Der Streit um Gaslieferungen zwischen den Industriestaaten und Russland geht in eine neue Runde: Die Energieminister der G7-Staaten haben am Montag unter Vorsitz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einstimmig die Forderung des russischen Präsidenten Wladimir Putin abgelehnt, russische Energielieferungen künftig in Rubel statt in Euro oder Dollar zu bezahlen.
Man sei sich einig gewesen, dass Putins Forderung Vertragsbruch bedeute, sagte Habeck im Anschluss an das Treffen. „Wir lassen uns nicht spalten.“ Putin stehe „mit dem Rücken zur Wand, sonst hätte der diese Forderung nicht gestellt“, ergänzte er. Die Minister hätten Unternehmer einhellig aufgefordert, nicht in Rubel zu bezahlen.
Von Putins Aufforderung wären diverse deutsche Unternehmen betroffen. Der Düsseldorfer MDax-Konzern Uniper hat derzeit Gaslieferverträge über 370 Terrawattstunden (TWh), davon stammen 200 TWh aus Russland. Das Energieunternehmen EnBW hat im vergangenen Jahr 495 TWh Gas eingekauft, 20 Prozent davon direkt von Gazprom. RWE wollte zuletzt bis 2023 rund 15 TWh Gas aus Russland beziehen.
Die Konzerne äußerten sich nur zurückhaltend. Von EnBW hieß es: „Die Entscheidung heute ändert die Sachlage nochmals – das müssen wir in allen Facetten analysieren und auch mit der Bundesregierung im Detail besprechen.“
Uniper will sich überhaupt nicht äußern, RWE reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage. Der österreichische Energieversorger OMV teilte mit, derzeit sei eine Zahlung in Euro Vertragsgrundlage. Gazprom habe sich zu dem Thema noch nicht bei OMV gemeldet.
Russischer Abgeordneter droht mit Lieferstopp
Die russische Seite reagierte indes auf die Entscheidung der G7-Minister mit der Drohung, Gaslieferungen zu stoppen. Eine Weigerung der G7-Staaten, russisches Gas mit Rubel zu bezahlen, würde nach den Worten des Abgeordneten Iwan Abramow zu einem Stopp der Lieferungen führen, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA berichtete.
Der Rubel-Streit beim Gas befeuert unter Politikern und Branchenvertretern auch die Debatte um ein Embargo Europas gegen russisches Öl. Denn Russlands wichtigste Ressource ist nicht Gas, sondern Erdöl. Sanktionen, die Russland daran hinderten, Öl zu verkaufen, würden Staatseinnahmen kollabieren lassen.
Daher sagt Roland Rechtsteiner, Partner und Experte für die Öl- und Gasbranche bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman in Zürich: „Es wird immer wahrscheinlicher, dass es auf der Ölseite Sanktionen geben wird.“ Ein solches Embargo dürfte Russland schwer treffen.
Doch nicht nur in Deutschland gibt es Bedenken gegen einen Boykott russischer Öllieferungen, auch Österreich, Ungarn, Italien und Bulgarien warnten auf dem jüngsten EU-Gipfel vor einem abrupten Importstopp. Die EU-Kommission, die für die Gestaltung der Sanktionen zuständig ist, zeigt Verständnis dafür. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Sanktionen über lange Zeit bestehen bleiben, deswegen müssen Maßnahmen längerfristig durchhaltbar bleiben“, sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Öl: Russland könnte von Embargo gar profitieren
Aus Sicht der EU-Kommission ist ein Kriterium bei der Sanktionsgestaltung zentral: Die Strafmaßnahmen müssen den Gegner härter treffen als Europa. In der Brüsseler Behörde gibt es Zweifel daran, dass dieses Kriterium bei Ölsanktionen erfüllt ist.
Ein Boykott könnte den Ölpreis in die Höhe treiben, Russland hätte aber weiter die Möglichkeit, Öl zu verkaufen – dann nach Indien, Pakistan oder China. Im Ergebnis könnte Moskau womöglich sogar höhere Deviseneinnahmen erhalten, und Europa stürze sich selbst in eine Wirtschaftskrise, so die Befürchtung.
„Ja, der Westen könnte versuchen, Russlands Ölhandel zu blockieren“, schrieb Erik Nielsen, Chefvolkswirt der Bank Unicredit, kürzlich in einer Analyse. Aber es könnten sich unter den Dutzenden Ländern, die Russlands Invasion nicht verurteilt haben, noch genügend Abnehmer für russisches Öl finden. Zwar müsste Moskau wohl einen starken Preisabschlag akzeptieren, doch unterm Strich könnte noch immer ein „massiver Profit“ für Russland stehen.
Seit Wochen wird russisches Öl mit einem historisch hohen Abschlag auf den europäischen Referenzpreis von rund 30 Dollar pro Barrel (rund 159 Liter) gehandelt. Offen ist, ob dieser Abschlag bei einem europäischen Importbann weiter steigen und damit die wirtschaftlichen Kosten für Russland in die Höhe treiben könnte.
Fest steht jedoch: Ein Embargo dürfte die globalen Handelsströme am Ölmarkt weiter stören, was die Kosten für alle Markteilnehmer treiben dürfte, wie Rechtsteiner bestätigt. „Kurzfristig wird das zu weiteren Disruptionen führen“, warnt er. „Die gehandelten Volumen sinken, auch die Liquidität im Markt nimmt ab. Das sorgt für weiteren Aufwärtsdruck bei den Preisen.“
Vor allem der Nachschub für die Raffinerien in Europa sei kurzfristig gefährdet, was die Preise für Rohölprodukte wie Diesel weiter anheizen könnte. „Wir müssen uns auf weitere Versorgungsengpässe einstellen“, ist Rechtsteiner überzeugt. „Es wird sicherlich zwölf bis 18 Monate dauern, bis sich das neu geordnet hat.“
Einnahmen: Putin hat durchaus Zugriff auf Energie-Erlöse
Unter Ökonomen ist umstritten, in welchem Umfang Russlands Präsident Putin aktuell überhaupt in der Lage ist, die Einnahmen aus Öl- sowie Gas- und Kohleexporten zur Finanzierung seines Angriffskrieges zu nutzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich in der ARD-Sendung „Anne Will“ eindeutig festgelegt.
Auf die Frage, warum Deutschland nicht ein Energieembargo gegen Russland verhänge, erklärte Scholz, Russland könne mit dem Geld ohnehin „gar nichts anfangen“, was es für Gas, Öl und Kohle bekomme. Das hänge mit den Sanktionen zusammen, insbesondere denen gegen die russische Zentralbank.
Die russische Zentralbank ist in ihrem Handeln enorm eingeschränkt. Ein großer Teil ihrer Währungsreserven hält die Zentralbank in Dollar und Euro vor. Diese Reserven, die bei anderen Zentralbanken im Ausland lagern, hat der Westen zwar vor einiger Zeit eingefroren. Strittig ist jedoch die Aussage von Scholz, dass auch neue Erlöse in Russland in „vergleichbarer Weise“ nicht genutzt werden könnten.
Ökonomin Veronika Grimm hat die Aussage von Scholz (SPD) als falsch zurück gewiesen. „Das entbehrt der Grundlage“, sagte Grimm, die Mitglied der Wirtschaftsweisen ist, dem Handelsblatt. „Ich weiß nicht, wie der Kanzler darauf kommt“, sagte sie weiter. „Die verfügbaren Daten und Analysen, etwa von Finanzmarktdaten, sprechen eine andere Sprache.“
Der Westen habe die russische Zentralbank sanktioniert, daher könne das Regime seine Dollar-Reserven nicht nutzen. „Die Einkünfte aus den Energiegeschäften sind aber sehr wohl nutzbar, etwa um Importe zu bezahlen oder den Rubel zu stützen und so den Wirtschaftseinbruch abzufedern“, sagte Grimm. „Dadurch kann Russland die Auswirkungen der Sanktionen abmildern, es verbessern sich also die Möglichkeit des Regimes, seine Agenda weiter zu verfolgen – und die kann durchaus über die Ukraine hinausgehen.“
„Dass die russischen Einnahmen aus Energieexporten nicht verwendet werden können, ist nicht korrekt“, sagt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die russische Zentralbank ist zwar sanktioniert, bestimmte Geschäftsbanken wie die Gazprom-Bank aber nicht. Auf das Geld, das diese durch die Energielieferungen einnehmen, kann prinzipiell auch der russische Staat zugreifen.
Zwar halten alle Geschäftsbanken bei der Notenbank Reserven und tauschen Währungen. Doch dadurch sind sie noch nicht durch die Sanktionen gegen die Zentralbank betroffen. „Würde der Westen Banken wegen einer Zusammenarbeit mit der Zentralbank sanktionieren, müsste er alle russischen Banken sanktionieren. Dann könnte der Westen russisches Gas und Öl aber auch nicht mehr bezahlen“, sagt Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leuchtmann.
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USA boykottieren russisches Öl – Deutschland wird nicht mitziehenAllerdings kann Russland das eingenommene Geld nicht einfach ausgeben. „Banken wie die Gazprom-Bank sind zwar von den Sanktionen ausgenommen, allerdings nur für Kapitalflüsse für die Energielieferungen“, sagt DIW-Präsident Fratzscher. Sie könnten mit dem Geld keine Maschinen oder Waffen im Westen kaufen. Andere Märkte wie China stünden Putin aber weiter offen.
Andererseits würde ein Energieembargo die finanziellen Spielräume Putins weiter einschränken. Als Alternative zu einem Embargo schlägt der Bankenökonom Hans Gersbach ein Treuhandkonto mit Sperrfunktion vor. Darin würden die Gelder blockiert, bis der Krieg vorbei ist und ein Friedensabkommen erzielt ist. „Es gibt Erfahrungen dazu bereits mit dem Iran, und hier bietet sich das idealerweise auch an“, sagt Gersbach.