Die Bundesinnenministerin will Clankriminelle abschieben, auch wenn sie keine Straftaten begangen haben. NRW-Innenminister Reul (CDU) wirft ihr vor, damit eine allzu leichte Lösung vorzugaukeln – und erklärt, welcher Weg effektiver sei. Am Clan-Begriff hält er trotz grüner Kritik fest.
Herbert Reul (CDU), 70, Innenminister von Nordrhein-Westfalen picture alliance/Flashpic/Jens Krick© Bereitgestellt von WELT
WELT: Herr Reul, Clankriminelle mit doppeltem Pass sollen ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Die unionsgeführten Bundesländer, darunter auch Nordrhein-Westfalen, wollen das rechtlich prüfen lassen. Was soll damit erreicht werden?
Herbert Reul: In Nordrhein-Westfalen haben gut 53 Prozent der Tatverdächtigen nur oder auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Das heißt, eine Abschiebung ist schlicht nicht möglich. Wenn wir die Staatsbürgerschaft aberkennen könnten, könnten wir zumindest in diesen Fällen eine Abschiebung versuchen.
Die große Lösung ist das natürlich nicht, sondern lediglich der Versuch, an einer wichtigen Stellschraube zu drehen. Das ist juristisch hochkomplex. Da reicht eine Zugehörigkeit zu einem Clan selbstverständlich nicht aus. Mit Sicherheit müsste man für solch einen Schritt im Einzelfall Straftaten beziehungsweise kriminelles Verhalten nachweisen.
Reul: Die Forderung von Frau Faeser ist reiner Populismus. Ich kann doch niemanden abschieben, nur weil er Mitglied eines Clans ist. Da schürt die Bundesinnenministerin auch einen Generalverdacht gegen ganze Familien. Uns geht es nur um die Kriminellen innerhalb der Clans.
Diese Nummer von Frau Faeser bedient Stimmungen und erweckt den Eindruck, dass das alles ganz schnell und leicht geht. Das ist kein kluger Beitrag, sondern führt nur zu mehr Enttäuschungen, und das nutzt am Ende nur der AfD. Bei Clankriminellen können Abschiebungen angesichts der Nationalitäten auch nicht das zentrale Instrument sein, sondern es geht um Bekämpfung von Kriminalität.
WELT: Was ist aus Ihrer Sicht effektiver?
Reul: Eine Bargeldobergrenze beim Erwerb von teuren Gütern wie Autos, Uhren oder Schmuck zum Beispiel hätte eine große Wirkung zur Verhinderung von Geldwäsche. Ich hätte auch keine Einwände gegen die Einführung einer Beweislastumkehr. Das muss aber juristisch gut geprüft sein. Das würde bedeuten, dass derjenige, der eine große Menge an Bargeld oder Wertsachen besitzt, nachweisen muss, dass sie aus legalen Geschäften stammen. So etwas würde die Clankriminalität viel stärker treffen als Debatten über Abschiebungen, die am Ende doch nicht stattfinden.
WELT: Im neuen „Lagebild Clankriminalität“ 2022 für NRW sind mehr Tatverdächtige und Straftaten durch Clankriminelle dokumentiert. Verstärkt sich das Problem, oder wird durch verstärkte Ermittlungsarbeit mehr aufgedeckt?
Reul: Vermutlich beides. Wir haben die Kontrollen seit 2017 fast verdoppelt, und wir finden fast bei jeder Razzia etwas. Wir stören die Kreise der Kriminellen, und dadurch kommt auch mehr zum Vorschein.
WELT: Nach wie vor gibt es Kritik am verwendeten Clan-Begriff, insbesondere aus den Reihen der Grünen. Der Integrationsbeauftragte der Stadt Essen spricht sogar von „Sippenhaft“. Ist der Begriff letztlich doch zu heikel, weil er sich zu sehr auf Ethnien und Familiennamen bezieht?
Reul: Das höre ich schon seit Jahren. Es ist durchaus mit Risiken verbunden, diesen Begriff zu verwenden. Das ist mir klar. Aber ich betone immer wieder, dass es nur um die Kriminellen geht und nicht um ganze Familien.
Deswegen nennen wir Familiennamen auch nicht öffentlich. Den Tatverdächtigen mit einem der 116 als relevant identifizierten Familiennamen im Lagebild ordnen wir mehr als 6500 Straftaten zu, an mehr als 660 waren Kriminelle mit demselben Nachnamen beteiligt, insbesondere im Ruhrgebiet. Das ist doch ein wichtiges Strukturelement für die Ermittlungsarbeit. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass jeder mit einem dieser Namen gleich als kriminell gilt. Ausgangspunkt muss immer kriminelles Handeln sein.
WELT: Gibt es Hinweise, dass über Migration gezielt kriminelle Clan-Strukturen gestärkt werden und personeller Nachschub rekrutiert wird?
Reul: Es gibt da nur Gerüchte und Vermutungen, aber keine Beweise. Es gibt doch eine generelle Herausforderung für uns: Wenn viele zu uns kommen, denen es nicht gut geht und die nicht ordentlich hier arbeiten können, dann besteht die Gefahr, dass sie in die Kriminalität abrutschen oder sich neue Gruppen bilden.
WELT: Ein anderes sicherheitspolitisches Problem sind die sogenannten Grauen Wölfe der türkischen ultranationalistischen Ülkücü-Bewegung, die in Verbänden und Vereinen organisiert sind. Laut Verfassungsschutz gelten sie als größte rechtsextremistische Vereinigung in Deutschland. Die Fraktionen im Bundestag fordern ein Vereinsverbot. Was halten Sie davon?
Reul: Ich finde es wichtig, dass ein Vereinsverbot geprüft wird. Wenn es gehen würde, hätte ich nichts dagegen, aber dafür muss es erst gerichtsfest sein. Da muss man gründlich sein.
WELT: Immer wieder gibt es Berichte, dass Politiker von SPD und CDU beim Besuch des Fastenbrechens oder anderen kommunalpolitischen Terminen, in engen Kontakt mit Grauen Wölfen kommen. Wie soll man sich als Politiker gegen eine solche Nähe schützen?
Reul: Es ist oft schwer sofort zu erkennen, auf wen man trifft oder wer einen anspricht. Vor allem bei den vielen Terminen, die Politiker machen. Aber deshalb nicht mehr zu Terminen zu gehen, ist auch keine Lösung. Man muss zumindest versuchen, sich im Vorfeld so gut wie möglich zu informieren. Ich versuche, so etwas früh zu klären, aber ein Restrisiko bleibt. Man muss eine größere Sensibilität haben, aber das darf nicht dazu führen, dass man keinen Kontakt mehr zu Migrantenorganisationen hat.
WELT: Ist Ihnen das selbst auch schon einmal passiert?
Reul: Zum Glück nicht. In einigen Fällen wurde ich auch rechtzeitig vorher gewarnt und habe mich von bestimmten Begegnungen ferngehalten.