Die Ampel-Regierung plant, sich innerhalb der EU für Asylverfahren an den Außengrenzen einzusetzen. Doch nicht alle Grüne halten die Einigung für tragbar. Und während der Union der Vorstoß nicht weit genug geht, befürchtet die Linke, „unmenschliche Lager wie Moria“.
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Die Bundesregierung hat sich auf eine Position in den Brüsseler Verhandlungen für eine EU-Asylreform geeinigt. Das dafür verantwortliche Bundesinnenministerium teilte WELT mit, die Ampel verfolge die Grundlinie, „irreguläre Migration zu begrenzen und legale Migrationswege zu ermöglichen“. Entscheidend sei „eine verlässliche Identifizierung, Registrierung und Überprüfung von Menschen bereits an den EU-Außengrenzen“.
Schon seit Jahren sind alle EU-Staaten dazu verpflichtet, beachten diese Pflichten aber oft unzureichend. Das zeigt sich etwa daran, dass rund die Hälfte aller in Deutschland ankommenden Asylsuchenden keinen Treffer in der EU-Datenbank EURODAC aufweisen. Den zentralen Punkt hob Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in einem Gespräch mit der ARD hervor: „Wir sehen jetzt ein historisches Momentum, dass wir mit anderen europäischen Staaten es schaffen können, ein gemeinsames Asylsystem auf den Weg zu bringen, wo an den Grenzen die Asylverfahren stattfinden“, sagte sie.
Dazu gehöre es selbstverständlich, in der gesamten EU rechtsstaatliche Verfahren nach gleichen Regeln und auf gleichem Niveau sicherzustellen. „Allen schutzsuchenden Menschen, die asylberechtigt sind, muss dieses Recht auch gewährt werden. Bereits an den Grenzen kann dann geprüft werden, ob ein Asylverfahren überhaupt Aussicht auf Erfolg hat“, so Hartmann.
Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, stützt die Pläne: „Wenn bereits an den EU-Außengrenzen schneller Klarheit geschaffen werden kann, kommen weniger Menschen als Asylbewerber in die EU, die eigentlich nicht vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen oder um politisches Asyl nachsuchen, sondern Arbeit oder eine Ausbildung suchen.“
Auch für diese Menschen müsse es einen regulären Einwanderungsweg geben, aber nicht über das Asylsystem. Thomae verwies auf die geplante „Chancenkarte“, um den Zuzug für Arbeitsmigranten offener zu gestalten.
Diffiziler ist die Lage beim grünen Koalitionspartner. Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann sieht die Bundesregierung in Brüssel „vor extrem schwierigen Verhandlungen“. Der Zugang zu individuellen und rechtsstaatlichen Asylverfahren und menschenwürdiger Unterbringung sei auch für die Zukunft sicherzustellen. „Viele EU-Mitgliedsländer vertreten eine restriktive Linie. Wir setzen uns für einen dauerhaften verlässlichen Solidaritätsmechanismus und für faire Asylverfahren ein“, so Haßelmann.
Deutliche Kritik übte eine andere Grüne, nämlich Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das die Anrainerstaaten des Mittelmeers entlasten soll und zeitgleich menschenwürdige Unterbringung in bereits jetzt schon überforderten Staaten gelingen soll. Das widerspricht meiner Meinung nach außerdem dem Grundgedanken des deutschen Asylrechts“, so Touré im WELT-Interview.
Nach Ansicht des Innenexperten der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), bleibt die Ampel hinter dem Vorschlag der EU-Kommission zurück. „Damit werden die Verfahren ineffektiv und das schadet vor allem Deutschland als Hauptzielland von Flucht in Europa. Frau Faeser führt die Öffentlichkeit wieder mal an der Nase herum“, beklagte Throm.
Asylzentren außerhalb der EU sieht er kritisch, „weil die Ampel damit einseitig für Deutschland einen weiteren zusätzlichen Weg der Asylantragstellung eröffnet und damit noch mehr Asylmigration nach Deutschland ermöglicht“.
In der AfD-Fraktion werden flankierende Maßnahmen gefordert. Wenn ein Außengrenzverfahren „jetzt der neue, entscheidende Filter werden soll, müssten alle anderen, bisherigen Wege illegaler Migration in Staaten der EU wirklich faktisch ausgeschlossen sein“, betonte deren innenpolitischer Sprecher Gottfried Curio. Sonst bleibe der neue Filter wirkungslos. Anerkennungskonditionen müssten auf echte Fluchtsituationen beschränkt bleiben.
Warnung vor „Grenzverfahren unter Haftbedingungen“
Clara Bünger, Sprecherin für Flucht- und Rechtspolitik der Linke-Fraktion, lehnte die Einigung ab: „Das historische Momentum besteht darin, dass Frau Faeser die erste sozialdemokratische Innenministerin ist, die sehenden Auges weitere Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen ermöglicht und mit ihren politischen Entscheidungen vorantreibt.“ Die Grünen seien „kein verlässlicher Partner bei der Durchsetzung von Menschenrechten“ mehr. Bünger befürchtet, dass „unmenschliche Lager wie Moria“ und „Grenzverfahren unter Haftbedingungen“ zur Normalität in der EU würden.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte betonte, das geplante System sei „mit Deutschlands flüchtlings- und menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar“. Schutzsuchenden werde die Einreise während des Verfahrens formal nicht gestattet. Diese Vorgabe lasse sich in der Praxis „nur durch geschlossene Aufnahmezentren oder erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in Transitzonen oder auf kleinen Inseln durchsetzen“.
Der Reformplan für das neue Asylsystem in Europa soll bis zum Februar 2024 ausverhandelt sein. Die EU-Kommission möchte erreichen, dass Migranten aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent in Ankunftszentren bereits an der Grenze ihr Asylverfahren durchlaufen und direkt von dort wieder zur freiwilligen Heimreise motiviert oder abgeschoben werden.
Die Ampel setzt sich nach WELT-Informationen in den Verhandlungen dafür ein, diese Quote abzusenken, damit nur jene aus Staaten mit einer unter 15-prozentigen Chance ihr Asylverfahren dort durchlaufen müssten. Falls sich eine Überfüllung von Aufnahmezentren abzeichnet, will die Ampel nur Personen aus Staaten mit unter fünf-prozentiger Chance dort behalten.
Auch will die deutsche Regierung, anders als die EU-Kommission, dass Familien mit Kindern unter 18 Jahren sowie unbegleitete Minderjährige generell von den Asylverfahren in den Erstaufnahmezentren ausgenommen werden, selbst wenn sie aus Staaten mit geringer Bleibeperspektive stammen.
Die aktuell EU-weit und in Deutschland bedeutendsten Gruppen, Syrer und Afghanen, wären ohnehin nicht betroffen. Syrer erhalten aktuell bis auf wenige Ausnahmefälle Schutz, egal, ob sie schon lange in die Türkei oder Jordanien lebten, bevor sie in die EU zogen. Bei Afghanen ist es ähnlich, und auch Türken haben inzwischen eine höhere Schutzquote als die 20 Prozent.
Zudem möchte die Regierung laut Innenministerium, dass besonders unter Druck stehende Mitgliedstaaten „mit der Solidarität weniger belasteter Staaten rechnen können“. Die EU müsse sich „auf eine Reform der bisherigen Dublin-Regeln einigen, um irreguläre Sekundärmigration – also das unkontrollierte Weiterziehen in andere EU-Staaten – zu verhindern.“
Die Bundesinnenministerin habe eine Gruppe mit Vertretern aus sechs Staaten gegründet, um die Verhandlungen voranzutreiben. Dazu zählen Deutschland, Frankreich, Italien, plus Schweden als aktuelle und Spanien und Belgien als Länder, die demnächst mit Ratspräsidentschaften an der Reihe sind.
Die Ampel möchte diesbezüglich die Überstellungsfrist, in der illegal aus den für sie zuständigen EU-Staaten weiterwandernde Asylsuchende wieder aus Deutschland und anderen wichtigen Zielstaaten zurückgebracht werden können, von aktuell in der Regel sechs Monate auf zwölf Monate ausdehnen.
Sanktionen, wie etwa den ausschließlichen Bezug von Sachleistungen, falls jemand dennoch unerlaubt weiterzieht, oder Maßnahmen gegen Staaten, die eine Überstellung erschweren, hat die Ampel bisher nicht in ihrer präsentierten Verhandlungsposition für die EU-Asylreform.