Der bekannte US-Ökonom Joseph Stiglitz hat eine pragmatische Energiepolitik in Deutschland angemahnt. Um Versorgungsengpässe zu verhindern, gelte es, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.
Energiekrise: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rät zu längeren AKW-Laufzeiten© Frank Hoermann / Sven Simon / IMAGO
Ob Fracking oder Atomkraft: Im Kampf gegen die Energiekrise sollte Deutschland nach Ansicht von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz alle Register ziehen. »Im Krieg muss man pragmatisch sein«, sagte Stiglitz in einem Interview mit der »Welt«. »Jetzt ist nicht die Zeit für halbherzige Maßnahmen.« Um die Versorgungsengpässe zu beheben, gelte es in Energiealternativen zu investieren. »Europa hätte das schon vor sechs Monaten erkennen sollen, aber es ist immer noch möglich«, sagte er.
Fracking sei dabei »tatsächlich eine Möglichkeit«. Zwar dürfe das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 nicht aus den Augen verloren werden. »Aber das Gute am Fracking ist, dass es eine kurzfristige Maßnahme ist, die man aufsetzen kann und genauso schnell wieder beenden kann.«
Stiglitz: Merkel bereits 2006 vor Abhängigkeit zu Russland gewarnt
Hierzulande streitet die Regierung trotz Energiekrise seit Monaten über eine kurze Verlängerung der Laufzeiten für die noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke. Vor allem die Grünen tun sich schwer mit solch einem Streckbetrieb – oder gar damit, bereits stillgelegte AKWs wieder hochzufahren. Sie verweisen auf Risiken der Technologie. In der Bevölkerung hat sich angesichts der knapper und teurer werdenden Energie die Haltung zum für Ende 2022 geplanten Atomausstieg inzwischen gewandelt. (Lesen Sie hier: Atomkraft? Ja bitte!)
Stiglitz, der 2001 für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sagte, es komme jetzt darauf an, alles in Betracht zu ziehen, um die Engpässe auszugleichen. Das gelte auch für die erneuerbaren Energien. »Warum sagt man hier nicht einfach: Lasst uns alle Solarpaneele nutzen, die wir auftreiben können, lasst uns alle Windräder anwerfen, die wir haben. Ihr habt so viel Wind hier in Deutschland – nutzt das doch einfach.«
Bereits 2006, so der Wirtschaftswissenschaftler, habe er die Bundesregierung schon davor gewarnt, »dass es dumm ist, sich derart auf Gas aus Russland zu verlassen, weil Russland kein verlässlicher Partner ist«. Eine Antwort von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel habe er daraufhin nie bekommen. »Dabei habe ich den Aufsatz damals wirklich sehr klar formuliert.«
Daran, dass die Regierung angesichts der explodierenden Preise nun auch an Gegenmaßnahmen denkt, kann Stiglitz immerhin etwas Gutes erkennen. »Es ist gut, wenn die Regierung über niedrigere Steuern oder andere Maßnahmen dabei hilft, die Preise zu stabilisieren. Schließlich können sich die Menschen nicht gegen höhere Preise absichern.«
Die Frage, ob dabei auch Unternehmen gerettet werden sollten, sei dagegen schwieriger zu beantworten. »Ich bin eigentlich dagegen, Unternehmen zu retten, die keine ausreichende Risikovorsorge für Probleme gebildet haben, die eigentlich offensichtlich waren«, sagt Stiglitz. »Aber wenn man schon Bailouts durchführt, dann sollte der Staat auch Aktien bekommen, um auch dabei zu sein, wenn die Zeiten wieder besser werden.«
Aktuell plant der Staat eine Rettung von angeschlagenen Energieunternehmen mithilfe der Energieulage. Beim besonders kriselnden Konzern Uniper will er zudem einsteigen.