Damit meint Scholz: Wenn Russland militärisch in der Ukraine interveniert, wird Nord Stream 2 keine Betriebsgenehmigung erhalten. Der Kanzler spricht das aber unter anderem deshalb nicht klar aus, weil einflussreiche Sozialdemokraten andere Vorstellungen davon haben, was mit der Pipeline auch angesichts der russischen Aggression „los ist“: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte zum Neujahrsempfang des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Ende Januar, als die aktuelle Ukraine-Krise längst schwelte, ganz unmissverständlich: „Ich hoffe auf ein zügiges, rechtsstaatliches Verfahren, damit die Leitung in Betrieb gehen kann.“ Das tut sie bis heute.
Die Ministerpräsidentin gilt neben Altkanzler
Gerhard Schröder (SPD) als stärkste Vorkämpferin der Gaspipeline. Doch angesichts der zunehmenden Verbissenheit Schwesigs wächst der Widerstand. Die Grünen im Schweriner Landtag haben der Landesregierung nun ein umfassendes Paket mit Kleinen Anfragen übergeben, das Schwesig und andere Pipeline-Unterstützer in eine äußerst unangenehme Lage bringen könnte.
Hinzu kommt ein kritischer Bericht, den Transparency International aktuell zu Hilfe des Landes für das Pipeline-Projekt vorgelegt hat. Denn bislang gibt sich die Ministerpräsidentin zu Details ihrer Unterstützung für Nord Stream 2 äußerst schmallippig. Ebenso wie zur Arbeit der
„Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“, deren „zeitlich begrenzter Nebenzweck die Mithilfe bei Nord Stream 2“ ist, wie Schwesigs Vorgänger und aktueller Vorstandschef der Stiftung, Erwin Sellering (SPD), sagt. Wobei vom Hauptzweck, dem Klimaschutz, bislang wenig zu sehen war.
„Seit langer Zeit ist klar, dass Nord Stream 2 weniger unserem Land Mecklenburg-Vorpommern, sondern vor allem der russischen Regierung und dem Energiekonzern Gazprom nützt“, begründet Grünen-Landtagsfraktionschef Harald Terpe den Wunsch nach Aufklärung und die zahlreichen Fragen an die Landesregierung. „Rund um die Pipeline wird eine Intransparenz geschaffen, wie ich sie während meines Lebens nur von undemokratischen Staaten gewohnt war.“
Offenbar keine schriftlichen Vermerke über Details
Die Opposition – vor den Grünen hatte schon die Landes-CDU Auskunft zu einzelnen Punkten gefordert – will nun unter anderem wissen, „welche konkreten Schritte die Landesregierung zu welchem Zeitpunkt unternommen hat, um die Fertigstellung der Pipeline zu unterstützen“. Wann sich welche Akteure getroffen, besprochen und dabei Entscheidungen im Zusammenhang mit den Erdgasröhren getroffen haben.
Denn über eine ganze Reihe solcher Zusammenkünfte gibt es offenbar keine schriftlichen Vermerke. Faktisch geht es damit auch um die Rolle von Altkanzler Schröder, dem Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsidenten des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 AG. Schwesig traf sich mehrfach mit ihm. Und damit stellt sich die Frage, wie viel Einfluss Lobbyisten auf das Projekt und die Unterstützung durch die Landesregierung nehmen konnten.
Besonders im Fokus, nicht nur bei den Grünen, steht die Klima- und Umweltschutzstiftung – von der es bei ihrer Gründung hieß, sie habe nur indirekt mit der Pipeline zu tun und sei nicht beim Bau beteiligt. Die aber nun im Rahmen ihres „wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs“ zum Beispiel ein Verlegeschiff für Steinschüttungsarbeiten, die „Blue Ship“, anschaffte. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Das Stiftungskapital in Höhe von 200.000 Euro kommt direkt von der Landesregierung. 20 Millionen Euro schießt Gazprom hinzu – weitere 40 Millionen Euro sollen aus Russland die nächsten Jahre in die Stiftung fließen. „Meine langjährige Erfahrung in der Politik sagt mir: Wer das Geld gibt, bestimmt über die Zwecke“, sagt Grünen-Fraktionschef Terpe.
Transparency International kommt zu einem noch schärferen Urteil: „Schon die Konstruktion einer Stiftung, die gemeinwohlorientierten Aufgaben wie dem Klima- und Umweltschutz gewidmet sein soll, jedoch ganz offen kommerziellen Aktivitäten eines russischen Staatskonzerns zum Bau einer Gaspipeline sowie dem Umgehen von internationalen Sanktionen dient, muss als Missbrauch der Rechtsform Stiftung bezeichnet werden“, sagt Stephan Ohme, Finanzexperte der Anti-Korruptions-Organisation.
Dass die Stiftung die russischen Hintermänner nicht ins Transparenzregister eingetragen habe, sei ein Verstoß gegen das Geldwäschegesetz. Man habe in der Angelegenheit das Bundesfinanzministerium und Bundesverwaltungsamt eingeschaltet.
Sachlich steht Schwesigs Argumentation auf wackligen Füßen
Die SPD im Schweriner Landtag versteht die Aufregung um die Stiftung nicht. „Wie schon die Ostseestiftung der Pipeline Nord Stream 1, deren Geld von den Umweltakteuren im Land nachhaltig eingesetzt wird, leistet auch die Stiftung für Klima- und Umweltschutz mit perspektivisch 60 Millionen Euro einen veritablen eigenen Beitrag für den Schutz der Natur in unserem Land“, sagt Fraktionschef Julian Barlen WELT. „Dass mit dem Geschäftsbetrieb zeitlich befristet ein kleiner Beitrag zur Fertigstellung der Pipeline geleistet wurde, war von Anfang an transparent und mit Fertigstellung der Pipeline abgeschlossen.“
Wie groß und entscheidend der Beitrag ist, wollen die Grünen nun offenlegen – und vielleicht wird dabei auch klarer, warum die Ministerpräsidentin und ihre Nordost-SPD so hartnäckig für Nord Stream 2 kämpfen. Die Pipeline werde „für zusätzliche Einnahmen an Steuern und mit der regionalen Wirtschaftsentwicklung direkt und mittelbar für zusätzliche Arbeit sorgen“, sagt Fraktionschef Barlen. „Am wichtigsten ist aber der Nutzen mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit bei gleichzeitigem Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom.“
Aber für zusätzliche Jobs hat die Pipeline nur während des Baus gesorgt, und der ist abgeschlossen. Und die an der weitgehend automatisierten Anlandestation in Lubmin bei Greifswald erwarteten Gewerbesteuereinnahmen werden als vergleichsweise gering eingeschätzt. Schwesig hat solche wirtschafts- und finanzpolitischen Gründe bisher auch kaum vorgetragen.
Stattdessen erklärte sie mehrfach, dass Nord Stream 2 einen wichtigen Beitrag zur Versorgung Deutschlands mit Erdgas leiste – und damit ein wirksames Instrument gegen einen weiteren Anstieg der Energiepreise und Heizkosten sei. Das Motto „Je mehr Gas, umso niedriger der Preis“ bringt ihr zwar Publicity-Erfolge: Erstens kann Schwesig mit der These von der Pipeline als einem sozialen Projekt im Land punkten. Sie kann zweitens der gegen die Energiewende protestierenden AfD das Wasser abgraben und drittens die in Schwerin mitregierende Linke daran hindern, der SPD die Anwaltschaft für „kleine Leute“ wegzunehmen.
Aber sachlich steht Schwesigs Argumentation auf wackligen Füßen, da die aktuell hohen Preise für fossile Brennstoffe nicht entscheidend auf geringen Gas-Liefermengen beruhen und zudem ein stärkerer Gas-Zufluss nach Deutschland auch über die bestehenden anderen Pipelines abgewickelt werden könnte.
Da somit an „harten“ Gründen für Schwesigs Nord-Stream-2-Leidenschaft Mangel herrscht, vermuten nicht wenige in Mecklenburg-Vorpommern, ihr gehe es um finanzielle Effekte der Klimastiftung – um das russische Geld, das in sie fließt.