angemietet, sondern müssen aus dem Bestand der Bundestagsverwaltung sein. Es gibt Regeln für die Ausstattung, die IT-Einbindung, die Reisekosten, den Objektschutz auch am privaten Wohnsitz, personenbezogene Dienstwagen und Fahrer. Reisekosten für private Begleiter dürfen nicht übernommen werden.
Aber nun wurde bei Merkel wieder nach den deutlich großzügigeren Gepflogenheiten aus der Zeit vor dem Beschluss verfahren. Merkels Ausstattung wurde „durchgedrückt“, formuliert Gesine Lötzsch. „Wir haben uns damals in einer Arbeitsgruppe intensiv mit dem Thema befasst. Jetzt wird behauptet, das gelte alles erst nach Merkel, aber das stimmt nicht. Die FDP hatte damals ausdrücklich verlangt, dass alles ab sofort gelte. Jetzt hat die Koalition der Regierung aber einen Freundschaftsdienst erwiesen und die Wünsche von Frau Merkel gemeinsam mit der CDU durchgewunken“, sagt Gesine Lötzsch.
Kurz vor Jahresende hatte die Parlamentarische Staatssekretärin Bettina Hagedorn die Wünsche in einem zweiseitigen Schreiben dem Haushaltsausschuss vorgelegt. „Für die Ausbringung der neuen Planstellen und Stellen besteht ein unabweisbarer, auf andere Weise nicht zu befriedigender Bedarf“, heißt es darin. Die künftige Bundeskanzlerin a.D. werde im Bundesinteresse liegende Aufgaben wahrnehmen, die aus fortwirkenden amtlichen Pflichten resultieren. Die Stellen werden im Verteidigungsministerium eingespart. „Frau Merkel umgibt ein Image der Bescheidenheit. Aber damit ist es wohl vorbei“, kommentiert Lötzsch.
Das mit der Bescheidenheit ist bei ehemaligen Kanzlern, Bundespräsidenten und Bundestagspräsidenten ohnehin so eine Sache. Über die Jahre ist die finanzielle und personelle Ausstattung immer weiter angewachsen. Wenig ist vernünftig geregelt. Fast alles wird mit dem einfachen Beschluss des Haushaltsausschusses abgesegnet.
Der Bundesrechnungshof hatte das Prozedere 2019 bereits umfassend untersucht und kritisiert. Es geht um den Ehrensold, Personal, Schutz, Material, Mieten, Reisen. „Die Gründe für die Ausstattung von Bundeskanzlern a.D. mit Büros und Personal scheinen im Lauf der Zeit in Vergessenheit geraten zu sein“, heißt es im Teilbericht Bundeskanzler. Es habe sich ein Automatismus entwickelt, „der weder hinsichtlich seiner ursprünglichen Begründung noch nach den Grundsätzen von Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hinterfragt wurde“. Der Bundesrechnungshof kritisierte auch, dass das Bundeskanzleramt bislang kein genaues Bild von den Aufgaben der Büros hatte und den bisherigen Automatismus der „lebenslangen Vollausstattung“ nicht hinterfragte. „Wenn Bundeskanzler a.D. zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen kein Büro mehr führen können, sollte dieses geschlossen werden.“ Der Rechnungshof empfahl dringend neue Regelungen.
Und Merkel ist ja nicht allein. Die Probleme gibt es seit Jahrzehnten. Aktuell sind zwei Alt-Kanzler zu versorgen, drei ehemalige Bundespräsidenten und vier frühere Bundestagspräsidenten. Allein für die beiden Kanzler a.D. kommen jedes Jahr Kosten in Höhe von etwa fünf Millionen Euro zusammen – 1,3 Millionen fürs Personal, 1,2 Millionen für Personenschutz durch BKA-Beamte, 500.000 Euro für Material, Mieten, Dienstreisen und jeweils eine Million für Schutzmaßnahmen an Gebäuden. Die Zahlen sind dem Bericht des Rechnungshofs entnommen, der sich auf das Prüfungsjahr 2012 bezieht. Die tatsächlichen Beträge dürften heute also höher liegen.
Ein Blick in die Historie der Versorgung der ehemaligen Staatsspitzen zeigt, wie das System immer weiter ausuferte. „Mit der Verdoppelung des ursprünglichen Ehrensoldes auf die volle Höhe der Amtsbezüge eines Bundespräsidenten hatte der Gesetzgeber im Jahr 1959 bezweckt, den Bundespräsidenten a.D. die Möglichkeit zu geben, die Aufwendungen für ein Büro zu bestreiten, um sogenannte fortwirkende Amtspflichten zu erfüllen“, schreibt der Rechnungshof im Teilbericht Bundespräsidenten. Im Lauf der nachfolgenden Jahrzehnte habe sich aber eine zusätzliche regelmäßige Ausstattung entwickelt.
Ähnlich klingt es bei den Kanzlern a.D. „In den Jahren von 1988 bis 2015 stiegen die jährlichen Personalkosten für die Büros der Bundeskanzler a.D. von 244.909 Euro auf 1.328.460 Euro (542 % des Ausgangswerts). Die Büros wurden bislang auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt und existierten damit bis zu drei Jahrzehnte“, heißt es im Bericht.
Anlässlich der Debatte um Merkels Büro wollte die AfD-Fraktion kürzlich wissen, was der Sinn hinter der Ausstattung sei. „Es entspricht einer langjährigen Staatspraxis, dass Bundeskanzlern außer Dienst ein Büro zur Verfügung gestellt wird, um bei der Erfüllung der nachwirkenden Amtspflichten zu unterstützen. Auch vorherigen Bundeskanzlern wurde daher nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt aus vorgenannten Gründen ein Büro und Personal zur Verfügung gestellt“, antwortet die Bundesregierung.
Das erklärt allerdings noch nicht, warum der Beschluss zur Veränderung von 2019 nun noch einmal ignoriert wurde. Gesine Lötzsch sagt: „Man bräuchte ein Gesetz. Ein Gesetz für die Versorgung und Ausstattung der Büros der ehemaligen Kanzler, Bundespräsidenten und Bundestagspräsidenten, finde ich richtig. Einem solchen Gesetz würde sich meine Fraktion nicht verschließen.“ Selbst will sie aus Kapazitätsgründen allerdings keinen Entwurf erarbeiten.
Die Grünen haben schon einmal – 2019 – eine gesetzliche Regelung erarbeitet. Ihre Vorschläge muten im Vergleich mit der nun wieder fortgeschriebenen Realität geradezu spartanisch an. Für die Dauer von bloß fünf Jahren sollten Kanzlerinnen und Kanzler a.D. „ausgestattete und gesicherte Büroräume bis zu einer Gesamtgröße von 75 Quadratmetern in den gesicherten Liegenschaften des Bundes“ nutzen dürfen. Die Grünen wollten den Ex-Staatschefs zwei Mitarbeiter unter Amtsaufsicht des Kanzleramts zubilligen und „die Nutzung der Fahrbereitschaft der Bundesregierung im Rahmen ihrer Verfügbarkeit“. Bei fortwirkenden Amtsaufgaben hätte es die Möglichkeit auf Verlängerung für weitere drei Jahre gegeben – auf Antrag bei der Bundesregierung.
Der Entwurf wurde allerdings nie beschlossen und entfiel mit dem Ende der Legislatur. Die Fraktion teilt mit, sie werde das Thema in dieser Wahlperiode noch mal angehen.