© WELT/ Marco ReinkeBundesweit wird über mögliche Alternativen zur bisherigen Gasgewinnung diskutiert. Fracking gelangt immer mehr in den Fokus. Eine Art der Gasgewinnung, die bisher eher als Tabu galt. Quelle: WELT/ Marco Reinke
Deutschland steckt in der Erdgas-Krise, es ist abhängig von russischen Lieferungen, die reduziert werden. Eigene Ressourcen rücken in den Blickpunkt: Unter Deutschland liegen riesige Mengen an Erdgas, die das Land Geologen zufolge auf Jahrzehnte versorgen könnten.
Per Fracking ließen sich die Energie-Reserven erschließen. Doch die vorherige Bundesregierung hat die Bohrtechnologie 2017 verboten, obwohl wissenschaftliche Gutachten Fracking auch in Deutschland als praktikabel ausgewiesen hatten.
Das Verbot ist nicht in Stein gemeißelt, laut Wasserhaushaltsgesetz sollte es überdacht werden: Der Deutsche Bundestag war verpflichtet, die Angemessenheit des Frackingverbots bereits 2021 zu überprüfen – „auf der Grundlage des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaft und Technik“, wie es im Gesetz heißt. Indes: Das ist nicht geschehen – trotz Gaskrise.
Der Bundestag verweist auf WELT-Anfrage darauf, dass die „Expertenkommission Fracking“ ihren Bericht von 2021 erst Ende Juni eingereicht habe, auf dessen Grundlage beraten werden solle. Über den Zeitpunkt der parlamentarischen Beratung würden nun die Fraktionen der im Bundestag vertretenden Parteien entscheiden.
„Vor September nach Ablauf der Sommerpause passiert in der Sache nichts“
Anfragen von WELT bei zuständigen Gremien der Parteien ergaben keine Antwort. Klar ist lediglich, dass ein Termin für die Prüfung des Fracking-Verbots noch nicht vereinbart worden ist.
„Vor September nach Ablauf der Sommerpause passiert in der Sache nichts“, sagt eine SPD-Mitarbeiterin. Der Bericht der Fracking-Kommission habe zwar schon eine Drucksachen-Nummer, aber es gebe noch keine Überweisung an einen Ausschuss.
Es werde voraussichtlich „in einer der Sitzungswochen im September entschieden, welcher Ausschuss die Federführung für die Behandlung erhält, ob der Ausschuss für Klima und Energie oder der Umweltausschuss“, erläutert ein Experte von der CDU. Danach würde „das weitere Verfahren beschlossen“.
Auch die Opposition zeigt wenig Interesse
Das Interesse der Parteien am Fracking scheint gering, selbst die Opposition macht keinen Druck. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Klimaschutz und Energie, Andreas Jung, sieht die Prüfung des Frackingverbots zwar als „einen gesetzlichen Auftrag“. Er lehnt Fracking aber ab, trotz Erdgasmangels: Die Technologie sei in Deutschland „aus gutem Grund wegen drohender Auswirkungen auf Umwelt und Natur ein Riegel vorgeschoben“ worden.
Wissenschaftler indes haben erneut versucht, Fracking auf die politische Tagesordnung zu setzen. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler wollte diesen Sommer vor der Bundespressekonferenz über die Technologie und ihr Potential zu informieren, doch der Vorstand der Bundespressekonferenz lehnte nach WELT-Informationen im Juli ab.
Fracking könnte „eklatante Importabhängigkeit erheblich reduzieren“
Forscher hatten wiederholt grünes Licht für Fracking in Deutschland gegeben. „Solange wir in Deutschland Erdgas benötigen, ist es – freundlich ausgedrückt – ein Schildbürgerstreich, dass wir es nicht bei uns fördern“, sagt der ehemalige Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Rohstoffexperte Hans-Joachim Kümpel. Heimisches Fracking-Gas könne „die eklatante Importabhängigkeit erheblich reduzieren“.
Beim Fracking wird für die Gewinnung von Erdgas Gestein im Boden mit einer Flüssigkeit zerbrochen. Die Technologie hat einen schlechten Ruf, obwohl es seit Jahrzehnten erprobt ist und inzwischen kaum noch Probleme auftreten.
Ein internationales Gremium von Geologen-Verbänden hat sich angesichts vieler Falschberichte über angebliche Umweltschäden in ihrer „Kopenhagener Erklärung“ über „häufige irreführende Medienmeldungen zur Exploration und Nutzung von Schiefergas“ beschwert, was „zu schlechten Entscheidungen für die Gesellschaft führen kann“.
Gutachten von Wissenschaftlern deutscher Forschungsinstitute kamen sämtlich zu dem Schluss, dass Risiken beim Fracking leicht beherrschbar wären, sofern bestimmte Regionen von der Förderung ausgeklammert würden: Regionen, in denen Trinkwasser gewonnen wird, Bruchzonen und Erdbebengebiete sollten gemieden werden. Zudem sollten Gasreservoire oberhalb von 1000 Metern nicht angestochen werden, um den Abstand zum Grundwasser zu wahren.
Proteste verhinderten Fracking
Fracking-Technologie wird seit Jahrzehnten erprobt. In Deutschland wurde nach Angaben der Industrie rund 300-mal gefrackt, um aus gewöhnlichen Lagerstätten mehr Erdgas herauszuholen. Probleme habe es nicht gegeben.
Noch 2012 hatte die SPD-Bundestagsfraktion gefordert, dass „die Erschließung neuer Erdgasquellen möglich bleiben muss“. Die Bundesregierung erarbeitete ein Konzept, nach welchen Kriterien Fracking-Förderung genehmigt werden sollte.
Dass der Energieschatz unter Deutschland nicht geborgen wurde, lag wesentlich am Protest von Klimaschützern gegen die Förderung fossiler Energien, zum anderen am Protest gegen Fracking. Von Medienberichten über die Proteste aufgeschreckt hatten Bürger ihre Abgeordneten in den Wahlkreisen unter Druck gesetzt, Fracking zu verhindern.
In der aktuellen Erdgas-Not plädieren Wissenschaftler erneut für die Förder-Technologie. „Angesichts der politischen Lage sollte Deutschland fracken“, meint etwa der Energieforscher Mohammed Amro von der Bergakademie Freiberg. Binnen eines Jahres könnte in Deutschland mit der Förderung von Schiefergas begonnen werden. In fünf Jahren ließe sich die Förderrate so weit erhöhen, dass Deutschland mit heimischem Fracking-Gas ein Fünftel seines Erdgas-Bedarfs decken könnte, sagt Amro.
„Bundesregierung legt nicht alle Optionen auf den Tisch“
Vereinzelt schließen sich einige Politiker mittlerweile den Wissenschaftlern an. „Die Bundesregierung legt in der aktuell schwierigen Situation nicht alle Optionen auf den Tisch“, sagt der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch zu WELT. Mit deutscher Erdgasförderung ließen sich russische Importe „zwar nicht vollständig kompensieren, sie könnten aber die Abhängigkeit von Importen deutlich verringern“. Er erwarte von der Bundesregierung „schleuniges Umdenken“.
Ein Einlenken der Regierung scheint allerdings unwahrscheinlich. Mit ihrem Bericht „Evaluierung des Regelungspakets Fracking“ wollten die Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Bildung vergangenes Jahr offenbar einen Schlussstrich unters Fracking-Thema setzen. Der neunseitige Text kam zu dem Schluss: „Insgesamt haben sich die Vorschriften des Regelungspakets Fracking bewährt“. Empfehlungen zur Änderung von Rechtsvorschriften würden „derzeit nicht abgegeben“ – eine Revision des Verbots wäre demnach unnötig.
So einfach kann die Regierung das Fracking allerdings nicht abschütteln. Es bestehe „rechtlicher Handlungsbedarf“, stellt der Rechtswissenschaftler Michael Reinhardt von der Universität Trier fest. Experten hätten für Fracking ein „eher geringes und beherrschbares Risiko für Mensch, Umwelt und Gewässer attestiert“, was der Gesetzgeber in eine „komplexe Verhältnismäßigkeitsprüfung“ einfließen lassen müsse.
Zu hoffen, es würde niemand vor Gericht protestieren, um das Parlament zu drängen, sich des Themas anzunehmen, wäre „der Bedeutung der Angelegenheit nicht angemessen“, schreibt Reinhardt. Der Deutsche Bundestag sei zur Schaffung einer endgültigen Regelung in Sachen Fracking verpflichtet.