Bundesinnenminister Nancy Faeser hätte sofort nach Illerkirchberg fahren müssen, wo ein Mädchen mit Migrationshintergrund wohl von einem Asylbewerber ermordet und eine andere schwer verletzt wurde. Hier sind fünf Gründe, weshalb.
Ministerin Faser, Tatort in Illerkirchberg dpa© dpa
Es ist nicht nur eine schreckliche, verstörende Bluttat. Was an der Ermordung des 14-jährigen Mädchens in Illerkirchberg eminent politisch ist, liegt auf der Hand.
Nämlich: Die Ermordete hieß Ece Sarigül und war eine Alevitin. Die Eltern der Verstorbenen, die der alevitischen Gemeine in Ulm angehören, veröffentlichten selbst ein Foto ihrer Tochter. Aleviten leben in ihrer großen Mehrheit undogmatisch, sie lehnen das islamische Gottesgesetz, die „Scharia“ rundheraus ab. Sie dürfen Schweinefleisch essen und tragen keine Kopftücher. In ihren „Cem“-Häusern beten Frauen und Männer gemeinsam, anders als in sunnitischen Moscheen.
Faeser setzt gerne Zeichen - aber nicht in Illerkirchberg
Will sagen: Man kann davon ausgehen, dass Ece Sarigül in Deutschland voll integriert war. Allein deshalb wäre es die Pflicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser gewesen, sofort nach Illerkirchberg zu fahren – vielleicht gerade als sozialdemokratische Politikerin. Faeser setzt gerne „Zeichen“, das jüngste mit der One-Love-Binde, die sie trug, als sie in Katar neben Fifa-Boss Gianni Infantino saß.
Türkische Botschafter war da - die Tat ist hochpolitisch
Es gibt aber einen weiteren Grund, weshalb Faeser nach Illerkirchberg hätte fahren müssen. Rund drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben in Deutschland. Es ist die größte Migrantengruppe in der Bundesrepublik. Die Zahl der Aleviten ist nicht genau bekannt, aber es gibt stabile Schätzungen. Die gehen davon aus, dass mindestens 500.000 der in Deutschland lebenden Türkischstämmigen Aleviten sind. Für diese große Gruppe wäre es wichtig gewesen, Faeser hätte ihnen mit ihrer Anwesenheit ein „Zeichen“ der persönlichen Anteilnahme gegeben. Es wäre auch eine Anerkennung ihrer eigenständigen Existenz in Deutschland gewesen.
Heute war der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl vor Ort, aber auch der türkische Botschafter Basar Sen. Es war ein hochpolitischer Besuch – der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht schließlich regelmäßig deutlich, dass er die in Deutschland lebenden Türken als „seine Leute“ ansieht – und dass Deutschland für die hier lebenden Türken nicht da ist.
Ausdrücklich warnte der Autokrat die hier lebenden Türken vor „Assimilation“, gemeint war, sich allzu sehr in Deutschland zu integrieren. Nancy Faeser hätte mit ihrer Anwesenheit auch der Türkei gegenüber zeigen können, dass sie das als deutsche Innenministerin völlig anders sieht, zumal viele Türken in Deutschland seit Jahrzehnten hier leben und einen Anteil am „Wirtschaftswunder“ haben – die ersten kamen mit dem deutsch-türkischen Anwerbe-Abkommen 1961.
Das war übrigens der Startschuss für eine geregelte Einwanderungspolitik nach deutschen Interessen – Wirtschafts- und Wohlstandsinteressen. Der Startschuss für diese Art von Einwanderungspolitik fällt also nicht erst jetzt, unter der Ampelregierung, er fiel 60 Jahre früher, unter einem christdemokratischen Bundeskanzler: Konrad Adenauer.
Tat ist das maximal mögliche Zeichen von Desintegration
Zurück nach Illerkirchberg. Der Täter, jedenfalls bestehen daran offenbar keine polizeilichen Zweifel, ist ein Asylbewerber aus Eritrea, der in Deutschland seit etwa sechs Jahren lebt. Einen anderen Menschen in dem Land zu ermorden, das einen als Gastland beherbergt, ist das maximal mögliche Zeichen von Desintegration.
Ein Asylbewerber, der einen Mord begeht, hat auch nach der Genfer Flüchtlingskonvention seinen Asylanspruch verwirkt – was in der Debatte um das Asylthema fast immer unter den Tisch fällt. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat gerade darauf hin- und auf Immanuel Kant verwiesen.
Palmer wird in einem langen Facebook-Post zum Fall in Illerkirchberg grundsätzlich: „Die Zurückweisung eines Hilfesuchenden, der ein Minimum an Achtung für den Helfenden vermissen lässt, ist eine notwendige Grenzziehung, die uns in allen sozialen Kontexten schon die Selbstachtung gebietet. Auch unser Staat muss diese Selbstachtung unter Beweis stellen, wenn er das Vertrauen, das ihm Bürgerinnen und Bürger entgegenbringen, dauerhaft rechtfertigen will.“
Jedenfalls: Ob psychisch krank oder nicht – dazu wird nun ein Gutachten angefertigt – der Täter hat in Deutschland nichts verloren, er hat auch keine zweite Chance verdient. Und auch dies hätte Nancy Faeser durch ihre Anwesenheit in Illerkirchberg demonstrieren müssen.
„Chancenaufenthaltsrecht“ - Lametta-Sprache
Faeser betreibt einen Paradigmenwechsel in der Ausländerpolitik, sie will zurück zu einer Willkommenskultur. Abgelehnte Asylbewerber, von denen mehrere Hunderttausend noch in Deutschland leben, weil sie hier geduldet werden, also Schutz vor Abschiebung genießen, sollen einen regulären Aufenthaltstitel bekommen. Faeser nennt das, in inzwischen üblich gewordener Lametta-Sprache, „Chancenaufenthaltsrecht“. Ausländer, die länger als fünf Jahre hier leben, sollen einen deutschen Pass bekommen können – und ihren alten Pass nicht abgeben müssen.
Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung ist aber auch von Abschiebungen die Rede, die hier politisch korrekt „Rückführungen“ genannt werden. Den zwischen den Koalitionsparteien vereinbarten „Rückführungsbeauftragten“, der mehr Abschiebungen möglich machen soll, gibt es aber noch nicht. Was den Liberalen Wolfgang Kubicki zu der Feststellung bringt, Faeser kümmere sich nur um das, was linken Sozialdemokraten und Grünen ein Anliegen sei.
Auch diesen Eindruck hätte Faeser längst korrigieren müssen – schon im eigenen Interesse. So aber ist ihre selbst gewählte Abwesenheit in Illerkirchberg von erheblicher Lautstärke. Es handelt sich um ein dröhnendes Schweigen.