Habeck informierte AKW-Betreiber offenbar nicht über Plan für Einsatzreserve© Bereitgestellt von Berliner Zeitung
Die Überraschung war groß, als der Bundeswirtschaftsminister am Montag vor der Presse seine Pläne für die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 vorstellte. Geht es nach Robert Habeck, sollen die beiden Meiler ab Jahresende bis Mitte April 2023 in einer sogenannten Einsatzreserve bereitgehalten werden. Im Fall von Stromengpässen in der Energiekrise, so die Idee des Grünen-Politikers, könnten die AKW dann rasch wieder hochgefahren werden. Vorausgegangen war ein Stresstest, bei dem das Ministerium Netzbetreiber prüfen ließ, ob in bestimmten Szenarien genug Strom zur Verfügung stünde und das deutsche Netz stabil bliebe.
Doch offenbar hörte nicht nur die Öffentlichkeit an diesem Tag zum ersten Mal von den Absichten des Ministers. Wie der Berliner Zeitung mehrere unabhängige Quellen bestätigten, informierte Habeck die Betreiber der Atomkraftwerke vor dem vergangenen Montag nicht über seinen Plan.
EnBW teilte mit, dass die „Details der beschlossenen Vorgehensweise“ nun von der Bundesregierung „konkretisiert bzw. geklärt werden“ müssten – und das „möglichst im Austausch“ mit den Betreibern. Darüber hinaus wollten sich beide Unternehmen auf Nachfrage der Berliner Zeitung nicht äußern.
Auf die konkrete Frage der Berliner Zeitung an das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), „ob das Ministerium die AKW-Betreiber über die Pläne für eine ‚Einsatzreserve‘ informiert hat, bevor das Vorhaben am Montagabend vorgestellt wurde“, antwortete das BMWK nur grundsätzlich. „Ich kann bestätigen, dass es vor der Verkündung der Entscheidung Gespräche mit den Betreibern der Kraftwerke gab“, teilte eine Sprecherin mit.
Dass grundsätzlich Kontakt zwischen BMWK und Betreibern besteht, steht allerdings außer Frage. Immerhin wird ein möglicher Streck- oder Weiterbetrieb der drei noch verbliebenen deutschen AKW schon seit Monaten diskutiert. Die Idee einer Einsatzreserve wurde den Energiekonzernen nach Informationen der Berliner Zeitung jedoch bis Montag nicht vorgestellt.
Dabei sind offenbar mehrere zentrale Fragen noch offen. Da wäre das Personal: In einem Interview mit dem Spiegel hatte Eon-Chef Leonhard Birnbaum schon am vergangenen Wochenende erklärt, dass die Mitarbeiter am Meiler Isar 2 bereits einen Sozialplan unterschrieben hätten. Einige von ihnen gingen am 31. Dezember in Rente. Dann sollte das AKW in Bayern eigentlich endgültig abgeschaltet werden. Zwar hätte der Konzern wohl auch im Fall eines Streck- oder Weiterbetriebs vor der Aufgabe gestanden, seinen Sozialplan überarbeiten zu müssen. Hinzu kommt nun aber die Herausforderung, die Beschäftigten auf die Einsatzreserve vorzubereiten.
Bereits vor der Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers hatte Eon-Chef Birnbaum im Gespräch mit dem Spiegel gemahnt: „Es ist nicht trivial, ein Kernkraftwerk anders zu fahren.“ Das dürfte gerade für einen Reservebetrieb gelten, den es so in Deutschland und wohl auch weltweit noch nie gegeben hat.
Neben Fragen der technischen Umsetzung könnte es auch bei den Kosten unterschiedliche Ansichten zwischen Regierung und Betreibern geben. Das Wirtschaftsministerium kündigte an, dass diese vom Staat erstattet würden – demnach geht es um „überschaubare Kosten für Personal und Technik“, die „für das Vorhalten der Einsatzreserve“ anfielen. Hingegen hatte Eon-Chef Birnbaum mit Blick auf einen möglichen Streckbetrieb gesagt, dass es einen „Haufen Geld kosten“ würde, den geplanten Rückbau von Isar 2 zu verschieben und neu zu planen.
In der Opposition sorgt Habecks Vorgehen für Unverständnis. „Es gibt gravierende Zweifel, ob das so überhaupt umsetzbar ist“, sagte der stellvertretende CDU-Fraktionschef und Energiepolitiker Andreas Jung der Berliner Zeitung. „Die Kraftwerke können nicht auf Knopfdruck eben mal so hochgefahren werden.“ Dafür brauche es mindestens sieben Tage, eher aber mehr, so Jung. Der Wirtschaftsminister hatte am Montag gesagt, das Wiederanfahren der AKW werde ungefähr eine Woche dauern.
Jung sieht das kritisch. Man könne nicht jede Notlage schon über eine Woche im Voraus vorhersehen, sagt der CDU-Politiker. Auch er bemängelt eine offenbar mangelhafte Absprache mit Eon und EnBW: „Offenkundig wurden diese Fragen noch nicht einmal im Vorfeld mit den Betreibern geklärt.“ Der Energieexperte meint: „Mit all diesen ungeklärten Fragen könnte Habecks Vorschlag das faktische Aus aller drei Kernkraftwerke zum Jahresende besiegeln.“