Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto größer wird der Druck auf Deutschland, seine Öl-Importe aus Russland zu stoppen. Die USA erklärten bereits vergangene Woche, ab sofort alle Einfuhren von russischem Erdöl und Gas zu verbieten. Großbritannien will seine Öl-Importe aus Russland bis Ende 2022 auslaufen lassen. Auch von der EU forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (44) immer wieder ein Energie-Embargo gegen Russland.
Die Mehrheit der Deutschen befürwortet laut ZDF-Politbarometer einen Stopp von Öl und Gas aus Russland. Zahlreiche Prominente forderten in einem
offenen Brief an die Regierung ebenfalls, Putin mit einem Lieferstopp für Öl, Gas und Kohle den Geldhahn zuzudrehen. Der frühere Bundespräsident
Joachim Gauck (82) sagte vergangene Woche: "Wir können auch einmal frieren für die Freiheit."
Doch die Sache ist nicht ganz einfach. Etwa ein Drittel des in Deutschland verarbeiteten Rohöls kommen aus Russland. "Die Sanktionen müssen so sein, dass wir durchhalten können. Im Zweifel nicht nur drei Tage", sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (52, Die Grünen).
Die Regierung spricht laut Insidern intensiv mit den deutschen Mineralölkonzernen. Dabei dreht sich um die eine Frage: Wie können wir auf russisches Öl verzichten? Denn selbst wenn die Öllieferungen auf alternative Lieferanten umgestellt werden, bleiben technische Herausforderungen. Wie realistisch ist es also, dass Deutschland Russland sanktioniert, indem es auf russisches Öl verzichtet?
Gravierende Folgen für Ostdeutschland
Fest steht, dass ein Öl-Embargo gegen Russland gravierende Folgen für Ostdeutschland hätte. Dort sitzen zwei große Raffinerien, für die eine Belieferung mit Rohöl ohne Russland nicht so einfach wäre.
Die PCK Raffinerie im brandenburgischen Schwedt in der Uckermark, rund 110 Kilometer nordöstlich von Berlin, verarbeitet nach eigenen Angaben jährlich bis zu 12 Millionen Tonnen Rohöl und gehört damit zu den größten Rohöl-Verarbeitungsstandorten in Deutschland. Die Raffinerie versorgt Berlin und Brandenburg zu 90 Prozent mit Benzin, Kerosin, Diesel und Heizöl. Neun von zehn Autos in dieser Region fahren mit Kraftstoff aus Schwedt. Das Rohöl erhält die PCK Schwedt über die Pipeline Drushba (russ., "Freundschaft") aus Russland. Laut Wirtschaftsverband Fuels & Energie (en2x) ist die Raffinerie vollständig auf russisches Rohöl ausgerichtet. Eine Umstellung auf eine andere Rohöl-Sorte ist daher nicht von heute auf morgen möglich.
Ähnlich sieht es auch bei der Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna, Sachsen-Anhalt, aus. Auch sie hat eine maximale jährliche Verarbeitungskapazität von 12 Millionen Tonnen Rohöl und deckt nach eigenen Angaben weitgehend den Benzinbedarf Sachsen-Anhalts, Sachsens und Thüringens. Etwa 1.300 Tankstellen im Einzugsbereich der Raffinerie erhalten ihren Nachschub aus Leuna. Neben Benzin und Diesel produziert die von der französischen Total betriebenen Raffinerie Heizöl, Flüssiggas, Rohbenzin, Flugkraftstoffe, Bitumen, Methanol. Täglich werden dort durchschnittlich 30.000 Tonnen Rohöl vorwiegend aus Russland verarbeitet. Die Anlieferung erfolgt ebenfalls über die Druschba-Pipeline. Nur einen geringen Teil des Rohöls bezieht der Raffineriestandort laut en2x aus alternativen Quellen. So ist auch die Leuna Raffinerie vom russischen Öl abhängig.
Rohöl ist nicht gleich Rohlöl
Rohöle unterscheiden sich in ihren Eigenschaften. Durch bestimmte Mischungen können sie leichter oder weniger schwefelhaltig gemacht werden, erklärt Andreas Goldthau vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Damit die Raffinerien in Leuna und Schwedt andere Rohölsorten als das russische Urals verarbeiten könnten, müssten die Anlagen umgestellt werden, sagt Goldthau. Das dauere mindestens mehrere Monate und sei so teuer, dass es die langfristige Wirtschaftlichkeit einer Raffinerie stark beeinflusse.
Ein weiteres Problem: der Zugang der beiden Raffinerien zum Rohöl. Von dem russischen Importrohöl gelangen zwei Drittel über die Druschba-Erdölleitung nach Ostdeutschland. Fällt dieser Transportweg weg, könnten die Raffinerien zwar ersatzweise auf dem Seeweg über Rostock sowie Danzig in Polen versorgt werden und von dort aus per Pipeline. So wurde das Öl beispielsweise 2019 transportiert, als die Lieferungen durch die Druschba wegen verunreinigten Öls unterbrochen waren. Jedoch lassen sich die Raffinerien dann nur bei verringerter Kapazität betreiben, warnt der en2x-Verband. Die Folge: ein geringerer Output an Kraftstoffen, Heizöl und anderen Ölprodukten.
Bei dem restlichen Drittel des russischen Importrohöl scheint ein Ersatz dagegen schon eher möglich. Raffinerien im Westen und Süden Deutschlands erhalten das russische Rohöl über den Seeweg, etwa über Rotterdam, und weiter über Pipeline. "Bei diesem Drittel ist eine Umstellung auf Ölimporte aus anderen Ländern zwar möglich, doch nimmt dies einige Zeit in Anspruch", sagt der Verband en2x.
In Ostdeutschland müssten Werke wohl abgeschaltet werden
Insgesamt kamen in den vergangenen Jahren rund ein Drittel des in Deutschland verarbeiteten Rohöls aus der Russischen Förderation. Auch knapp ein Drittel des Diesels importiert Deutschland aus Russland. Dass die deutsche Mineralölwirtschaft von beidem bereits weniger importiert als vor dem Ukraine-Krieg, macht sich schon jetzt an den hohen Diesel- und Heizölpreisen bemerkbar.
"Ostdeutschland müsste grobe Einschränkungen erleiden, wenn man Russland beim Öl sanktionieren würde", sagt ein großer Mineralölhändler, der nicht genannt werden möchte. Diese gingen über ein Fahrverbot am Sonntag oder Ähnliches hinaus. So müssten Industriezweige lahmgelegt werden, um die sichere Infrastruktur am Laufen zu halten.
Neben Leuna und Seefeld könnten auch andere Raffineriestandorte von schärferen Sanktionen getroffen werden. Der Grund: Rosneft ist einer der größten Mineralölverarbeiter in Deutschland. Der Konzern, dessen Chef Igor Setchin, ein langjähriger Wegbegleiter Putins, ist, betreibt nicht nur mehrheitlich die Schwedter PCK Raffinerie, sondern kontrolliert auch 24 Prozent der Miro in Karlsruhe und 28,57 Prozent der Bayernoil im bayrischen Vohburg und Neustadt a. d. Donau. Eine Sanktionierung Rosnefts könnte daher auch die Operationsfähigkeit dieser Raffinerien gefährden. Auch dafür müsste der Staat eine Lösung finden.