Bürgermeister ärgert sich über Politik
Erste Asyl-Zwangszuweisungen: Rathaus wird zum Flüchtlingsheim – „Die Situation ist prekär“
Bürgermeister Andreas Rammler an seinem Schreibtisch© Arndt Pröhl
Erstmals kommt es in Bayern zu Zwangszuweisungen von Flüchtlingen. Eine der betroffenen Gemeinden ist Sachsenkam. Bürgermeister Andreas Rammler berichtet, wie er mit der Herausforderung umgeht.
Sachsenkam – Sachsenkam ist eine 1300-Einwohner-Gemeinde im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Zehn Geflüchtete aus der Ukraine sind dort seit Februar 2022 aufgenommen worden. Aber die aktuelle Unterbringungsquote konnte Sachsenkam – wie viele andere Kommunen auch – nicht erfüllen. Deshalb werden diesen Monat Flüchtlinge zwangszugewiesen – ob es Unterkünfte gibt oder nicht. Bürgermeister Andreas Rammler (Unabhängige Wählerschaft) berichtet, wie er damit umgeht.
Ihrer Gemeinde werden in wenigen Tagen Flüchtlinge zwangszugewiesen. Wissen Sie, wie viele?
Sie hatten dem Landratsamt gemeldet, dass es in Sachsenkam grade keine Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Wo werden die Menschen nun wohnen?
Wir haben mehrere Aufrufe an unsere Bürger gestartet und sie gebeten, Unterbringungsmöglichkeiten zu melden. Das hat nicht viel gebracht. Auch wir als Kommune haben keine leerstehenden Gebäude.
Andere Gemeinden opfern ihre Turnhallen...
Dagegen wehre ich mich. Während der Pandemie ist für viele Kinder der Sport nicht möglich gewesen. Wir wollen nicht, dass sie die Turnhalle nun wieder verlieren. Städte oder größere Gemeinden tun sich leichter, sie haben oft mehrere Turnhallen, sodass die Vereine ausweichen können. Wir haben nur eine Halle und einen Verein mit 900 Mitgliedern. Für ein 1300-Einwohner-Dorf ist das enorm. Ich habe Angst, dass Trainer oder Übungsleiter aufgeben, wenn wir die Halle nun wieder schließen.
„Das ist ein drastischer Schritt“: Erste Asyl-Zwangszuweisung nach Sachsenkam
Welche Alternativen haben Sie?
Wir haben das Rathaus. Der erste Stock wird von Chören und Yogagruppen genutzt. Von diesen Räumen wollen wir nun einen Teil so umbauen, dass er für Geflüchtete genutzt werden kann. Dort könnten wir 13 Personen unterbringen. Man muss aber ganz klar sagen: Es geht in vielen Kommunen nur noch um die Unterbringung der Menschen, von Integration sind wir weit, weit entfernt.
Haben Sie wie andere Kommunen über ein Containerdorf nachgedacht?
Ja, das haben wir diskutiert. Uns wurde aber signalisiert, dass wir frühestens in einem halben Jahr Container oder Zelte bekommen könnten. Das hilft uns in der jetzigen Situation nicht.
Vor einem halben Jahr kamen auch schon viele Flüchtlinge. Warum haben Sie damals kein Containerdorf geplant?
Zum einen, weil wir kein freies Grundstück dafür haben. Außerdem hatten wir gehofft, dass die Bundesregierung etwas unternimmt. Dass sie die Hilfeschreie der Kommunen in ganz Deutschland und vor allem in den Grenzregionen erhört. Sie fordern seit Monaten, dass die Zuwanderung begrenzt wird und Grenzkontrollen eingeführt werden. Das wird aber völlig ignoriert. Wir waren überzeugt, Berlin würde darauf reagieren.
Wie überraschend kam für Sie die Nachricht, dass es nun Zwangszuweisungen geben wird?
Dass es dazu kommen könnte, hatte der Landrat im Vorfeld angekündigt. Es hat mich aber überrascht, dass es nun tatsächlich dazu kommt. Das ist ein drastischer Schritt. Bisher hat es so was meines Wissens nicht gegeben. Die Situation ist wirklich prekär – und sie belastet mich als Bürgermeister sehr. Die Mitteilung, dass wir im September und Oktober Menschen unterbringen müssen, hat mich im Urlaub erreicht – der war für mich danach mehr oder weniger gelaufen.
Haben Sie Verständnis für das Landratsamt?
Grundsätzlich ja. Die sind ja genauso in der Bredouille wie wir Kommunen, sie bekommen die Flüchtlinge von den Bezirksregierungen zugewiesen. Und die von der Landesregierung. Auch die Landratsämter suchen händeringend nach Unterkünften. Das Problem wird von Berlin einfach bis nach Sachsenkam durchgereicht – wir Kommunen stehen in der Kette einfach ganz unten und fühlen uns hilflos.
Fühlen Sie sich als Bürgermeister alleingelassen?
Nicht nur alleingelassen. Ich habe das Gefühl, dass es keinen interessiert, wie die Kommunen diese Herausforderung stemmen sollen. Viele sind am Anschlag. Als ehrenamtlicher Bürgermeister engagiere ich mich für meine Gemeinde, von ihr bin ich gewählt worden, nicht für die große Weltpolitik. Wir Bürgermeister werden nun aber mit Problemen belastet, die wir nicht steuern können und die auch nicht zu unseren eigentlichen Pflichtaufgaben gehören.
Das Rathaus in Sachsenkam© Bereitgestellt von Merkur
Welche Hilfen würden Sie sich aus Berlin wünschen?
Uns wird immer Geld in Aussicht gestellt. Mit Geld allein ist es aber nicht getan. Wir brauchen Kindergartenplätze, Erzieher, die die Kinder betreuen. Der Wohnungsmarkt ist angespannt. Die Zuwanderung muss gebremst werden, um die Menschen, die jetzt da sind, integrieren zu können. Dazu gehört auch, Abschiebungen von ausreisepflichtigen Asylbewerbern umzusetzen.
Können die Geflüchteten in Sachsenkam langfristig Wohnungen finden?
Das ist ein Ding der Unmöglichkeit – schon für Einheimische ist es schwierig. Wir liegen im Speckgürtel von München. Mit zusätzlichen Wohnungssuchenden wird das Problem größer. Das verändert auch die Stimmung.
Wie hat sie sich verändert?
Viele Menschen haben Ängste. Einige fürchten, dass unser Sozialsystem überlastet wird. Andere sind beunruhigt, weil sie nicht wissen, wer zu uns kommt. Das Rathaus, wo die Menschen untergebracht werden, ist direkt neben dem Kindergarten und dem Spielplatz. Es gibt Vorbehalte. Und einige davon kann ich nachvollziehen, andere sind wohl unbegründet. Als Bürgermeister suche ich das Gespräch und versuche zu beruhigen. Aber ich mache mir Sorgen, dass die Stimmung kippt.