Boris Palmer© Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild
Palmer warnt in Migrationskrise: „Wir schaffen das nicht mehr“
Beim Thema Migration ist die Lage angespannt: Es kommen immer mehr Menschen nach Deutschland. Die Kommunen beklagen sich und fordern weniger Bürokratie.
Berlin - In der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ zum Thema Flüchtlingshilfe berichteten die Talkshow-Gäste am Donnerstagabend (16. März) über die Lage in den Ländern und Kommunen. Zu viel Bürokratie, zu wenig Wohnraum, zu wenige Kita- und Schulplätze, dazu fehlende Sprachkurse und eine langsame Integration in den Arbeitsmarkt - das waren die Hauptpunkte der Debatte. Boris Palmer (Die Grünen), Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, machte klar: „Wir müssen von den deutschen bürokratischen Standards runter.“ Anders sei der große Zustrom nicht mehr zu bewältigen. „Wir schaffen das schlicht nicht mehr“, sagte er - wohl auch in Anlehnung an die Worte „Wir schaffen das“ von Angela Merkel im Jahr 2015, als eine enorme Fluchtbewegung von rund zwei Millionen Menschen in die EU stattfand.
Integration Geflüchteter: Bürokratie ist größte Hürde
Allerdings pflichtet auch Wüst Palmer bei. Deutschland müsse in Sachen Bürokratie jetzt endlich mal pragmatisch handeln, anstatt weiter Paragraphen zu reiten. Wenn man das schaffen würde, könnte Deutschland angesichts des Fachkräftemangels etwa auf dem Gesundheitsmarkt oder in der Gastronomie und Hotellerie sogar einen echten Nutzen aus der Situation ziehen. „Wir wären verrückt, wenn wir es nicht schaffen würden, die Verfahren zu erleichtern“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).
Aber auch die fehlenden Kita-Plätze sind ein Problem in der Flüchtlingshilfe, wie auch Palmer feststellte. Schon Deutsche fänden ja oft keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder. Nun den ukrainischen Kindern Vorrang einzuräumen, hält er für keine gute Idee: „Das führt zu einem Verdrängungswettbewerb gegenüber denen, die schon da waren.“ Einen Lösungsvorschlag hierfür hätte er aber: Die Gründung ukrainischer Spiel- oder Tagesgruppen, in denen vielleicht nicht die hohen Standards deutscher Kitas gelten.
Migrationskrise: Sozialer Wohnraum ist knapp
Entgegen der zu Beginn des Ukraine-Kriegs vorherrschenden Erwartung, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer nach Ende des Kriegs in ihr Land zurückkehren würden, glaubt Wüst: „Die Menschen werden länger bleiben“. Und zwar „viele von ihnen sehr lang, manche auch für immer.“ Bereits heute erklärt jeder dritte ukrainische Geflüchtete, er oder sie könnten sich gut vorstellen, nicht mehr in die Ukraine zurückzukehren. Zumal dort vielerorts auch nach einem Kriegsende für Jahre kein leichtes und gutes Leben möglich sein werde.
Der soziale Wohnraum für Geflüchtete ist ein weiterer Punkt, der bei „Maybrit Illner“ heiß diskutiert wurde. Schon für Deutsche stehen kaum Sozialwohnungen bereit. Palmer sagte, die Länder stünden in der Pflicht, größere Landesaufnahmeeinrichtungen zu bauen, um den Druck auf den Wohnungsmarkt zu senken. Ihm zufolge würde das zum einen die Länder motivieren, gescheiterte Asylbewerber schneller und erfolgreicher abzuschieben, zum anderen Wirtschaftsflüchtlinge abschrecken angesichts der Aussicht, womöglich für Jahre in einer Massenunterkunft leben zu müssen.
Unterbringung Geflüchteter: Beispiel Upahl zeigt Ernst der Lage
Im Ort Upahl in Mecklenburg ist die Debatte um Massenunterkünfte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber hochaktuell. In der kleinen Gemeinde, wo gerade einmal 500 Menschen wohnen, soll eine Containerunterkunft gebaut werden, die 400 Personen beherbergen kann. Auf die Ankündigung des Plans folgten massive Proteste der Einwohnerinnen und Einwohner. Bei den Demonstrationen im Ort ist eine zunehmende Radikalisierung der Menschen zu beobachten, immer öfter sind rassistische Aussagen zu hören.
In Upahl gibt es keinen Supermarkt, keine Ärzte, und keine gute Anbindung an die größeren Orte. Die Fläche in Upahl, auf der die Container stehen sollen, hat Landrat Tino Schomann (CDU) vorgeschlagen, denn die Fläche gehört dem Kreis selbst. Seine Entscheidung rechtfertigt er bei „Maybrit Illner“ mit schlichten Worten: „Die Lage hat’s erfordert.“ Seit dem 3. März gilt nun ein Baustopp der Unterkunft.
Dringende Migrationsfragen: Enttäuschung nach Flüchtlingsgipfel im Februar
2015 war kein Ausnahmejahr, sondern nur der Anfang einer globalen Völkerbewegung, die Deutschland und Europa in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor immense Herausforderungen stellen wird. Je mehr Menschen kommen, desto häufiger werde es eine Situation wie Upahl in ganz Deutschland geben, prophezeit Palmer. Neben den Ukrainerinnen und Ukrainern kommen die Geflüchteten auch zu einem großen Teil aus den Staaten Syrien, Afghanistan oder der Türkei.
Insgesamt 16 Milliarden Euro wollen die Länder in diesem Jahr in die Integration Geflüchteter investieren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) veranstaltete im Februar einen Flüchtlingsgipfel, um die dringendsten Fragen zu klären. Die Erwartungen der Kommunen und Länder waren dementsprechend hoch, mehr Unterstützung durch den Bund zu erhalten. Aber danach herrschte große Enttäuschung: Finanzielle Fragen zur Entlastung der Kommunen wurden bis Ostern vertagt