Die Abgabefrist für die Grundsteuer endet mit dem 31. Januar. Doch für zehntausende Wohnungs- und Hausbesitzer dürfte der Wahnsinn erst beginnen, wenn die Grundsteuermessbescheide eintrudeln. Viele ahnen gar nicht, was da finanziell auf sie zukommt. Im Gegensatz zu einem Rentner aus Freiburg. Der soll künftig 2478 Prozent mehr zahlen.
Wer ein Grundstück sein eigen nennt, muss bis Ende Januar seine Grundsteuererklärung beim Finanzamt eingereicht haben IMAGO/Panama Pictures© IMAGO/Panama Pictures
Die Uhr tickt. Am 31. Januar endet nun endgültig die Abgabefrist für die neue Grundsteuer. Seit 1. Juli 2022 hatten die Eigentümer dann Zeit, den Job für die Finanzbehörden zu erledigen. Dort liegen zwar alle maßgeblichen Daten bereits vor. Sie müssten halt zusammengeführt werden. Zu viel für die chronisch überlastete Verwaltung.
Da passt es gut ins Bild, dass der Bund für seine Liegenschaften die eigene Abgabefrist reißen wird, wie diese Woche bekannt wurde. Nur hilft das den Privatleuten nicht weiter, denen bei Versäumnissen saftige Strafen in Form von Zwangsgeldern oder Versäumniszuschlägen drohen.
Insgesamt 36 Millionen Grundstücke und Gebäude müssen von Flensburg bis Freilassing neu bewertet werden. Der Rücklauf bei den Finanzämtern ist zögerlich. Zu Jahresbeginn fehlten noch 20 Millionen Grundsteuererklärungen.
Hauseigentümer soll statt 432 Euro künftig 11.138,40 Euro Grundsteuer zahlen
Ein Irrtum? Leider nein.
Die neue Grundsteuer-Berechnung gilt ab 2025. Das neue Gesetz ist nötig geworden, weil das alte verfassungswidrig war. Bislang hatten die Finanzämter die Grundsteuer auf Grundlage ziemlich in die Jahre gekommener Daten aus den 1960er-Jahren im Westen berechnet. Im Osten Deutschlands wurden sie gar seit den 1930er-Jahren nicht mehr aktualisiert.
In das Grundsteuer-Bundesmodell fließen neben Grundstücksfläche und Bodenrichtwert auch Immobilienart, Nettokaltmiete, Gebäudefläche und Gebäudealter ein. Die Bundesländer sind aber frei, eigene Gesetze zu verabschieden. So verwenden neun Bundesländer das Bundesmodell, zwei Bundesländer (Sachsen, Saarland) das Bundesmodell mit Abweichungen und fünf Bundesländer haben eigene Grundsteuergesetze (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen) erlassen.
Baden-Württemberg hat von dieser „Öffnungsklausel“ Gebrauch gemacht und sich für ein Bodenrichtwertmodell entschieden. Bei den Bodenrichtwerten handelt es sich um einen von Gutachterausschüssen der Kommunen festgestellten Wert von Grundstücken in einem bestimmten Gebiet. Gebäude spielen im Ländle keine Rolle.
Kleines Haus, großes Grundstück
Der Leser aus Freiburg hat ein kleines Einfamilienhaus, Baujahr 1956, allerdings auf einem großen Grundstück mit über 2400 Quadratmetern. Zur Nachverdichtung eignet es sich nicht, zumal an einem Bach gelegen. Ein Verkauf von Grundstücksteilen als Baugrund ist nicht möglich.
Der Bodenrichtwert in seiner Wohngegend zählt mit 880 Euro pro Quadratmeter mit zu den höchsten in Deutschland. Sein Grundsteuermessbetrag beläuft sich auf 1856,40 Euro. Der Grundsteuerhebesatz in Freiburg ist mit 600 Prozent ebenfalls beachtlich. 2021 lag dieser Ernst & Young zufolge deutschlandweit bei durchschnittlich 386 Prozent.
Das Finanzamt multipliziert bei der Ermittlung der Steuerlast den Grundsteuermessbetrag mit dem Hebesatz. Daraus ergibt sich die Höhe der künftigen Grundsteuer. Heißt in dem Fall: 1856,40 x 6 = 11.138,40 Euro. „Wir würden durch die neue Grundsteuer zu Sozialhilfeempfänger“, sagt der Rentner zu FOCUS online. Vierteljährlich wären knapp 2800 Euro fällig.
Kommunen könnten via Hebesatz die Grundsteuerlast senken
Die finale Stellschraube liegt bei den Kommunen, die durch Absenkung ihrer Hebesätze die Grundsteuerlast theoretisch auch senken könnten. Doch wer glaubt wirklich daran? Schon jetzt heben viele der oft chronisch klammen Städte und Gemeinden laut Eigentümerverband Haus & Grund landauf, landab ihre Grundsteuer-Hebesätze an. Dabei soll die neue Grundsteuer ab 2025 für sie aufkommensneutral sein, also nicht mehr in die Kasse spülen als zuvor.
Besonders betroffen im Baden-Württemberger Modell sind die Eigentümer großer Grundstücke. Dabei sind es oft Rentnerinnen und Rentner, die zwar große Grundstücke besitzen, doch mit vergleichsweise kleinen und oft in die Jahre gekommenen Häusern darauf.
Der überwiegende Teil sind mitnichten Millionäre, für die ein paar tausend Euro mehr oder weniger keine Rolle spielt. Dutzende entsprechende Beispiele liegen FOCUS online vor. Hinzu kommt, dass eine Teilung dieser großen Grundstücke ebenfalls oft gar nicht möglich ist, weil das die natürlichen Gegebenheiten und das Baurecht gar nicht hergeben.
Eigenes Gutachten zur Überprüfung des Bodenrichtwerts
Der Steuerzahlerbund Baden-Württemberg empfiehlt im konkreten Fall aus Freiburg zu prüfen, ob hier ein Gutachten angezeigt wäre. „Weicht der gutachterlich nachgewiesene Wert über 30 Prozent vom Wert laut Gutachterausschuss ab, wird dieser niedrigere Wert vom Finanzamt angesetzt“, heißt es in einer Stellungnahme für FOCUS online. Wie sich die künftige Grundsteuer unter Berücksichtigung eines gutachterlich niedrigeren Wertes darstellt, lasse sich aber schwer abschätzen. Und die Kosten trägt der Eigentümer.
„Ganz viele Gutachterausschüsse geben Hinweise zum Gebrauch ihrer Bodenrichtwerte“, erinnert der Steuerzahlerbund im Südwesten Deutschlands. „So werden häufig bei großen Grundstücken Abschläge empfohlen, die aber vom Landesgrundsteuergesetz ausdrücklich nicht vorgesehen sind.“ Wer sich unsicher ist, ob sein Grundsteuermessbescheid korrekt ist, sollte auf jeden Fall Einspruch einlegen. Die Frist beträgt vier Wochen.
Ein Mustereinspruch steht auf der Homepage des Steuerzahlerbundes Baden-Württemberg bereit . Mit dessen Hilfe können betroffene Steuerzahler im Ländle gegen ihren Grundsteuerwertbescheid vorgehen.
Grundsteuer um hunderte Prozent rauf - nicht nur in Baden-Württemberg
Aber nicht nur von Immobilienbesitzern aus Baden-Württemberg, wo schon ein Musterverfahren beim Finanzgericht anhängig ist, gingen in der Redaktion von FOCUS online Berichte über Grundsteuer-Exzesse ein, sondern auch aus anderen Bundesländern. Auch diese Menschen berichteten von Steigerungen von 200 Prozent oder gar 400 Prozent und mehr.
Diese Frauen und Männer wissen wenigstens, was auf sie zukommt. Sie informieren sich, tun sich zusammen, legen Einspruch ein, bereiten Klagen vor. Doch häufig vernimmt man in diesen Gesprächen auch: „Mein Nachbar will von dem Thema nichts hören.“ Oder: „Viele wissen gar nicht, was auf sie zukommt.“
Spätestens, wenn der Grundsteuermessbescheid vom Finanzamt in den nächsten Wochen eintrudelt und sie die richtigen Schlüsse aus dem Grundsteuermessbetrag ziehen, tun sie es. Das Erwachen dürfte in vielen Fällen kein sehr angenehmes sein.
Grundsteuer in vielen Bundesländern verfassungswidrig?
Der Verfassungsrechtler Gregor Kirchhof, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg, hält das Grundsteuermodell des Bundes und Baden-Württembergs sogar für verfassungswidrig.
Im Interview mit FOCUS online betonte er: „Beim Bundesmodell gibt es zwei Probleme: Es ist zu kompliziert und ihm gelingt keine gleichheitsgerechte Bewertung. Insbesondere die Bodenrichtwerte sind zu ungenau. Und trotzdem richtet sich die Bewertung beim Bundesmodell und in Baden-Württemberg nach diesen Werten.“
Schon jetzt klagen die Finanzämter, dass aufgrund der Einspruchsflut bei der Grundsteuer viel andere Arbeit liegen bleibt. Dabei ist das erst der Anfang. Denn wenn eines mit der Grundsteuerreform nicht gelungen ist, dann ist das eine gerechte Vereinfachung. Das System ist trotz aller Beteuerungen weiterhin kompliziert.
Dabei geht es den Immobilienbesitzern, die sich bei FOCUS online melden, gar nicht darum, keine Grundsteuer zu entrichten. Viele wären mit einer moderaten Erhöhung auch einverstanden. Doch eine überzogene Strafsteuer auf Immobilieneigentum wollen sie verständlicherweise nicht entrichten.