Die Klagen durften sich sowohl Finanzminister Christian Lindner (FDP) als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei ihren Dienstreisen nach Tschechien in den vergangenen Wochen anhören: Vergesst uns in Osteuropa bei euren Energierettungsaktionen nicht, wir sind bislang noch sehr viel stärker abhängig von russischem Gas – und noch weiter weg von Häfen, etwa in den Niederlanden, über die Flüssiggas als Alternative kommen kann.
© WELT / Marie PrzibyllaDie EU-Kommission plant eine engere Gas-Kooperation mit einem weiteren Lieferanten. „Aserbaidschan ist ein Pfeiler, auf den man sich stützt“, sagt Marie Przibylla. „Eine Pipeline nach Europa gibt es schon“, so die WELT-Reporterin. Sie berichtet über den geplanten Ausbau und mögliche Fördermengen. Quelle: WELT / Marie Przibylla
Wie unterschiedlich Europa von einem dauerhaften Gaslieferstopp aus Russland betroffen wäre, macht ein Report des Internationalen Währungsfonds (IWF) deutlich. Dabei lässt sich grob sagen: Je weiter die Länder im Osten liegen, desto stärker sind die heimischen Unternehmen und damit auch die Beschäftigten und privaten Haushalte betroffen.
Für Ungarn, die Slowakei und Tschechien machen die IWF-Experten das Risiko eines Wirtschaftseinbruchs von „bis zu sechs Prozent aus“. Auch Italien würde eine dauerhafte Lieferunterbrechung aus Russland hart treffen. Gas komme dort stärker als in anderen Ländern bei der Stromproduktion zum Einsatz.
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Wobei die Prognoseunsicherheit sehr hoch ist, wie die IWF-Ökonomen selbst einräumen. Im besten Fall liegt das Minus in Deutschland bei nicht einmal 0,5 Prozent. Auch für die Länder in Osteuropa besteht demnach noch Hoffnung, weniger stark in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Entscheidend dafür ist aus Sicht des IWF, ob die EU-Länder bei der Beschaffung von alternativer Energien zusammenarbeiten oder sich jeder selbst der Nächste ist. „Die Regierungen müssen ihre Anstrengungen erhöhen, sich Flüssiggaslieferungen zu sichern“, heißt es in dem IWF-Report. Genauso müssten sie sich aber auch darauf verständigen, wie sie intelligent mit den vorhandenen Mengen umgehen, wer etwas bekommt und wie viel.
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Dabei macht die unterschiedliche Betroffenheit von einem Gaslieferstopp – Ungarn stark und Portugal, Spanien, Frankreich wenig – auch die unterschiedliche Interessenlage innerhalb der Europäischen Union deutlich. Dies wird auch bei der Diskussion über den Notfallplan der Europäischen Kommission eine Rolle spielen, der am Mittwoch in Brüssel präsentiert werden soll.
Davon unabhängig hat Wirtschaftsminister Habeck vergangene Woche den Plan für ein Erdgas-Solidaritätsabkommen mit Tschechien präsentiert. Er unterschrieb mit seinem tschechischen Amtskollegen eine entsprechende Absichtserklärung. „Wir helfen uns gegenseitig mit der Gasversorgung und werden das auch aus Deutschland für Tschechien tun“, sagte er.
Gelingt diese Zusammenarbeit in ganz Europa, geht der IWF EU-weit von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung in den kommenden zwölf Monaten zwischen 0,5 Prozent und 1,5 Prozent aus.