FDP-Generalsekretär Djir-Sarai warnt vor „Gefahren von Sicherheitsrisiken“ im Afghanistan-Aufnahmeprogramm. Er sagt, wie er Pull-Faktoren für Migranten abschaffen würde und drängt die Grünen, endlich der Einstufung Moldaus und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten zuzustimmen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, 47 WELT/Marlene Gawrisch, picture alliance/ZUMAPRESS.com/Airman Edgar Grimaldo/U.S. Air; Montage: Infografik WELT© Bereitgestellt von WELT
WELT: Herr Djir-Sarai, die Ampel will mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auch das Aufenthaltsgesetz ändern. Der Zuzug von Ausländern soll künftig nur noch „gesteuert“ werden – nicht mehr „begrenzt“. Ist das der Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, den die Koalition angekündigt hat?
Bijan Djir-Sarai: Mein Eindruck ist, dass unser Land weltoffen und tolerant ist. Die Menschen wollen aber zu Recht wissen, wer zu uns kommt. Und sie wollen, dass der Zuzug nach rechtsstaatlichen Kriterien erfolgt. Einwanderungsländer wie Kanada und Australien machen es vor: Sie wollen Migration in den Arbeitsmarkt. Aber sie wollen keine Migration in die soziale Sicherung.
WELT: Der Kanzler beklagt, dass viele Menschen nach Deutschland weiterziehen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Djir-Sarai: Deutschland ist für viele besonders attraktiv, weil sie hier vom hohen Sozialstandard profitieren. Ich sage ganz klar: Diese Migration wollen wir nicht. Deswegen wäre es aus meiner Sicht richtig, Pull-Faktoren abzuschaffen, indem Asylbewerber keine finanziellen Mittel mehr erhalten, sondern nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt bekommen.
WELT: Woran scheitert eine solche Umstellung auf Sachleistungen bislang?
Djir-Sarai: Teile der Koalition haben in dieser Frage eine andere Auffassung. Das betrifft auch die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer. Wir wollen beispielsweise, dass Georgien und Moldau als sicher klassifiziert werden. Das würde die irreguläre Migration direkt um zehn Prozent reduzieren. Diese beiden Länder wollen ihrerseits mit uns kooperieren. Lediglich ein Koalitionspartner stellt sich quer. Ich halte das für ein großes Problem.
WELT: Auf beschleunigte Asylverfahren für Moldau und Georgien hatten sich die Ministerpräsidenten mit dem Kanzler im Mai geeinigt. Jetzt blockieren die Grünen?
Djir-Sarai: Die Grünen müssen zur Kenntnis nehmen, dass bei dem Thema jetzt konkrete Ergebnisse erreicht werden müssen. Wenn es nach uns als FDP ginge, könnten auch die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Auch das scheitert derzeit am Koalitionspartner. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie nicht den Bezug zur Realität verlieren.
WELT: Die Ampel hat gerade einen Spurwechsel für bestimmte Asylbewerber im Verfahren vereinbart. Seit Anfang des Jahres gibt es ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ für einen Teil der abgelehnten Asylbewerber. Senden Sie damit das Signal, dass man in Deutschland auch als Nicht-Schutzberechtigter Fuß fassen kann?
Djir-Sarai: Die FDP hat dem Spurwechsel nur mit einem Stichtag zugestimmt. Die befürchteten Pull-Effekte werden also nicht eintreten. Im Übrigen sendet die gemeinsame europäische Einigung, die die Innenminister Anfang Juni erreicht haben, eine klare Botschaft: Das Asylrecht garantiert, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge in Europa Schutz finden.
Aber wer unseren Schutz nicht braucht, dem sagen wir ganz klar: Es bringt nichts, hierherzukommen. Weitere Schritte müssen natürlich folgen. Aber bis dato hat diese Koalition in Sachen Migration schon jetzt mehr erreicht als ihre Vorgänger.
WELT: Keinen großen Unterschied zur Vorgängerregierung gibt es bei den Abschiebezahlen, rund 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Dabei hatte die Koalition eine „Rückkehroffensive“ angekündigt. Wird es dazu so schnell nicht kommen?
Djir-Sarai: Es ist nach wie vor komplex. Wir brauchen Migrationsabkommen, damit Rückführungen funktionieren. Wir brauchen eine Ausweitung der Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten. Wir brauchen aber auch die Kooperation der Bundesländer, die ja für Rückführungen zuständig sind.
Sie sehen an Nordrhein-Westfalen, dass die Zahl der Abschiebungen massiv gesunken ist, seit dort nicht mehr Schwarz-Gelb, sondern Schwarz-Grün regiert. Wenn der politische Wille und der Instrumentenkasten da sind, können wir irreguläre Migration bekämpfen, und zwar am besten schon an der Außengrenze der Europäischen Union.
WELT: Finden Sie es richtig, dass sich die Innenministerin in den nun anstehenden Verhandlungen mit Europäischen Parlament weiter für Änderungen zum ursprünglichen Ratsbeschluss einsetzen will, die darauf zielen, Kinder mit Familien doch noch vom Grenzverfahren auszunehmen?
Djir-Sarai: Es ist eine große Leistung, dass nach vielen Jahren des Stillstands eine europäische Einigung erzielt wurde. Diese Einigung sollte man nicht durch zusätzliche Forderungen nach Ausnahmen oder Sonderwegen gefährden.
WELT: Sie haben zuletzt dafür plädiert, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanen, das das Auswärtige Amt gerade auflegt, zu überdenken. Was meinen Sie konkret?
Djir-Sarai: Ich plädiere dafür, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan zu beenden. Im Moment ist es wegen Hinweisen auf mögliche Missbrauchsversuche ausgesetzt. Aber es gibt bereits Aufnahmezusagen für 14.000 Personen. Wie diese Menschen ausgesucht wurden, ist intransparent und für das Parlament nicht nachvollziehbar. Damit habe ich ein großes Problem. Auch die Frage der Sicherheitsüberprüfung ist nicht geklärt. Das Programm birgt wegen seiner Konzeption Gefahren von Sicherheitsrisiken, Willkür und Korruption.
WELT: Fast alle Afghanen, die in Deutschland Schutz beantragen, werden als schutzberechtigt anerkannt. Wäre es nicht im Sinne einer gesteuerten Migrationspolitik, schutzbedürftige Afghanen nicht ungeordnet übers Meer reisen zu lassen, sondern direkt aus dem Land in einem geordneten Verfahren aufzunehmen?
Djir-Sarai: Deutschland hat bereits einen großen Beitrag geleistet. Als die Taliban die Macht übernommen haben, haben wir dafür Sorge getragen, dass gefährdete afghanische Ortskräfte und ihre engen Familienangehörigen in Sicherheit gebracht werden. Das Ortskräfteverfahren läuft unabhängig vom Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan.
Außerdem: Wir können nicht alle Probleme der Welt in Deutschland lösen. Es geht ja nicht nur um Aufnahme, sondern auch um Integration. Und leider gibt es eine ganze Reihe von Integrationsdefiziten in Deutschland. Wenn wir diese Probleme nicht zuerst lösen, werden sie uns auf die Füße fallen, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet. Das darf nicht passieren.
WELT: In den nächsten Monaten sollen jede Menge ausländische Arbeits- und Fachkräfte nach Deutschland kommen, auch darauf hat sich die Koalition geeinigt. Wie sollen die denn integriert werden?
Mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz wird Deutschland im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte endlich besser. Das ist essenziell mit Blick auf den Fachkräftemangel, der von der deutschen Wirtschaft beklagt wird. Das Punktesystem stellt sicher, dass die Chancen derjenigen höher sind, die Bezüge zu Deutschland haben – weil sie zum Beispiel die Sprache sprechen oder Fähigkeiten haben, die hier händeringend gebraucht werden.
Klar ist aber auch: Jeder, der kommt und bleiben will, muss unsere liberalen und demokratischen Werte teilen. Die Menschen, die in den Arbeitsmarkt einwandern, tragen zum Wohlstand dieses Landes bei.
WELT: Das wollte die Gastarbeitergeneration auch. Teile von ihnen scheinen aber auch Jahrzehnte nach der Ankunft nicht integriert. Das Gleiche gilt für manche Nachkommen.
Djir-Sarai: Diejenigen, die nach Deutschland kommen, um zu arbeiten, leisten einen echten Beitrag und kommen nicht hier her, um die sozialen Sicherungssysteme zu nutzen. Das gilt heute wie damals. Für die Integration macht das einen Riesenunterschied. Wir erwarten, dass diejenigen, die zu uns kommen, sich an unsere Regeln halten und unsere Werte teilen. Das muss jedem klar sein.
Ich verhehle nicht, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel falsch gelaufen ist bei den Integrationsbemühungen. Aber dadurch, dass wir nun endlich Steuerung und Ordnung in die Migrationspolitik bringen, wird auch die Integration gestärkt.