Dem EU-Sondergipfel zur Migration dürften weitere Treffen zu diesem Thema folgen. Denn die Abschlusserklärung der 27 Mitgliedsländer ist alles andere als ein großer Wurf.
Ungarische Grenzpolizisten patrouillieren im Dezember 2022 an der ungarisch-serbischen Grenze in der Nähe des Dorfes Kelebia.© Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images
Im Jahr 2022 haben 924.000 Menschen in der EU einen Asylantrag gestellt. Das ist eine Steigerung um 50 Prozent. Der Druck auf die 27 Staats- und Regierungschefs der Union war entsprechend groß, als sie Donnerstagabend auf ihrem Sondergipfel in Brüssel über das Thema Migration berieten.
Es war nicht das erste Mal, sondern eines von gefühlt unzähligen Malen, dass sie das taten – und es war auch nicht der erste Sondergipfel dazu. Das Thema verfolgt die EU spätestens seit 2015 wie ein lästiges Gespenst, das sich nicht verscheuchen lässt. Das wird sich nicht ändern, denn die 27 haben sich zwar auf eine Abschlusserklärung geeinigt, sie ist aber alles andere als ein großer Wurf. Der war auch nicht zu erwarten, denn die Positionen der einzelnen Staaten liegen allzu weit auseinander.
EU will mehr Härte zeigen
Dass Zäune verschämt "Grenzinfrastrukturen" genannt werden, ist nur der Angst geschuldet, allzu radikal, allzu rabiat zu erscheinen. Auch hat die Kommission ihr Versprechen gehalten, dass sie auf keinen Fall Geld für den Bau von Zäunen zur Verfügung stellen wird, aber eben nur auf dem Papier. Denn die Kommission soll nach den Gipfelbeschlüssen künftig mehr Mittel freimachen, um zum Beispiel den Mitgliedstaaten Kameras, Sensoren und Fahrzeuge zum Grenzschutz bereitstellen zu können. Eine Grenzschutzanlage bestehe nun einmal – so hieß es – aus "statischen und dynamischen" Teilen.
Entschiedenheit ist nichts Verwerfliches
Es bleibt die Erkenntnis, dass die EU insgesamt mehr Härte nach Außen zeigen will. Dazu gehört auch, dass sie die Handelspolitik und Visapolitik als Druckinstrument einsetzen will. Den Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, droht die EU damit, Visaerleichterungen oder Zollvergünstigungen zu streichen.
In der Sache ist dagegen nichts einzuwenden.
Denn wie in allen anderen Bereichen auch wird die EU nur respektiert werden, wenn sie in der Lage ist, die eigenen Gesetze und Regeln durchzusetzen. Dazu gehört, zu kontrollieren, wer über die Grenze kommt und ob er ein Recht dazu hat. Dazu gehört, dass ausreisepflichtige Migranten – in Deutschland sind es 340.000 – ausreisen müssen. Und wenn die 27 Staats- und Regierungschefs sich dazu entschieden haben, unter Umständen auch Zwangsmittel anzuwenden, um sich durchzusetzen, dann sollte man das begrüßen.
Entschiedenheit bei der Durchsetzung der eigenen Interessen ist nichts Verwerfliches, sondern eine Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der Union.
Doch ist Vorsicht geboten. Die EU ist gut beraten, solche "Zwangsmittel" sparsam, gezielt und nur im äußersten Fall einzusetzen. Denn sie ist auch auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen. Und ob die EU für die Zuwanderer, die sie braucht, auch attraktiv ist, hängt auch davon ab, wie sie sich nach außen hin präsentiert.
Das Problem liegt innerhalb der EU
Wenn sie nur als Strafende erscheint, wenn sie nur den Kommandoton pflegt, dann wird ihr Image leiden, dann suchen sich Fachkräfte andere, freundlichere Aufnahmeländer aus.
Das eigentliche Problem liegt weniger im Außen-, sondern im Innenverhältnis der EU. Denn die Mitgliedstaaten halten sich nicht an die Regeln, die sie sich selbst gegeben haben. Die Staaten, in denen die Migranten zuerst ankommen – die sogenannten primären Aufnahmestaaten – müssen laut geltendem Recht diese Menschen registrieren, sie unterbringen und ihre Asylanträge prüfen. Das tun sie aber häufig nicht, sondern sie winken sie einfach durch.
Sie tun das, weil sie das Gefühl haben, dass sie bei der Bewältigung des Zustromes alleingelassen werden. Es ist gewissermaßen eine Form von Rache an den in ihren Augen säumigen Bündnispartnern. Und so landen viele Menschen, die in Italien, Ungarn oder Spanien angekommen sind, am Ende in Deutschland, den Niederlanden und Belgien, also in den sogenannten sekundären Aufnahmestaaten.
Trotz aller Beteuerung, trotz aller Bekenntnisse: In Sachen Migration traut kein Mitgliedstaat dem anderen.
Solange sich das nicht ändert, wird es auch keine umfassende Lösung geben.