Politik ist, wie Bismarck schon sagte, die Kunst des Möglichen. Beim Bürgergeld versucht die Ampel-Koalition indes das Unmögliche: Sie will es gegen die CDU/CSU durchsetzen.
Union droht mit Blockade des Bürgergelds im Bundesrat picture alliance / dpa© picture alliance / dpa
Jedoch bekommt die rot-grün-gelbe Regierung im Bundesrat ohne die Länder, in denen die Union mitregiert, keine Mehrheit zustande. Das sind immerhin acht von sechzehn Ländern.
Das Bürgergeld ist ein Prestigeprojekt von Arbeitsminister Hubertus Heil und seiner SPD. Vordergründig geht es darum, den Beziehern von Grundsicherung mehr Geld zukommen zu lassen. Im Kern geht es um etwas ganz anderes: Die SPD will endlich Schluss machen mit Hartz-IV und damit mit dem Grundsatz des Forderns und Förderns.
So soll vor allem im Verhältnis zu den DGB-Gewerkschaften, die Hartz-IV immer bekämpft haben, ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Auf dass die angebliche „Einheitsgewerkschaft“ sich noch klarer an die Seite der SPD stellt.
Zwischen den Ampel-Parteien und der Union ist eines unstrittig: Die Erhöhung der Bezüge zum 1. Januar um 12 Prozent. Ein Alleinstehender bekommt dann 502 (449) Euro im Monat, ein Paar 954 (853) Euro. Bei einer Familie mit zwei Kindern werden, je nach Alter, bis zu 768 (687) Euro zusätzlich fällig. Macht zusammen 1722 Euro.
Arbeitgeberpräsident Dugler: Bürgergeld droht Gesellschaft zu spalten
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sieht im geplanten Bürgergeld das Potenzial zur Spaltung der Gesellschaft: „Es kann nicht sein, dass ein Teil der Menschen, der morgens zur Arbeit geht, nur wenig mehr Geld zur Verfügung hat als jemand, der morgens nicht zur Arbeit geht.“
Die CDU/CSU ist dagegen bereit, diese Erhöhung mitzutragen. Zu Recht befürchtet die Opposition, eine Ablehnung dieser Erhöhung würde angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen als soziale Kälte ausgelegt.
Nicht mitmachen kann die Union bei der vorgesehenen sechsmonatigen Vertrauenszeit, wenn die Partei Ludwig Erhards ihren Anspruch als marktwirtschaftliche Kraft nicht völlig aufgeben will. Vertrauenszeit heißt: In dieser Zeit haben Bürgergeld-Empfänger so gut wie nicht mit Sanktionen zu rechnen, falls sie nicht bereit sind, angebotene Jobs anzunehmen.
Der Staat gibt Bürgergeld-Empfängern also einen Blanko-Scheck, „vertraut“ darauf, dass sie so schnell wie möglich wieder arbeiten wollen und deshalb aus ihrer Sicht auch weniger attraktive Jobs annehmen. Dabei wird unterstellt, der Mensch sei grundsätzlich „edel, hilfreich und gut“, was schön wäre, aber leider nicht so ist.
Wer erst einmal sechs Monate lang Geld bekommt, ohne sich ernsthaft um Arbeit bemühen zu müssen, der freundet sich schnell mit dem Gedanken an, der Staat erwarte von ihm gar keine Gegenleistung für die Unterstützung.
Sechs Monate Bürgergeld ohne Sanktionsmöglichkeiten ist „Grundeinkommen light“
SPD und Grüne werden hier kaum zu Abstrichen bereit sein. Denn sie wollen das einst von Rot-Grün eingeführte Prinzip des Forderns und Förderns durch „Fördern first“ ersetzen. Ohnehin liebäugeln viele Grüne und nicht wenige Sozialdemokraten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das es jedem freistellt, ob er arbeiten möchte oder nicht. So gesehen ist das sechs Monate lang sanktionsfreie Bürgergeld ein „Grundeinkommen light“.
Ein Kompromiss ließe sich wohl beim sogenannten Schonvermögen finden. Nach geltendem Recht erwartet der Staat, dass Antragsteller für Hartz-IV-Leistungen zunächst ihre eigenen Reserven antasten, ehe sie Geld vom Amt bekommen. Dieses Geldvermögen durfte bisher maximal 10.000 Euro betragen (ohne Geld für die Altersvorsorge). Künftig soll eine vierköpfige Familie in den ersten zwei Jahren des Bürgergeldbezugs 150.000 Euro auf der hohen Kante haben dürfen, dazu ein Eigenheim, zwei Autos und weitere Ersparnisse fürs Alter.
Nun dürfte es eine sehr überschaubare Zahl von potentiellen Bürgergeldbeziehern geben, die über ein überdurchschnittlich hohes Vermögen verfügen, von hohen Erbschaften einmal abgesehen. Sechsstellige Vermögen dürfen eher in Clan-Familien vorzufinden sein, deren Mitglieder schon heute bisweilen in Luxuskarossen beim Amt vorfahren, um sich um ihre „Stütze“ zu kümmern.
Eine Lösung könnte sein, sich genauer anzuschauen, wie diese Vermögen zustande gekommen sind. In jedem Fall dürfte es auch Sozialdemokraten schwerfallen, den Finanziers des Sozialstaats, also den Arbeitnehmern, klarzumachen, warum so wohlhabende Familien auf Kosten der Allgemeinheit zwei Jahre vom Bürgergeld leben können.
Kompromiss im Vermittlungsausschuss würde Bürgergeld-Einführung verzögern
Auf Granit dürfte die Ampel bei der Union beim Thema Mieten stoßen. Bei Hartz-IV werden Miete und Heizkosten nur für Wohnungen bis zu einer bestimmten Größe übernommen. Beim Bürgergeld soll der Staat zwei Jahre lang alles bezahlen, ganz gleich, wie groß und wie gut ausgestattet die Wohnung ist.
Auch das geht in die Richtung Grundeinkommen, also einer staatlich garantierten Leistung unabhängig von der jeweiligen Lebensführung und Einstellung zur Arbeit. Da sind die Möglichkeiten zum Kompromiss beschränkt.
Es spricht alles dafür, dass das Bürgergeld im Bundesrat keine Mehrheit finden wird, weil die Landesregierungen unter Führung oder mit Beteiligung der Union sich enthalten werden. Dann geht die Sache in den Vermittlungsausschuss. Ein dort ausgehandelter Kompromiss müsste dann erneut von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Das bedeutete: Das Bürgergeld könnte nicht, wie geplant, zum 1. Januar 2023 eingeführt werden. Das bedeutete gleichzeitig: Die derzeitigen Hartz-IV-Empfänger müssten weiterhin mit den niedrigeren Sätzen auskommen – trotz hoher Inflation.
Die naheliegende Lösung bestünde darin, die Anhebung der Regelsätze von den anderen Änderungen abzutrennen. CDU und CSU haben bereits angekündigt, dabei mitzumachen. Die Ampel und vor allem SPD und Grüne müssen jetzt klarstellen, was ihnen wichtiger: Das Durchsetzen eines links-grünen Prestigeprojekts oder von Januar an mehr Geld für die, die es besonders nötig haben.