Der Mann, der in einem Zug auf Menschen eingestochen haben soll, ist schon durch Gewalttaten aufgefallen. Nun wird die Frage laut: Warum wurde er nicht abgeschoben?
Das Wichtigste im Überblick
Es ist eine erschreckende Tat, die ganz Deutschland erschüttert: Offenbar wahllos hat am Mittwoch ein Mann in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein mit einem Messer auf zahlreiche Menschen eingestochen. Zwei Teenager, 16 und 19 Jahre alt, starben, weitere Reisende wurden schwer verletzt.
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um Ibrahim A., einen anerkannten Asylbewerber ohne Staatszugehörigkeit, der offenbar aus dem Gaza-Streifen stammt – und sich laut Medienberichten einiges hat zuschulden kommen lassen.
Seitdem er 2014 in Deutschland ankam, ist er offenbar schon mehrfach auffällig geworden. Zwölfmal ist er laut der Zeitung "Welt" polizeilich in Erscheinung getreten – wegen Diebstahls, gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung. Erst im August 2022 war er wegen zwei Gewaltdelikten in Hamburg verurteilt worden. Einem "Spiegel"-Bericht zufolge hatte er vor einer Essensausgabe für Wohnungslose mehrfach auf einen anderen Mann eingestochen. Erst vergangene Woche kam der mutmaßliche Täter von Brokstedt aus der Untersuchungshaft frei. Mehr dazu lesen Sie hier.
"Natürlich müssen wir über Abschiebungen sprechen"
GRÜNEN-CHEF OMID NOURIPOUR
Angesichts dieser Polizeiakte fragen sich viele: Wieso wurde Ibrahim A. bislang nicht abgeschoben?
Theoretisch ist die Sache klar: Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelkoalition eine "Rückführungsoffensive" angekündigt, bezogen insbesondere auf Gefährder und Straftäter. "Natürlich müssen wir über Abschiebungen sprechen", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour dazu am Mittwochabend in der ZDF-Talksendung "Markus Lanz". In der Praxis aber sind Abschiebungen nicht nur ein politisch heikles Thema, sondern auch schwierig umzusetzen, wie das Beispiel von Ibrahim A.s zeigen dürfte. Ein Überblick:
Gab es bei dem mutmaßlichen Täter Abschiebe-Überlegungen?
Ob deutsche Behörden erwogen hatten, Ibrahim A. abzuschieben, ist bislang noch nicht bekannt. Fest steht: Als ausreisepflichtig galt A. nicht, eine Abschiebung wäre derzeit nicht möglich.
Das Innenministerium von Schleswig-Holstein, wo der mutmaßliche Täter zuletzt gewohnt haben soll, verweist auf die Innenverwaltung von Hamburg, wo der mutmaßliche Täter zuletzt in U-Haft saß. Man vertraue darauf, dass die Überlegungen dort angestrengt worden sind, teilte eine Sprecherin mit. Der Innensenat in Hamburg wiederum teilte mit, dass das ausländerrechtliche Verfahren nicht bei der Hansestadt liege und er eine Abschiebung dementsprechend nicht anstoßen könne.
Während seiner ersten Jahre in Deutschland hatte Ibrahim A. in Nordrhein-Westfalen gewohnt, hier soll er verschiedenen Medienberichten zufolge auch mehrfach polizeilich aufgefallen sein. Eine Antwort der Behörden aus Nordrhein-Westfalen steht derzeit noch aus.
Unabhängig von der Zuständigkeit gilt: Eine Ausweisung des mutmaßlichen Täters, sollte sie denn angestrengt werden, ist vermutlich schwierig – unter anderem, weil er offenbar keine Staatsangehörigkeit besitzt. Dieser Umstand wiederum ist nicht ungewöhnlich: Viele Menschen, die im Gaza-Streifen geboren worden sind, gelten als staatenlos, da die Gebiete der palästinensischen Autonomiebehörde nicht als Staat anerkannt werden.
Zwar sind Abschiebungen in die palästinensischen Gebiete theoretisch trotzdem möglich, wie Gerichte festgestellt haben. In einem solchen Fall aber kommt es dann auf die Behörden des Heimatlandes an: Stellen sie die benötigten Papiere für eine Abschiebung aus oder nicht? Fakt ist: Abschiebungen in die palästinensischen Gebiete sind selten. Jüngsten Zahlen zufolge gab es etwa im gesamten Jahr 2021 sowie im ersten Halbjahr 2022 keine Rückführungen dorthin.
Warum wurde Ibrahim A. als Asylbewerber anerkannt?
Das ist derzeit offen. Fest steht bislang nur: Er erhielt im Jahr 2016 subsidiären Schutz. Das heißt: Die Behörden gingen in seinem Fall per Definition davon aus, dass ihm im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden wie Todesstrafe, Folter oder die Bedrohung durch einen bewaffneten Konflikt droht.
Sollte sich an dieser Einschätzung nichts geändert haben, würde das eine Abschiebung so gut wie unmöglich machen. So darf anerkannten Asylbewerbern ihr Status zwar nach schweren Straftaten entzogen werden. Droht der Person im Heimatstaat allerdings Gefahr für Leib und Leben, darf sie nicht abgeschoben werden.
Eine weitere offene Frage: Ist der mutmaßliche Täter von Brokdorf bereits rechtskräftig verurteilt worden, ist er also überhaupt schon ein verurteilter Straftäter? Bekannt ist derzeit nur: Es gab verschiedene Ermittlungen. Auch das Urteil wegen des Messerangriffs in Hamburg ist derzeit noch nicht rechtskräftig, da Ibrahim A. Berufung eingelegt hatte. Oberstaatsanwalt Carsten Ohlrogge sagte in einer Pressekonferenz, es habe sich um die erste Inhaftierung gehandelt. "Er gilt nach der Regelung in Schleswig-Holstein nicht als Intensivtäter."