Russland-Konflikt und Klimawandel fordern Energiekonzerne heraus – und verlangen mehr Engagement für erneuerbare Rohstoffe. Drei Beispiele zeigen, welches Potenzial das hat.
© Bereitgestellt von HandelsblattNie war der Handlungsdruck beim Thema Energie für Unternehmen so hoch wie jetzt. Foto: dpadata-portal-copyright=
Nachhaltige Energieversorgung gewinnt bei europäischen Unternehmen rapide an Bedeutung. Der Markt für Energielösungen dürfte sich bis 2035 vervierfachen. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Studie der Strategieberatung PwC Strategy& hervor, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Laut der Prognose steigt der Marktwert für Energielösungen zwischen Unternehmen (B2B) von derzeit 25 Milliarden bis 2035 auf 100 Milliarden Euro.
Nie war der Handlungsdruck für die Energieunternehmen so hoch wie jetzt. Der Krieg in der Ukraine hat zwar kurzfristig die Nachfrage nach Öl und Gas steigen lassen. Der Konflikt zeigt aber, wie gefährlich die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern ist.
Auch der Klimawandel erhöht den Druck auf Regierungen, die Gesetzgebung weiter zu verschärfen. Die Bundesregierung hat daher gerade den Weg frei gemacht für den massiven Ausbau der Öko-Energien. Bis 2030 soll grüner Strom 80 Prozent am Energiemix ausmachen.
Für Energiekonzerne heißt das: Das Geschäft mit fossilen Rohstoffen dürfte in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Wer bestehen will, braucht neue Geschäftsmodelle.
Cozero: CO2 einsparen mit Software-Unterstützung
Klar ist: Sowohl äußere Umstände als auch Investoren und Kunden fordern von Unternehmen, schnell klimafreundlich zu werden. Axel von Perfall, Director bei Strategy& und einer der Autoren der Studie, sagt: „Kunden sind zunehmend aufgeklärt und eher bereit zu vergleichen. Die Marke ist nicht mehr alles.“ Unternehmen stünden unter zunehmendem Druck, kosteneffiziente und CO2-neutrale Energielösungen umzusetzen.
Entsprechend geben mittlerweile zahlreiche Unternehmen konkrete Zieljahre an, bis zu denen sie klimaneutral sein wollen. Doch die Sache hat einen Haken: Es ist kompliziert, seriös zu ermitteln, wie hoch der eigene CO2-Fußabdruck ist und welche Maßnahme ihn wie stark senkt.
Dieses Thema kann für die Energiekonzerne zu einem wichtigen Zukunftsfeld werden. Aktiv ist hier bereits das Berliner Start-up Cozero. Gründerin Helen Tacke hat zuvor bei einem Frühphasen-Investor gearbeitet und dort die Marktlücke entdeckt: „Mir ist klar geworden, dass viele Unternehmen ihre Emissionen manuell in Excel-Listen erfassen“, sagt sie. Cozero hat deshalb ein digitales Werkzeug entwickelt, das die Emissionen von Unternehmen bilanziert.
Tacke und ihre Mitgründer Fabian Schwarzer und Tiago Taveira sind zwar jung und wollen bestehende Strukturen aufbrechen. Ihre Herangehensweise passt allerdings zu ihrem BWL-Hintergrund. „Unsere Software hilft den Unternehmen, ihren Dekarbonisierungspfad zu planen und zu budgetieren“, sagt Tacke.
Cozero ermittle für die Unternehmen einen sogenannten Return on Climate Investment: „Wie viel CO2-Reduktion bringt eine Maßnahme wie etwa die Umstellung auf nachhaltigen Kunststoff pro investiertem Euro?“, sagt Tacke. Damit beantworte die Software auch die Frage: „Welchen Klimaschutz kann ich mir leisten?“
Mit einem ähnlichen Anspruch haben die Gründer auch ihr Unternehmen aufgezogen. Statt wie andere Start-ups früh viel Geld von Investoren einzusammeln, suchte sich Cozero sofort Kunden, um sich finanziell selbst zu tragen. Das Geschäftsmodell ähnelt dem von SAP – Kunden zahlen monatlich oder quartalsweise für Lizenzen zur Nutzung einer Software, die eine genaue Buchführung ermöglicht, nur eben über CO2-Emissionen.
Mittlerweile wird die Cozero-Software von 32 Kunden in über 50 Ländern eingesetzt. Auch der Versicherer Gothaer zählt dazu. Sie ermöglicht mit der Cozero-Software wiederum ihren Kunden aus dem Mittelstand, ihren CO2-Ausstoß zu überblicken. Jetzt, da eine solide Basis geschaffen ist, denken die Cozero-Gründer auch über weiter Expansion nach. Tacke sagt: „Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir eine Finanzierungsrunde für sinnvoll halten.“
GridX: Dezentrale Energielösungen
Investitionen in innovative Ideen sind laut der Studie ein weiterer zentraler Faktor bei der Transformation der Energiewirtschaft. In der Studie heißt es: „Wir betrachten Fusionen und Übernahmen als essenziell für Konzerne, die schnell ihre Präsenz im Markt für Energielösungen ausbauen wollen.“
2021 habe es 70 Prozent mehr Übernahmen im Bereich Energielösungen gegeben als im Jahr zuvor. In den kommenden zwölf bis 24 Monaten erwarten die Autoren einen weiteren starken Anstieg solcher Aktivitäten. Große Energieversorger seien besonders aktiv bei Fusionen und Übernahmen, darunter zum Beispiel die französischen Konzerne Électricité de France (EDF) und Engie sowie das deutsche Energieunternehmen Eon.
„Öl- und Gasunternehmen investieren strategisch in Energiedienstleistungen wie das Laden von Elektroautos, um ihr Geschäftsmodell von fossilen Brennstoffen zu lösen“, heißt es in der Studie. Das zeigt: Nur wer klug investiert, bleibt im Spiel.
Eon hat deshalb beispielsweise im vergangenen Herbst die Mehrheit am Aachener Start-up GridX übernommen. Das Unternehmen entwickelt digitale Plattformlösungen, die dezentrale Energieressourcen wie beispielsweise Elektroautos verbinden, steuern und optimieren.
Konkret kann das bedeuten, den Ladevorgang mehrerer Elektroautos in einem Parkhaus zu koordinieren. Droht das Netz zu überlasten, wird die Ladeleistung durch Software heruntergedimmt. Das ist im Zweifel unproblematisch, da die Autos oft ohnehin länger auf dem Parkplatz stehen, als für die schnellstmögliche Ladung nötig ist.
In der Ausrichtung von Konzernen wie Eon auf derartige neue Lösungen sieht GridX-Gründer David Balensiefen allerdings nur einen ersten Schritt. „Im Energiemarkt stehen wir noch ganz am Anfang der Transformation. Die nächsten Jahre werden entscheidend für viele Unternehmen“, sagt er.
Balensiefen hat eine klare Vision davon, was ein großer Energiekonzern künftig leisten muss: „Ein Unternehmen, das in zehn Jahren führender Energieversorger sein will, muss Energiespeicher, Photovoltaikanlagen und Ladeinfrastruktur verkaufen und betreiben“, sagt er.
Dass etablierte Energieunternehmen sich viel breiter aufstellen müssen, sagt auch Tobias Gehlhaar, Geschäftsführer des Bereichs Grundstoffindustrien, Energie und Versorgungswirtschaft bei der Unternehmensberatung Accenture. Dabei sieht er die entscheidende Stärke der Großkonzerne in den vielen Kundenkontakten, die sie haben. Er sagt: „Für die großen Unternehmen geht es darum, ihre Zugänge zu den Kunden neu zu monetarisieren.“
Das Produktangebot eines Unternehmens könne mit vielen Facetten und angrenzenden Dienstleistungen wachsen. Als Beispiel nennt er die vielen Produkte verschiedener Hersteller, die man über die Plattform Amazon kaufen kann. „So könnten es große Energieversorger künftig auch machen: Lieferanten, Handwerker und alle Services rund um den Kern Energie müssten digital eingebunden sein“, sagt Gehlhaar.
Voltfang: Batterien von Elektroautos als Heimspeicher
Zu den wichtigsten Bereichen, die sich Energiekonzerne künftig erschließen müssen, zählt laut der Studie von PWC Strategy& das Laden elektrischer Fahrzeuge für Unternehmenskunden. Dieser Bereich dürfte laut Studie um 20 bis 30 Prozent pro Jahr wachsen.
Damit verwandt ist eine Technologie, auf die sich ein weiteres Start-up aus Aachen spezialisiert hat. Voltfang hat Partnerschaften mit fünf Batterie- und Fahrzeugherstellern, die gebrauchte Elektroautobatterien liefern. Die Aachener machen daraus Heimspeicher für Privatpersonen oder Unternehmen mit Photovoltaikanlage.
Sie haben bereits Hotels und Bäckereien mit den Batterien beliefert. Gründer David Oudsandji sagt: „Viele Absolventen der RWTH Aachen entwickeln Softwarelösungen für die Umwelt. Aber es braucht auch Hardware, um die Klimaprobleme zu lösen.“
Zustimmung erhält er von einem Aachener Absolventen, der eine Softwarelösung entwickelt hat: GridX-Chef Balensiefen und sein Mitgründer Andreas Booke haben privat in Voltfang investiert. „Der norme Elektroauto-Hochlauf zieht mit ein paar Jahren Verzug auch eine enorme Menge an ausrangierten Batterien nach sich“, sagt Balensiefen. Diese taugten vielleicht nicht mehr für Mobilität, seien aber für Industrie- und Gewerbeanwendungen eine günstige und nachhaltige Alternative.
Dem stimmt Unternehmensberater Gehlhaar zu: „Recycling ist ein riesiges Thema. Dabei ist die zentrale Frage immer: Wie komme ich an den Müll heran? Für dieses konkrete Beispiel könnte eine Skalierung durch Kooperationen mit Autozulieferern wie Bosch ein Ansatz sein.“
Voltfang-Gründer Oudsandij ist dem nicht ganz abgeneigt. Unternehmen wie Bosch, Autohersteller wie VW, BMW und Toyota oder auch Energiespeicherunternehmen seien mögliche Interessenten. „Da wir dieses Jahr noch eine weitere Finanzierungsrunde fahren werden, ist der Einstieg von einem dieser Unternehmen derzeit Thema bei uns“, sagt Oudsandji.