Frau Landrätin, Sie haben in Ihrem Landkreis mehr als hundert Flüchtlinge auf einem Schiff untergebracht, das bisher für Donaukreuzfahrten genutzt wurde. Wie kam es dazu?
Auf dem Flußkreuzfahrtschiff MS Rossini in Bach an der Donau leben Flüchtlinge.© Tobias Schmitt
Als sich die Lage im Herbst immer mehr angespannt hat, die Erstaufnahmeeinrichtungen immer weniger Kapazitäten hatten und uns um Unterstützung baten, kam die Reederei aus Heilbronn auf uns mit dem Angebot zu. Am 11. Januar haben wir dann für ein halbes Jahr einen Mietvertrag abgeschlossen.
Wie viele sind auf dem Schiff?
Das Schiff ist zugelassen für 220 Personen und laut Mietvertrag für 200 angemietet. Im Moment sind es gut die Hälfte. Die Bezirksregierung, unser direkter Ansprechpartner, plant eigentlich grundsätzlich mit einer 80-Prozent-Belegung, um für Notfälle einen Puffer zu haben. Es ist ja ein dynamischer Prozess, wir wissen nie, wie viele kommen. Wir sind im Regierungsbezirk sieben Landkreise und drei kreisfreie Städte – und dann schaut man halt. Der eine Kollege sagt, bei mir geht gerade gar nichts mehr, aber der andere macht gerade eine Industriehalle auf, dann können die anderen Landkreise wieder ein bisschen durchschnaufen. So ist der Arbeitsmodus.
Tanja Schweiger von den Freien Wählern ist Landrätin des Landkreises Regensburg© Tobias Schmitt
Was ist der Unterschied zwischen dem Schiff und zum Beispiel einer Industriehalle?
Wie würden Sie den Zustand des Schiffs beschreiben?
Es ist nicht neu, 40 Jahre alt, aber in einem guten Zustand.
Ich frage nur, damit die Leute nicht denken, das sei ein heruntergekommenes Teil, aus dem noch einer letzten Profit schlagen will.
Nein, gar nicht.
Sie sind seit 2014 im Amt, waren also auch schon in der Flüchtlingskrise 2015/16 verantwortlich und wissen, wie schnell Debatten symbolisch aufgeladen werden und abdriften können. Gab es das in Bezug auf das Schiff auch schon, dass die Leute sagen: Jetzt werden die Flüchtlinge auch noch da untergebracht, wo wir uns nicht einmal den Urlaub leisten können?
An mich ist derlei bisher nicht herangetragen worden.
Warum steht das Schiff da, wo es steht?
Es braucht einen Anleger, an dem das Schiff rund um die Uhr bleiben kann. Diese Genehmigung, für die zum Beispiel Lärm- und Naturschutz begutachtet werden, gibt es für Bach an der Donau, 15 Kilometer vor Regensburg. Ursprünglich war der Anleger dafür gedacht, dass Schiffe, wenn sie wegen Hochwasser nicht weiterfahren können, die Möglichkeit haben, vorher zu parken.
Manche in Bach an der Donau sagen: Ausgerechnet da, wo so wenig los ist und die Flüchtlinge nicht wüssten was sie den ganzen Tag lang tun sollten, kämen die jetzt hin.
Bei so einer großen Zahl an Flüchtlingen gibt es keine andere Möglichkeit, als sie im ganzen Land gleichmäßig zu verteilen, das ist in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel und in Bayern durch die Verordnung DVAsyl geregelt. Aufgrund der großen Zahl, die uns zugewiesen wird, müssen wir die Flüchtlinge auch im ländlichen Raum verteilen. Wir können ja auch die Städte nicht überbelasten, zumal die, die sich frei einen Wohnort suchen können, sowieso eher in die Städte ziehen. In Bach haben einige zu mir gesagt, wir sollen das Schiff doch in Regensburg anlegen lassen, doch das löst das Problem nicht, weil Regensburg selbst Flüchtlinge hat. Manche dachten, ich hätte jetzt ein Schiff und wisse nicht wohin damit. Dabei ist es ganz anders, ich habe Geflüchtete und weiß nicht, wohin mit ihnen. Die Alternative ist nicht ob, sondern wie: Ich kann eine Turnhalle zumachen oder ich kann die Menschen 300 Meter außerhalb des Dorfs auf dem Schiff unterbringen, das war die Frage.
Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten die Leute in Bach verschreckt, weil sie gesagt hätten, es kämen fast nur junge Männer, Syrer und Iraner.
Die Realität ist, dass aus diesen Ländern, anders als aus der Ukraine, sehr wenig Kinder und Frauen flüchten. Aktuell leben auch ein paar Familien auf dem Schiff. Aber die Mehrzahl sind junge Männer. Wenn ich gesagt hätte, es ist gemischt, dann hätte ich gelogen.
Die Crew ist noch mit 20 Leuten auf dem Schiff und übernimmt auch das Kochen. Was gibt es da?
Ganz normale Gerichte, ein bisschen arabisch angehaucht. Als ich letzte Woche dort war, gab es Linsensuppe mit Salat.
Laufen die Crew-Mitglieder in Uniform herum?
Sie sind ordentlich angezogen, aber sie tragen keine Traumschiffuniform, wenn Sie das meinen.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann soll die Idee mit dem Schiff gut gefunden haben.
Ja, wir haben sie ja auch vorher mit ihm abgestimmt.
Die Miete samt Crew zahlt der Freistaat, richtig?
Das ist immer so in Bayern. Bei jeder Turnhalle, bei jedem Haus, bei jeder Industriehalle. Das mit Asylangelegenheiten befasste Verwaltungspersonal muss der Landkreis selber bezahlen und vorhalten. Das bekommen wir nicht ersetzt, obwohl es eine staatliche Aufgabe ist, die wir da übernehmen. Aber wenigstens erstattet uns der Freistaat alle Unterbringungskosten eins zu eins. Das ist nicht in allen Bundesländern so.
Ihr Problem ist also weniger ein finanzielles?
Es ist vor allem eins der Kapazitäten – und zwar in allen Bereichen. Überall ist das Personal knapp. Es ist schwierig, Caterer zu finden. Ähnlich ist es beim Sicherheitsdienst, beim Reinigungspersonal, beim Küchenpersonal, bei der psychologischen Betreuung. Es geht weiter bei den Sprachkursen, von denen es zu wenig gibt, bei den Berufsintegrationskursen, bei den Verwaltungsgerichten.
Es heißt ja immer, durch Corona und die Flüchtlingskrise sei die Bürokratie so ertüchtigt, dass es eigentlich kein Problem sei, auch großen Zuzug zu verkraften.
Natürlich tun wir uns heute leichter. Und weil wir es lange Zeit gut gelöst haben, wurde von den Medien von August bis Dezember das Thema überhaupt nicht aufgegriffen. Aber die besten Strukturen nützen nichts, wenn das Personal fehlt. Außerdem sind die letzten Jahre immer mehr Aufgaben bei den Landkreisen dazugekommen, von Datenschutz bis zur Digitalisierung. Keine Verwaltung hat 20 Mitarbeiter übrig, die sich allein um Herausforderungen wie Corona oder Asyl kümmern können. Aber das eigentliche Problem sind die zu hohen Zahlen, auch im Vergleich zu 2015/16.
Wie hoch sind sie jetzt?
2015 und 2016 haben insgesamt knapp 2000 Menschen Zuflucht in unserem Landkreis gesucht, heute leben knapp 3000 „Menschen mit Asylbezug“ bei uns, außerdem 1750 Ukraine-Flüchtlinge. Wir reden also von zweieinhalb Mal so viel. Wir haben jetzt die ganze Zeit über das Schiff gesprochen – aber dabei geht es ja nur darum, Suppe zu kochen und ein Dach über dem Kopf zu bieten. Das zu organisieren ist noch nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist die Integration. Die Menschen brauchen später Sprachkurse, Berufsintegrationskurse und zum Teil auch Kindergartenplätze – und gleichzeitig sollen unsere Betreuungsschlüssel eingehalten werden. Das Erschreckende ist, dass die Bundesregierung das null auf dem Schirm hat.
Vom jüngsten Asylgipfel, zu dem zuletzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser eingeladen hatte, waren Sie ziemlich enttäuscht. Waren Sie denn dabei?
Nein, es war ja niemand von uns dabei, nur der Vorsitzende des Deutschen Landkreistages.
Und die konkreten Ergebnisse?
Naja, also jetzt einen Arbeitskreis zu gründen und dann an Ostern weiterzureden, das ist schon eine Meisterleistung.
In Ihrem Landkreis leben auch noch viele Menschen, die 2015/16 gekommen sind. Was haben Sie denn da für Erfahrungen mit der Integration gemacht?
Grundsätzlich gute. Viele sind integriert, sprechen sehr gut Deutsch, manche sind auch schon eingebürgert. Aber es gibt eben auch viele, die nach Jahren immer noch von uns betreut werden müssen, sei es als Aufstocker, weil sie zwar arbeiten, aber noch nicht so viel verdienen, dass sie völlig für sich selbst sorgen könnten, sei es in Sprachkursen für sich oder auch schon für ihre Kinder.
Sie haben noch die Situation 2015/16 vor Augen. Sie sagten, es unterscheidet sich der Menge nach. Wonach noch? Gibt es zum Beispiel einen Unterschied, was die Willkommenskultur betrifft?
Den gibt es durchaus, weil die Ehrenamtlichen von damals zwar noch da sind, aber auch ausgebrannt. Die haben einfach so viel mithelfen müssen in der Alltagsintegration. Mir hat jetzt erst letzte Woche eine Frau geschrieben: Sie fühle sich wertgeschätzt von mir, sie wisse, wo sie immer hinkommen könne, die Mitarbeiter im Landratsamt seien nett, aber es sei einfach zu viel, wenn man quasi als Lebensbegleiter fungiere. Es geht ja nicht nur darum, mal am Sonntag zusammen einen Kuchen zu backen und miteinander zu ratschen, sondern die Realität ist, dass man mal hilft, ein Formular auszufüllen, mal zum Kindergartengespräch mitgeht, dann wieder zum Arzt. Das ist schon zur Daueraufgabe geworden, und da sagen viele Ehrenamtliche: Jetzt wird’s langsam zu viel.
Sind denn neue Ehrenamtliche nachgekommen?
Eigentlich nicht. Das Ehrenamt hat in allen Bereichen Probleme. Und jetzt haben wir natürlich die Ukrainer, auf die sich zuletzt ganz viel zusätzliches ehrenamtliches Engagement konzentriert hat.
Was würden Sie sich denn konkret von der Bundesregierung wünschen?
Am Ende muss es um eine Begrenzung gehen. Ob das jetzt die Bundesregierung am besten selbst oder zusammen mit den EU-Partnern macht, kann ich mir nicht anmaßen. Aber ich erwarte, dass die Zuständigen die Herausforderung erkennen und annehmen. Im November waren wir in Brüssel, die bayerischen Landräte, da hieß es, bei uns kommt an, dass es in Bayern kein Problem gibt. Alles kein Problem? Das haben wir bereits im September anders kommuniziert. Und weil wir wissen, dass morgen nicht die Lösung da sein wird, wird es Zeit, wenigstens daran zu arbeiten und nicht fünf Monate nach dem ersten Hilferuf einen Gipfel einzuberufen, bei dem rauskommt, dass man erst einmal einen Arbeitskreis einrichtet.
Sie sind durch die Sache mit dem Schiff gerade sehr in der Öffentlichkeit. Ist das nervig oder hat es auch sein Gutes?
Wenn das Schiff dazu beiträgt, dass das Thema bundesweit auf den Schirm kommt, dann ist mir das recht. Es hilft ja nichts. Wir werden das Problem nicht in Bach lösen, im Landkreis Regensburg nicht und in Bayern auch nicht. Der Bund muss das mit den Nachbarländern in der EU anpacken, da gehört es hin. Vor Weihnachten haben wir ja gedacht, es passiert gar nichts. Was sollen wir denn noch machen, die Asylbewerber einpacken und ins Kanzleramt fahren? Das ist ja nicht mein Niveau. Es geht nur zusammen. Jeder muss in seiner Zuständigkeit seine Aufgaben machen. Wir als Landräte tun das bereits.