© Bereitgestellt von Berliner ZeitungWarum muss ich eigentlich Strom sparen, wenn wir Gas sparen müssten?
Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller (Grüne) beruhigt die Menschen im Fernsehen: Es sei das Gasproblem, das man in Deutschland lösen müsse – man habe keine Stromlücke und deswegen brauche man auch keine Atomkraft mehr.
Doch plötzlich redet die Politik nicht nur darum, wie man mit Duschköpfen und Händewaschen Gas bzw. Wärme sparen muss und kann, sondern auch, dass man bei Gebäuden auf die Fassadenbeleuchtung verzichten oder die Büroräume im Sommer auf nur noch 26 Grad herunterkühlen müsste. Das Finanzministerium in Mecklenburg-Vorpommern prüft sogar, ob die verstärkte Nutzung von Homeoffice eine Möglichkeit zum Energiesparen wäre – wie in der Corona-Pandemie.
Doch wo ist die Grenze zwischen vernünftigen Appellen zum Energiesparen aufgrund der Gasknappheit und symbolischen Akten bzw. Bevormundung durch die Politik? Wenn Deutschland eine Gasknappheit hat und nicht eine Stromlücke, muss ich also unbedingt auch Strom sparen, um mich nicht wie ein unsolidarischer Energie-Schurke zu fühlen?
Schon jetzt werden die Gaskraftwerke „angesichts des Preisgefüges“ aus dem Markt verdrängt, wie das Wirtschaftsministerium der Berliner Zeitung mitteilt. Gas bleibt allerdings eine wichtige Wärmequelle in Deutschland. Aber im Jahre 2021 habe es nur zu circa 15 Prozent zur öffentlichen Stromerzeugung beigetragen, so die Energie-Sprecherin des Ministeriums Susanne Ungrad. In den ersten Monaten 2022 dürfte dieser Anteil noch geringer sein. Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Gas-Anteil bei der allgemeinen Stromerzeugung in Deutschland sogar nur bei 12,6 Prozent, was schon 5,8 Prozent
geringer ist als im Vorjahr.
Dazu hat die Bundesregierung am Mittwoch eine erste Verordnung beschlossen, die der Kohle als einem Gas-Ersatz bei der Stromerzeugung grünes Licht gibt. Diese Gasersatz-Reserve wird bis zum 31. März 2024 funktionieren. Und die Kohlekraftwerke werden so ertüchtigt, so die Ministeriumssprecherin, kurzfristig an den Markt zurückzukehren. Der Gasverbrauch zur Stromerzeugung werde also substanziell reduziert.
Und was sagt die Industrie? Der Energieversorger RWE gibt sich auf Anfrage zurückhaltend, will auch nicht ans Stromsparen appellieren. Der Konzern produziert Strom neben den erneuerbaren auch aus fossilen Energiequellen wie Braunkohle und Gas. Und mit Gas als Stromerzeuger ist es bei RWE jetzt fast passé. Aufgrund der hohen Gaspreise werden die RWE-Gaskraftwerke nur dann eingesetzt werden, so der Sprecher Matthias Beigel, wenn die Bundesnetzagentur sogenannte Redispatch-Maßnahmen vornehmen müsste. Also: um andere Strom erzeugende Kraftwerke vor Überlastung zu schützen oder um potenzielle Stromlücken zu verhindern. Das ist aber noch nicht geschehen.
Die Haushalte können also Strom ohne schlechtes Gewissen wie üblich verbrauchen, wenn sie bereit sind, ebenfalls gestiegene Strompreise zu ertragen und wenn ihnen bewusst ist, dass die Umwelt zusätzlich belastet wird (Stichwort Kohle). Der Gas-Anteil beim Stromverbrauch ist jedenfalls marginal und könnte im Laufe des Jahres vollkommen irrelevant werden, falls der Stromverbrauch ungefähr so hoch sein wird wie vergangenes Jahr. Falls nicht, müssen zusätzlich Gaswerke zum Einsatz kommen.