Gibt es einen besseren Platz, um in Wohlstand und Sicherheit zu leben? Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Die EZB ist ein ewiges Provisorium. Sie passt damit perfekt zur Geschichte Europas seit dem Mittelalter – obwohl die Notenbank selbst gerade mal ihr erstes Jubiläum feiert.
Kann das gut gehen? Eine einzige Notenbank für mittlerweile 20 europäische Staaten, plus Andorra, Monaco, San Marino und den Vatikan als offiziell assoziierte Miniländer. Dazu noch Montenegro und der Kosovo als inoffizielle Nutzer. Plus angekoppelt die dänische Krone und zwei Versionen des CFA-Francs in zusammen 14 afrikanischen Staaten?
Die Konstruktion des Euros, als dessen Grundlage am Mittwoch vor 25 Jahren die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet wurde, ähnelt dem großen politischen Durcheinander, von dem die europäische Feudalgeschichte bis ins 20. Jahrhundert geprägt war.
Rund tausend Jahre lang gab es ein Geflecht von dynastischen Beziehungen, politischen Hierarchien, einzeln vergebenen Rechten und über allem einen oft machtlosen Monarchen auf Wanderschaft und einen hin und wieder tagenden Reichstag mit mehr Pomp als wirklicher Politik.
Trotzdem: Gibt es einen besseren Platz, um in Wohlstand und Sicherheit zu leben?
Die EZB ist Teil und Spiegel dieser strukturell chaotischen europäischen Welt. Schon bei ihrer Gründung wurde Skepsis laut, und seither reißt die Kritik nicht ab. Viele angelsächsische Experten halten es bis heute für eine Fehlkonstruktion, eine einheitliche Währung ohne eine einheitliche Finanzpolitik zu schaffen. Wobei Europa das ja schon für Jahrhunderte hatte – mit Edelmetallen als Währung, die lediglich unterschiedlich in Münzen geprägt und als Banknoten verbrieft wurden.
In Deutschland und einigen Nachbarländern dominiert die Sorge, zu viel für andere zahlen zu müssen oder indirekt fremde Schulden angelastet zu bekommen. In anderen Ländern ist „Europa“ insgesamt mit der Sorge behaftet, zu viel Einmischung in die eigene Politik zu erleiden.
Weniger Inflation als früher
Trotzdem: Seit der Einführung des Eurobargelds Anfang 2002 ist die Währung weitgehend eine Selbstverständlichkeit geworden. Mit der EZB ist die Inflation, über weite Strecken sogar auch in Deutschland, niedriger, als sie zuvor ohne sie war. Auch in der aktuellen Phase mit Inflationsraten, die weit jenseits des EZB-Ziels von knapp zwei Prozent liegen, hat die Notenbank zwar ohne Zweifel viel zu spät reagiert. Aber im Endeffekt schneidet die EZB nicht schlechter ab als zum Beispiel die traditionsreiche Bank of England.
Von chronischer Währungsschwäche oder zu starker Währung, die den Export gefährdet, ist nicht mehr viel zu sehen. Ja, der Zusammenhalt der Währungsunion war vor mehr als zehn Jahren bei der Euro-Krise gefährdet, und es wird auch weitere Euro-Krisen geben. Ja, die EZB hat den Zusammenhalt zum Teil mit zweifelhaften Maßnahmen unterstützt, die zu einer Vermischung mit der Finanzpolitik führten.
Aber als Nothelfer für Regierungen stehen im Zweifel auch die anderen Notenbanken zur Verfügung. Ja, niedrige Zinsen, die nur eingeschränkt die finanzielle Situation eines einzelnen Landes widerspiegeln, können zu hoher Staatsverschuldung einladen.
Wahrscheinlich wird die EZB mit dem Euro als dauerhaftes, aber letztlich vergleichsweise gut funktionierendes Provisorium in die Geschichte eingehen – passend zur Geschichte Europas seit dem Mittelalter und zur Europäischen Union insgesamt. Anders als häufig kritisiert, war es kein „Geburtsfehler“, den Euro ohne einheitliche Finanzpolitik zur Welt zu bringen. Ohne diesen „Fehler“ hätte es nie eine politische Einigung gegeben, die neue Währung war nur so zu haben. Auf der anderen Seite hat sich die Hoffnung, dass der Euro quasi den Weg zu einem politischen geeinten Europa bahnt, allenfalls in Krisenzeiten in kleinen Ansätzen erfüllt. Hier gilt es, realistisch zu bleiben.
Europa wird kein Bundesstaat
Eine einheitliche Finanzpolitik kann es nur in einer politischen Union geben. Denn Finanzpolitik ist ja kein Spezialgebiet wie etwa Bildung oder Landwirtschaft, sondern spiegelt die gesamte Politik wider und reguliert sie zum Teil auch. Da lassen sich eher Teilbereiche, etwa die Rüstung, stärker integrieren; das Budgetrecht, Ursprung der parlamentarischen Demokratie, werden sich die nationalen Parlamente nicht komplett entziehen lassen. Die Idee, mit einem europäischen Finanzminister oder anderen strukturellen Retuschen mehr Einheit zu schaffen, wird daher nicht allzu weit führen.
Europa ist ein Staatenbund und kein Bundesstaat, und es ist nicht absehbar, dass die Europäer in Zukunft etwas anderes wollen. Daher bleibt wahrscheinlich auch die EZB ein Provisorium, was aber – auch hier lohnt der Blick in die Geschichte – sogar Jahrhunderte überdauern kann.
Gerade in einem Provisorium kommt es darauf an, wie die Zusammenarbeit gelebt wird. Und hier zeigt sich bei der EZB doch ein Fortschritt seit dem Antritt von Christine Lagarde als Präsidentin – und dem von Joachim Nagel als Präsident der Bundesbank.
Meinungsverschiedenheiten, hinter denen sich oft auch politische Interessengegensätze verbergen, werden sachlicher, jedenfalls ruhiger ausgetragen. Dass überhaupt gestritten wird, ist nicht nur unvermeidbar, sondern notwendig – bei einer Institution, die 20 Länder zufriedenstellen soll.