„Sich regen bringt Segen.“ Mit diesem Satz sind wir aufgewachsen. Er ist nicht nur Kalenderspruch, sondern skizziert das Aufstiegsversprechen der Bundesrepublik Deutschland. Leistung lohnt sich. Wer sich anstrengt, dem stehen alle Wege offen. Wer sich engagiert, der wird bei Not von der Gemeinschaft aufgefangen. Leistungsgesellschaft und Sozialstaat gehen Hand in Hand.
Die Jobcenter müssen das Bürgergeld umsetzen Quelle: picture alliance / Fotostand© picture alliance / Fotostand
Dieses Modell der sozialen Marktwirtschaft begründete eine einzigartige Erfolgsgeschichte – basierend auf dem Prinzip „Fördern und Fordern“. Es machte das deutsche Wirtschaftswunder möglich. Und ist bis heute prägend für die Arbeitsmarktpolitik. Genau dieser Grundsatz wird aber jetzt von der Ampel konterkariert. Aus Hartz IV wird das sogenannte „Bürger“-Geld.
Ohne Frage: Es gibt aktuellen Anpassungsbedarf. Angesichts explodierender Lebensmittelpreise sind die Regelsätze zu niedrig. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Schüler, Auszubildende und Studierende reichen nicht mehr. Der Bedarf von Alleinerziehenden muss zielgenauer aufgefangen werden.
Dabei hat genau diese Praxis die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland beendet. Seit 2006 ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB II um mehr als 1,5 Millionen gesunken. Davon profitierten Arbeitslose wie Betriebe. Die einen wurden aktiviert. Und fanden den Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Die anderen fanden dringend benötigte Arbeitskräfte.
Der Arbeits- und Fachkräftebedarf ist seitdem noch größer geworden. Knapp zwei Millionen Stellen sind laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unbesetzt. Für 40 Prozent der Familienunternehmen in Deutschland stellt dieser Mangel neben den Energiekosten das größte Problem dar. Jeder erlebt es vor Ort. Ladentheken sind nicht mehr besetzt. Cafés werden geschlossen, Produktionen gedrosselt, Dienstleistungen eingestellt.
Der Arbeits- und Fachkräftemangel wird zum Wohlstandsrisiko und Investitionshemmnis – nicht nur für den einzelnen Betrieb, sondern für den Standort Deutschland. Das sogenannte „Bürger“-Geld wird dieses Problem befeuern. Denn es macht reguläre Arbeit unattraktiver, schafft Mitnahmeeffekte und wird für den Steuerzahler teuer – so der Bundesrechnungshof. Er ist keine NGO oder Opposition, sondern eine oberste Bundesbehörde, die den Bund unabhängig kontrolliert.
Mit diesem vernichtenden Urteil steht der BRH nicht allein. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände warnt, dass die Brücken aus der Beschäftigung heraus verstärkt werden, statt Brücken in die Beschäftigung zu bauen. Und das in einer Zeit, in der die Demografie den Arbeitsmarkt ohnehin vor Riesenherausforderungen stellt. In der Anhörung zum Gesetz mahnten aber auch die Kommunen.
Aus kommunalpolitischer Sicht ergibt sich insbesondere ein Problem, dem die Scholz-Regierung fast keine Beachtung schenkt: Alle neuen Vorgaben und Ideen aus dem SPD-geführten Arbeits- und Sozialministerium müssen in der Praxis, in den Jobcentern, umgesetzt werden. Dort arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihr Bestes geben, um Menschen wieder eine berufliche Perspektive zu bieten. Sie müssen schon jetzt eine deutliche Mehrbelastung stemmen. Besonders herausfordernd sind dabei vor allem die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation und die Auswirkungen der Energiekrise.
Mit Recht warnen die Spitzenverbände, dass auf kommunaler Ebene am Limit gearbeitet wird. Denn neben der Bundesagentur für Arbeit organisieren bundesweit 104 zugelassene kommunale Träger die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Jobcentern eigenverantwortlich.
Laut Bundesregierung kommen dafür allein 2023 Mehrausgaben auf Länder und Kommunen von 446 Millionen Euro zu. Ausgleich? Fehlanzeige. Die kommunale Seite wird von der Ampel ignoriert. Es muss Schluss damit sein, dass in Berlin hehre Pläne entwickelt werden, deren Umsetzung dann auf die Kommunen abgewälzt wird. Neue Aufgaben dürfen nicht ohne eine „Machbarkeitszusage“ der kommunalen Ebene erfolgen.
Vieles ist nicht zu Ende gedacht – auch beim Wohngeld. Schon heute brauchen manche Wohngeldstellen Monate für die Antragsbearbeitung, selbst für Abschlagszahlungen. Viele Bürgerinnen und Bürger werden so in die Job-Center getrieben, die dafür nicht gerüstet sind.
Die kommunalen Spitzenverbände schlagen Alarm – gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit unter Leitung der früheren Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Aber ihr Nachfolger Hubertus Heil ignoriert das. Die Vergangenheitsbewältigung der Schröderschen Agenda-Politik hat Priorität. Erst die Partei, dann das Land und die Kommunen.
Das Bürgergeld ist ein arbeitsmarkt- und kommunalpolitischer Irrweg. Wenn Leistung sich auch zukünftig noch lohnen soll, muss die Ampel umkehren. Damit Deutschland ein Aufstiegsland bleibt.