Inflation auf Rekordhöhe
Kommt in diesem Jahr also das von Sparern langersehnte Ende der Negativzinsen? Derzeit sieht es so aus. Im Nachgang der Sitzung des EZB-Rats Anfang Februar haben Banken ihre Zinsprognosen teilweise deutlich angehoben. Sollten sich die gegenwärtigen Erwartungen erfüllen, würden die Einlagenzinsen für Geschäftsbanken im zweiten Halbjahr von derzeit minus 0,5 Prozent auf dann 0 Prozent klettern. Der Einlagensatz hat in den vergangenen Jahren die Funktion des Leitzinses übernommen und hatte bei null verharrt. Danach könnten auch die eigentlichen Leitzinsen, gemessen am sogenannten Hauptrefinanzierungssatz der EZB, von derzeit 0 Prozent langsam steigen.
Entgegen den Erwartungen der Notenbank-Ökonomen und vieler Marktteilnehmer ist die Teuerung im Januar nicht etwa gesunken, sondern sogar weiter gestiegen. Für den Euro-Raum lag sie bei 5,1 Prozent, das ist der höchste Wert seit der Einführung der Währungsunion vor mehr als zwanzig Jahren. In den Mitgliedsländern Litauen und Estland erreichte die Teuerung sogar rund 12 Prozent. Würde die EZB zu lange ihr Inflationsziel von mittelfristig 2 Prozent verfehlen, könnten sich die langfristigen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer aus ihrer Verankerung lösen, was die Notenbank tunlichst vermeiden will.
Revisionen der Banken
Angesichts dieser Zahlen fällt es den Ratsmitgliedern immer schwerer, Gelassenheit vorzutäuschen. Diesen Eindruck hat man auch an den Finanzmärkten, wie die Entwicklung der ESTR-Forwards zeigt. Als beispielhaft für die Anpassung der Erwartungen an den Börsenplätzen kann man die Revision des Zinsausblicks der Ökonomen der UBS sehen. Die Schweizer Grossbank erwartet, dass beim nächsten EZB-Treffen am 10. März das Ende der Anleihekäufe zum 31. August beschlossen wird.
Danach prognostizieren die Ökonomen zwei Zinsschritte um jeweils 25 Basispunkte im September und im Dezember. Anschliessend werden aus Sicht der Bank weitere Zinserhöhungen um 75 Basispunkte im Jahr 2023 und 25 Basispunkte 2024 auf dann 1 Prozent erfolgen. Bisher hatte die UBS mit dem ersten Zinsschritt der EZB frühestens im Juni 2023 gerechnet.
Etwas vorsichtiger sind die Experten der DZ Bank. Bei Deutschlands zweitgrösster privater Geschäftsbank rechnen die Ökonomen mit einer Einstellung der Anleihekäufe per Ende September und dann mit zwei kleinen Zinsschritten auf –0,25 Prozent bis Jahresende, wobei die erste Zinserhöhung nur zehn Basispunkte ausmachen könnte.
Derzeit gehen viele Beobachter ferner davon aus, dass die EZB nicht wie bisher angekündigt das allgemeine Anleihekaufprogramm (APP) im April von 20 Milliarden auf 40 Milliarden Euro erhöhen wird, sondern es bei den bisherigen 20 Milliarden pro Monat belässt. Das Auslaufen der Pandemie-Notfallkäufe hatte die EZB für Ende März angekündigt.
Die Erwartungen der Marktteilnehmer haben sehr schnell gedreht. Während sie zu Jahresbeginn im Durchschnitt bis Dezember mit einem Zinsanstieg um zehn Basispunkte gerechnet hatten, sind es derzeit wie erwähnt 50 Basispunkte. Vor allem Familien und Paare dürfen sich darüber freuen, dass die EZB sich wohl endlich dem Kampf gegen die hohen Teuerungsraten widmen wird.
Zinsschritt im 4. Quartal?
Laut einer Analyse der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung tragen kinderlose Paare mit mittleren Einkommen derzeit mit 5 Prozent die höchste Inflationsbelastung, gemessen an dem für diesen Haushaltstyp repräsentativen Warenkorb. Gleich dahinter folgen mit 4,9 Prozent Familien mit zwei Kindern sowie niedrigen oder mittleren Einkommen, deren haushaltsspezifischer Warenkorb sich jeweils um 4,9 Prozent verteuert hat. Am wenigsten hart werden bis anhin Singles von der Inflation getroffen (4,2 Prozent).
Wichtigster Treiber für die Teuerung, die an den Einkommen nagt, seien weiterhin die Energiepreise. Durch die starke Zunahme der Haushaltsenergie, die aus Sicht der Hans-Böckler-Stiftung anhalten dürfte, sei es derzeit wahrscheinlich, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen zunehmend stärker durch hohe Preise belastet würden.
Als erste der führenden Zentralbanken hatte Ende 2021 die Bank of England den Zinserhöhungszyklus gestartet. Für die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) rechnen Marktteilnehmer im März mit der ersten Zinserhöhung sowie dann mehreren weiteren Zinsschritten in diesem Jahr. Die EZB beharrt weiterhin auf einer gewissen Reihenfolge ihrer Massnahmen. Sie will zuerst die monatlichen Anleihekäufe herunterfahren und dann beenden. Erst danach ist für den EZB-Rat ein Zinsschritt vorstellbar. Der niederländische Notenbankpräsident Klaas Knot hat jüngst eine erste Zinserhöhung für das vierte Quartal in Aussicht gestellt.
Risiken durch Geopolitik
Dass es in der Euro-Zone 2022 wirklich die erste Zinsanhebung seit elf Jahren gibt, ist derzeit sehr wahrscheinlich, aber noch nicht sicher. Schliesslich war die EZB in den vergangenen Jahren stets bestrebt, das Zinsniveau möglichst lange möglichst tief zu halten. Unerwartete geopolitische Entwicklungen oder Turbulenzen an den Finanzmärkten könnten die Notenbank wieder zu einem Umdenken verleiten. Dann wäre die Zinswende einmal mehr verschoben.