Bald könnte Schluss sein mit unerwünschter, personalisierter Werbung im Briefkasten. Wichtige deutsche Datenschützer halten den Verkauf von Kundendaten für unzulässig.
Handel mit Adressen könnte vor dem Aus stehen
Sie verstopfen regelmäßig die Briefkästen und lassen die Menschen genervt zurück: Wahlwerbung, Unternehmenspost oder die neuesten Rabattcodes. Adressiert ist die ungewollte Post an einen selbst und schnell kommt die Frage auf: Woher haben die eigentlich meine Adresse? Das ist im speziellen Fall nicht immer leicht zu beantworten. Im Generellen aber ist die Antwort simpel: Die Firmen haben sie vermutlich von sogenannten Adresshändlern.
Das sind Unternehmen, die viele verschiedene Daten von Menschen zusammentragen, sie bündeln und beispielsweise an Werbekunden verkaufen. Dazu gehören Adressdaten ebenso wie Informationen über einen Umzug oder Präferenzen der Menschen, alles was eine Firma eben zur Neukundengewinnung so braucht. Mehr als tausend Adresshändler gibt es allein in Deutschland, schätzt der Deutsche Dialogmarketing-Verband. Zu den größten zählen die Deutsche Post oder die AZ Direkt, welche zu Bertelsmann gehört. Für sie ist der Adresshandel ein lukratives Geschäft, für Verbraucher- und Datenschützer hingegen ein Ärgernis. Die Empfänger, so bemängeln es die Kritiker, wüssten oft gar nicht, wer alles ihre Anschrift oder nicht ganz so geheime Vorlieben kennt und wozu diese Informationen eigentlich gebraucht werden. Und so fragen sie sich wiederum: Warum bekomme ich das hier eigentlich zugeschickt?
Für Werbetreibende wäre ein Verbot von Nachteil
Die Datenschutzgrundverordnung sollte diesen Missstand schon 2018 ausräumen, doch ist seither wenig passiert. Das könnte sich nun ändern, wie Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung zeigen. Denen zufolge geht die Mehrheit der Mitglieder in Deutschlands wichtigstem Datenschutzgremium, die sogenannte Datenschutzkonferenz, davon aus, dass ein "berechtigtes Interesse" nicht mehr als Grundlage dienen kann, Adressdaten zu sammeln und zu verkaufen. Stattdessen brauche es eine "informierte Einwilligung". Im Klartext: Die Verbraucher müssen vor dem Datensammeln wissen, was mit ihren Daten passiert, wer welche bekommt und was der oder die wiederum damit machen kann. Das ist in der Praxis allerdings kaum möglich und stellt das Geschäftsmodell der Adresshändler grundsätzlich in Frage. Steht hier eine Branche vor dem Aus?
Der Deutsche Dialogmarketing-Verband (DDV) ist beunruhigt, sein Präsident Patrick Tapp warnt vor einem Verbot. Das hätte "schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen, denn selektierte Briefwerbung ist ein wichtiger Motor für die europäische Volkswirtschaft", sagt Tapp und gibt ein Beispiel. So könne ein regionaler Anbieter von Wärmepumpen mithilfe des Adresshandels Menschen ansprechen, die in Häusern wohnen, für die seine Produkte geeignet seien.
Genau das aber kritisieren die Datenschützer nun. Stefan Brink etwa sagt, zugeschnittene Werbung funktioniere, weil die Industrie die Menschen kenne. "Dagegen muss sich die Verbraucherin, muss sich der Verbraucher wehren können. Niemand muss sich zu Werbezwecken vorab durchleuchten lassen", sagt der Landesdatenschützer von Baden-Württemberg. Er hatte bereits 2018 die Änderung hin zur informierten Einwilligung gefordert. Brink begründet das mit dem Satz: "Der Verbraucher muss das Recht haben, werbefrei zu leben." Vor vier Jahren war er mit dieser Auffassung noch ziemlich allein, das ist jetzt anders.
Nur Nordrhein-Westfalen vertritt eine andere Meinung
"Eine Vermietung oder ein Verkauf von Kundenadressen zu Werbezwecken ohne Einwilligung der betroffenen Personen ist im Regelfall unzulässig", heißt es etwa bei der Landesdatenschutzbehörde in Berlin. In die gleiche Kerbe schlagen mehr als zehn Bundesländer auf Anfrage. Sie alle betonen nahezu wortgleich, dass es für sie schwer vorstellbar sei, dass der Adresshandel sich auf ein berechtigtes Interesse stützen kann.
Unterstützung bekommen die Datenschützer vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Florian Glatzner, Referent im Team Digitales und Medien sagt: "Verbraucher gehen nicht davon aus, dass ein Unternehmen ungefragt ihre Daten an andere, völlig fremde Unternehmen verkauft und sie von diesen anderen Unternehmen dann plötzlich unerwünschte Werbung bekommen." Er fände es deshalb gut, wenn die Datenschutzbeauftragen hier nun endlich Klarheit schaffen würden.
Endgültig entschieden ist in der Datenschutzkonferenz nichts, weil Nordrhein-Westfalen eine gegensätzliche Meinung vertritt und nach wie vor von einem berechtigten Interesse der Adresshändler an den Daten ausgeht. In dem Bundesland sind unter anderem Bertelsmann und die Deutsche Post beheimatet, zwei Größen im Adresshandel. Ein Verbot wäre für sie von Nachteil, was laut einem anderen Datenschützer die Zurückhaltung des Kollegen aus NRW erklären würde. Beide Unternehmen betonten auf Anfrage, dass sie davon ausgehen, dass ein berechtigtes Interesse ausreichend für den Adresshandel sei.
Bis sich die Datenschützer endgültig entschieden haben, dürfte es noch Monate dauern. Dass sich an der Praxis etwas ändern wird, gilt aber als ausgemacht. Denn, dass Nordrhein-Westfalen sich gegen die große Mehrheit der Bundesländer durchsetzt, ist ebenso unwahrscheinlich wie, dass diese nachgeben.