Strom wird nicht nur teurer – sondern ist auch immer schwerer zu bekommen. In Osnabrück kündigen die Stadtwerke über 1000 Firmenkunden. Anschlussverträge? Fehlanzeige. Ähnlich geht es Mittelständlern im ganzen Land.
Folge der Strompreisexplosion: Allein die Stadtwerke Osnabrück kündigen 1000 Unternehmen. Darunter sind auch die Edeka-Filialen von Mechthild Möllenkamp. Foto: imago imagesdata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Wirtschaftswoche
Eigentlich will Mechthild Möllenkamp nichts anderes tun, als ihren Kunden „leckere und schöne“ Sachen verkaufen. „Aber jetzt beschäftige ich mich nur noch mit Energiepreisen“, sagt sie. Möllenkamp betreibt in Osnabrück fünf Edeka-Filialen. Und steht – Stand jetzt – Ende des Jahres ohne Stromvertrag da.
Ihr Versorger, die Stadtwerke Osnabrück, haben ihren auslaufenden Vertrag zum 31.12. gekündigt. Ein normaler Vorgang zum Laufzeitende – eigentlich. Aber diesmal gab es im Gegensatz zu den anderen 24 Jahren, die Möllenkamp schon Stadtwerke-Kundin ist, kein Angebot für einen Anschlussvertrag. „Die Stadtwerke haben gar nichts angeboten, das ist die große Enttäuschung für mich“, sagt Möllenkamp am Telefon.
So wie Möllenkamp geht es vielen Unternehmern und Einzelhändlern. Allein in Osnabrück sind über 1000 Geschäftskunden betroffen, deren Verträge zum Jahresende auslaufen und die aktuell keine neuen Angebote vom Grundversorger bekommen. Nicht nur Stadtwerke oder kleinere Versorger beenden die Verträge, selbst E.On kündigt Stromkunden.
Eine Million Euro an Mehrkosten – für den Strom
Auch bei Möllenkamp wären die Preissteigerungen extrem gewesen. Bisher zahle sie vier Cent pro Kilowattstunde Strom. Würde sie in die Grundversorgung rutschen, die die Stadtwerke Osnabrück Geschäftskunden drei Monate bieten, würde sich der Preis auf 50 bis 80 Cent erhöhen. Für ihre fünf Edeka-Märkte würde das im schlimmsten Fall über eine Million Euro an Mehrkosten bedeuten. „Und wir können nicht einfach mal zwei Monate zumachen, schon gar nicht ohne Strom, dann vergammelt ja alles in unseren Tiefkühltruhen und Kühlhäusern.“
Ein Sprecher der Stadtwerke Osnabrück bestätigt, dass eine „kleinere vierstellige Anzahl“ Geschäftskunden betroffen sei, deren Verträge zum Jahresende auslaufen und die aktuell kein Folgeangebot bekämen. Für Geschäftskunden kaufen die Stadtwerke normalerweise stichtagsbezogen die Menge Strom ein, die sie für das kommende Jahr brauchen.
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Aktuell schwanken die Strompreise aber so stark, dass die Stadtwerke nicht in der Lage seien, Verträge anzubieten. „Die Kalkulierbarkeit von Preisen bei stichtagsbezogenen Verträgen ist de facto unmöglich geworden“, so der Sprecher. Dass die Stadtwerke Osnabrück im vergangenen Jahr 16,9 Millionen Euro Verlust gemacht haben, soll damit nichts zu tun haben.
Eishalle schließt, Unternehmer sorgen sich
Im ganzen Land murren Mittelständler und machen sich Sorgen, ob sie im kommenden Jahr überhaupt noch Strom beziehen können. Ob produzierendes Gewerbe, Einzelhandel oder Autohaus, die Nöte sind dieselben.
Eine Eishalle in Ludwigshafen schließt Ende des Jahres – der dreijährige Stromliefervertrag läuft dann aus. Statt 10.000 Euro würde der Betrieb der Kälteanlage monatlich dann zwischen 50.000 und 80.000 Euro kosten. „Das ist betriebswirtschaftlich nicht tragbar und wäre mit einer Insolvenz des Vereins verbunden“, heißt es auf der Website des Eis- und Rollsportvereins Ludwigshafen. Und: „Wir sind weiter im Gespräch mit allen zuständigen Stellen und versuchen eine Lösung zu finden.“
In einem Edeka-Markt in Stadthagen muss der Betreiber künftig statt 74.000 Euro fast eine halbe Million Euro für den Strom zahlen. Und der Osnabrücker Zoo rechnet bei den angestiegenen Preisen mit 200.000 Euro Mehrkosten im Jahr. „Ich wüsste gar nicht, wo das herkommen soll“, sagt Zoopräsident und Lokalpolitiker Fritz Brickwedde, der auch im Aufsichtsrat der Stadtwerke sitzt.
Unternehmerinnen fordern jetzt Lösungen von der Politik. „Wir dürfen unsere mittelständischen Unternehmen nicht in den Ruin treiben“, sagt Brickwedde. Die EU und der Bund müssten handeln, damit die Strompreise wieder ein normales Niveau erreichen. „Man kann das Problem nicht über die Stadtwerke lösen, sondern muss es an der Wurzel anpacken.“ Wichtig sei vor allem: mehr Strom produzieren.
Einige Unternehmer fordern auch, die Umlagen auf den Strompreis zeitweise abzuschaffen. Laut Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) machten Steuern, Ablagen und Umlagen bei Haushalten zuletzt gut 30 Prozent des Strompreises aus. Bei den Preisen für die Industrie liegt der Anteil seit Wegfall der EEG-Umlage allerdings nur bei drei Prozent.
Filialschließungen wegen hoher Energiekosten?
Die Stadtwerke in Osnabrück beraten derweil ihre ehemaligen Kunden dabei, Energie zu sparen, effizienter zu werden. „Wir haben teils langjährige Lieferbeziehungen und wissen, wo es Potenziale gibt“, sagt der Sprecher. Der Beratungsbedarf sei „immens gewachsen“.
Auch Möllenkamp überlegt fieberhaft, an welchen Stellen sie Strom sparen kann: Manche Bedienungstheken könnte sie früher schließen, statt Backstation im Markt zur Selbstbedienung plus eine mit Bedienung, will sie das vielleicht wieder auf eine Option beschränken, „und der Kunde kriegt trotzdem Brot und Brötchen.“ „Wir stellen da gerade viele Überlegungen an, bis hin zu Filialschließungen“, seufzt sie.
Eben habe sie mit einem Kollegen telefoniert, der einen Edeka im Emsland betreibt. Am Telefon habe der geweint. Er wisse einfach nicht, wie er sich mit Energie versorgen soll. „Die Preissteigerungen liegen in einem Bereich, den wir nicht finanzieren können.“
Möllenkamp hat mittlerweile eine Option, immerhin. Im neuen Vertrag eines anderen Versorgers ist der Grundpreis zwar fünfmal so hoch wie vorher. Doch wenn sie den Vertrag nicht unterschreibe, finde sie keinen Versorger, der ihr 1,5 Millionen Kilowattstunden Strom für ihre fünf Edeka-Märkte liefert.
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