Ob nur technisch bedingt oder doch politisch motiviert: Russland hat in den letzten Tagen die Gaslieferungen nach Europa über die Ostseepipeline Nord Stream 1 um 60 Prozent reduziert. Noch reicht in Deutschland das Gas in den Speichern, aber die Lage sei ernst, sagt das Wirtschaftsministerium dazu.
Und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) macht einen Vorstoß: Um den Gasverbrauch zu senken, sollte weniger Gas zur Stromproduktion genutzt werden. Das steht in einem Strategiepapier aus seinem Haus. „Stattdessen werden Kohlekraftwerke stärker zum Einsatz kommen müssen.“ Ein entsprechendes Gesetz soll am 8. Juli vom Bundesrat beschlossen werden und schnell in Kraft treten.
Wie ernst muss die Lage sein, wenn ein Grünen-Politiker sich für mehr Kohlestrom einsetzt? Die Forderung, mehr Kohlekraftwerke und weniger Gaskraftwerke laufen zu lassen, erhebe die CDU-Fraktion schon seit Wochen, moniert Deutschlands ehemaliger Gesundheitsminister, nun der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Jens Spahn.
Außerdem geht Habeck diesen Weg nach Spahns Einschätzung nicht nur zu spät, sondern auch nur halb. „Dass der grüne Minister lieber Kohlekraftwerke länger laufen lässt, statt auch die Kernkraftwerke für den Winter und das nächste Jahr mit einzubeziehen, halte ich für einen Fehler. Das ist offenbar der Ideologie geschuldet.“ Spahn persönlich ist dafür, dass die deutschen Kernkraftwerke übergangsweise länger laufen, weil sie erwiesenermaßen CO2-neutral, verlässlich und kostengünstig seien.
Spahn hält Habeck für Grünen-Verhältnisse für pragmatisch, doch den Kernenergie-Schritt traut er ihm „leider“ nicht zu. Das könne die Partei sich wohl nicht zumuten. Spahn meint hier ein Muster zu erkennen: Immer wieder würden unliebsame Entscheidungen so lange verzögert, bis sie schließlich nicht mehr umsetzbar seien. Desto mehr sei es wichtig, dass auch Robert Habeck die furchtbaren Kriegsrealität anerkenne und die Wege gehe, die für einen grünen Minister vor dem russischen Angriff auf die Ukraine noch undenkbar gewesen wären.
„Der schwerste Teil dieser Energiekrise liegt noch vor uns in den nächsten Monaten“, prophezeit der 42-Jährige weiter. „Ich sage aus eigener Erfahrung: Man kann sagen, wir sind gut vorbereitet, nach dem Motto: alles ist im Griff - aber dann holt dich der Satz schnell ein. Jetzt sagt Habeck plötzlich: Wir müssen für den Frieden frieren.“ Was die CDU in vergangenen Krisen gelernt habe, so Spahn, sei, dass in Krisenzeiten frühe und entschlossene Entscheidungen besser sind, als zögerlich oder gar nicht zu handeln.
Jetzt müssten alle Optionen auf den Tisch, erklärte der Unionsfraktionsvize, denn man müsse jeden Tag damit rechnen, dass die russische Seit die Gas- und oder Ölpipeline zudrehe. „Und ich wünsche mir sehr, dass es endlich einen Plan der Bundesregierung gibt, was dann passiert. Wir kriegen zwar beeindruckende Instagram-Videos, aber ich wünschte mir, dass der deutsche Wirtschaftsminister auch dem Deutschen Bundestag im Ausschuss mal Rede und Antwort steht und erläutert, wo er da genau hin will.“
In diesem Sinne lehne die CDU-Bundestagsfraktion eine vorschnelle Fracking-Entscheidung ab, wie die FDP es neulich vorschlug – wenigstens nicht ohne Überprüfung der Faktenlage und der Folgen, so Spahn. Auch Nord Stream 2 als Alternative zur Nord Stream 1 lehnt Spahn ab.
„Nord Stream 2 ans Netz zu nehmen, sehe ich nicht als Lösung. Denn wir müssen als Europäische Union eigentlich raus aus der Situation, dass Russland uns einseitig immer wieder unter Druck setzen kann, indem sie den Gashahn ein bisschen hoch oder runter drehen bei den Pipelines.“ Nicht Russland solle den Hebel in der Hand haben, sondern die EU als Käufer, so der CDU-Politiker zum Abschluss.
Die deutsche Industrie hat den Vorschlag von Minister Habeck, von Kernkraftwerken mehr Gebrauch zu machen, zuletzt unterstützt. „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt“, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm am Montag der Deutschen Presse-Agentur: „Priorität muss sein, die Gasspeicher zu füllen für den kommenden Winter.“
Der Vorstoß von Finanzminister Christian Lindner (FDP), den Kernkraft-Ausstieg zu überdenken und auch das deutsche Fracking-Verbot noch einmal zu prüfen, findet in der SPD jedoch keine Freunde. In einem Interview mit dem Münchner Merkur hatte Bundeskanzler eine Verlängerung kürzlich für praktisch unmöglich erklärt. „Neue Brennstäbe zu besorgen, dauert nach diesen Aussagen zwölf bis 18 Monate - mindestens“, so Olaf Scholz. Und SPD-Chef Lars Klingbeil ließ am Montag in Berlin wissen, dass es eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken sowie eine Rückkehr zum Fracking in Deutschland mit seiner Partei nicht geben werde. Es bringe nichts, „Technologien der Vergangenheit wieder ins Spiel zu bringen“.
Die Regierung arbeitet entgegen der Versorgungssicherheit seines Volkes!!!