Ein stabiler Schutz vor Corona, ganz ohne Nadel: Boosterimpfungen könnten künftig per Nasenspray verabreicht werden. Funktioniert das? Und wann ist es so weit?
Den Sprühkopf ins Nasenloch schieben, einmal drücken und – zack – ist der Impfstoff auch schon drin. So ähnlich könnten Corona-Impfungen in Zukunft ablaufen. Der größte Vorteil daran wäre aber nicht mal nur die einfache Anwendung oder das Ausbleiben eines schmerzenden Armes nach dem Stich, sondern im besten Fall: eine stabilere Form der Immunität.
In Deutschland ist ein Nasenspray-Impfstoff zum Beispiel für Kinder und Jugendliche
gegen Influenza zugelassen. Die Hoffnung Forschender weltweit ist es nun, dass auch neue Corona-Impfstoffe genau dort eine Immunität hervorrufen, wo Sars-CoV-2 auf den Menschen trifft und ihn infiziert: auf den Schleimhäuten von Nase, Mund und Rachen.
Die bisherigen Impfstoffe, allen voran die mRNA-Impfstoffe, wirken vor allem systemisch, erzeugen also eine Immunität im Blut, und schützen so hervorragend vor schweren Verläufen. Aber sie verhindern – insbesondere seitdem das Virus so stark mutiert ist – sehr viel seltener, dass sich Menschen überhaupt erst mit dem Virus anstecken. Schleimhautimpfstoffe, also intranasale Mittel oder solche, die man mit dem Mund inhaliert, könnten diese Lücke füllen. Sie sollen länger und besser vor Infektion schützen und auch davor, das Virus weiterzutragen.
Wie funktioniert das? Und was hat die Schleimhaut mit dem Immunsystem zu tun?
Schleimhäute schützen unsere Schwachstellen
Der menschliche Körper ist kein geschlossenes System, sondern permanent mit seiner Umwelt in Beziehung, etwa, um Nahrung und sauerstoffreiche Luft aufzunehmen. Doch Orte wie Mund, Nase (und auch die Augen) sind gleichzeitig Eintrittspforten für Krankheitserreger – also Schwachstellen des Körpers. Hier kommen die Schleimhäute ins Spiel. Ihre Aufgabe ist es, durchzulassen, was der Körper benötigt, und aufzuhalten, was ihm schaden kann.
Dabei hilft zunächst der Schleim selbst, den die Schleimhäute produzieren. Er ist eine physikalische Barriere und macht es Eindringlingen schwer, die dahinterliegenden Zellen zu erreichen. Außerdem enthält er Abwehrsubstanzen, die Erreger erkennen und unschädlich machen können. Vor allem aber – und das ist besonders für die Impfung wichtig – sind die Schleimhäute voller spezieller Antikörper vom Typ IgA.
Diese Antikörper werden von bestimmten B-Zellen produziert, die im Schleimhautgewebe und den nahegelegenen Lymphknoten sitzen, und gelangen von dort an die Oberfläche der Schleimhäute. Kommt da ein Krankheitserreger an, bekämpfen die IgA-Antikörper ihn direkt an Ort und Stelle, ohne dass er größeren Schaden anrichtet. Im Optimalfall hieße das – zum Beispiel bei Corona – dass sich ein Mensch gar nicht erst infiziert und somit andere auch nicht anstecken kann. "Das zu erreichen, schaffen unsere bisherigen Impfstoffe nicht bei jedem Impfling gleich gut", sagt Christine Falk, Professorin am Institut für Transplantationsimmunologie der MH Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Die Impfstoffe von BioNTech oder Moderna werden in den Muskel verabreicht. Das Stachelprotein des Coronavirus, auf das das Immunsystem lernen soll, zu reagieren, wird dann in die Lymphknoten transportiert. In diesen Trainingszentren für Abwehrzellen werden unter anderem auch B-Zellen herausgesucht, die große Mengen an passgenauen Antikörpern ausschütten können. Und nach einiger Zeit lassen sich im Blut vor allem Antikörper vom Typ IgG messen. Die Antikörperklasse, die im Blut dominiert und lange dort zirkuliert.
Aber: Nur weil ein Mensch viel IgG gegen das Stachelprotein im Blut habe, heiße das nicht zwingend, dass er einen ebenso guten Schleimhautschutz habe, sagt Falk. "Die Lymphknoten in den Schleimhäuten erreicht man eben nicht so effektiv, wenn man in den Arm impft." Zwar tauchten nach einer Spritze in den Muskel nach einer gewissen Zeit auch auf den Schleimhäuten Antikörper vom Typ IgA auf, die das Coronavirus erkennen. "Aber wie viel das letztendlich ist, lässt sich durch die Impfung in den Muskel nicht steuern." Dafür müsse direkt dort geimpft werden, wo man die Immunreaktion haben will: an den Schleimhäuten.
Daran arbeiten Forschende weltweit gerade unter Hochdruck. Es gibt mehr als ein Dutzend solcher nasalen oder inhalativen Impfstoffkandidaten, die getestet werden, erklärt der Impfstoffforscher Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York: Die allermeisten benutzen bereits bekannte Technologien: vom abgeschwächten Lebendimpfstoff über Vektorimpfstoffe und Proteinimpfstoffe bis hin zu mRNA ist vieles in Erprobung. Die Impfstoffe müssen in den meisten Fällen zwar etwas anders aufbereitet werden, um eine Immunantwort zu erzeugen, ähneln ansonsten aber Impfstoffen, die bereits zugelassen sind oder an denen seit Jahren geforscht wird.
Die meisten Kandidaten werden noch in Tierversuchen erprobt, einige aber auch schon am Menschen, mitunter schon in den entscheidenden klinischen Phasen II oder sogar III. Darunter sind Vektorimpfstoffe, etwa einer aus China, der ein unschädlich gemachtes Influenzavirus benutzt, um die Erbgutsequenz für den Teil des Corona-Stachelproteins zu transportieren, mit dem das Virus an Zellen andockt. Der große indische Hersteller Bharat setzt auf einen Adenovirus-Vektor, der jenem in dem Impfstoff ähnelt, der von der Uni Oxford und AstraZeneca entwickelt wurde.
Einen anderen Ansatz verfolgt ein Team der FU Berlin, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Forscher der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin-Buch (MDC) beteiligt sind. Ihr Impfstoffkandidat basiert auf abgeschwächten Sars-CoV-2-Lebendviren. Die Erreger sollen sich nach der Gabe in die Nase zwar noch leicht vermehren, sodass sie das Immunsystem effektiv anregen. Gleichzeitig aber dürfen sie selbst nicht krank machen. Dieses Prinzip wird beispielsweise auch bei der Masernimpfung angewendet. Um das Virus abzuschwächen, haben die Forschenden 200 der 30.000 Stellen im Erbgut von Sars-CoV-2 verändert. Abgesehen davon wird das Immunsystem nicht nur mit dem Stachelprotein bekannt gemacht, sondern mit allen Proteinen, die das echte Virus auch hat. Davon erhofft man sich eine breitere Immunantwort, die auch Schutz vor künftigen Varianten bieten könnte.
Erprobt haben die Forschenden den Impfstoff mit dem Namen sCPD9 bisher an Hamstern. Mit guten Ergebnissen, wie unter anderem ein Preprint zeigt, das vor wenigen Tagen erschienen ist (BioRxiv: Nouailles et al., 2022) und auf einer ersten Wirksamkeitsstudie ebenfalls an Hamstern aufbaut. Für die neue Studie bekamen die Nager verschiedene Impfstoffkombinationen aus einem Adenovirus-Impfstoff, einem mRNA-Impfstoff und dem Schleimhaut-Lebendimpfstoff.
Setzte man die Tiere kurz danach dem echten Virus aus, waren die Hamster, die den Lebendimpfstoff bekommen hatten, besonders gut geschützt. "Unser Lebendimpfstoff war sehr gut darin, nicht nur die Menge an messbarem Virus in den Versuchstieren zu verringern, sondern auch Entzündungsreaktionen zu minimieren – sowohl in der Lunge wie auch in der Nase", sagt Emanuel Wyler, Postdoc am MDC und Mitautor der Studie. In dieser Hinsicht sei der Lebendimpfstoff der getesteten – und intramuskulär verabreichten – mRNA-Impfung deutlich überlegen.
Außerdem reifte das Immunsystem der Nager an dem Schleimhautimpfstoff und produzierte Antikörper, die gegen alle bisherigen Sars-CoV-2-Varianten wirkten. Diese Antikörper fanden sich – anders als bei den mRNA-Impfstoffen – auch in der Schleimhaut. "Das sind zwar bislang nur vorläufige Daten aus einer Kleintierstudie, die noch begutachtet werden und sich letztendlich in klinischen Studien bewähren müssen", sagt der Infektiologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité. "Ich halte die Daten und den entwickelten Lebendimpfstoff aber für sehr vielversprechend."
Studien am Menschen wollen die Berliner Forschenden in Kooperation mit dem Baseler Biotechunternehmen Rocketvax durchführen. Eine Herausforderung sei nun, sagt Wyler, den Lebendimpfstoff in der notwendigen Qualität herzustellen. Mit etwas Glück könne man noch dieses Jahr mit klinischen Studien starten. Bis sCP9 auf den Markt komme, sei es aber noch ein weiter Weg.
Deutlich weiter vorangeschritten ist ein abgeschwächter Lebendimpfstoff der Firma Codagenix und dem Serum Institute of India, der demnächst in einer kombinierten Phase 2/3 getestet werden soll. Damit ist er einer möglichen Zulassung näher als jeder andere Lebendimpfstoff.
Wie stabil ist der Schutz?
Am Ende entscheidet sich das wahre Potenzial der neuen Mittel wohl vor allem an einer Frage: Wie langlebig wird der Schutz sein, den Schleimhautimpfstoffe vermitteln?
Die kurze Antwort: Man weiß es nicht. "Wir wissen zu wenig über Schleimhautimmunität", sagt der Virologe Florian Krammer. "Sie ist ein Stiefkind der Immunologie und der Impfstoffentwicklung."
Klar sei, sagt die Immunologin Falk, dass B-Zellen, die sich in den Schleimhäuten befänden und IgA-Antikörper produzierten, nicht so langlebig seien wie anderswo im Körper, etwa in den Lymphknoten, der Milz oder im Knochenmark. Und auch die IgA-Antikörper selbst verschwänden schneller als IgG, die man noch Wochen und Monate im Blut messen könne. "In der Schleimhaut werden Antikörper gebildet, solange das Antigen da ist, dann wird die Produktion relativ schnell auch wieder eingestellt", sagt Sander. Woran das liegt, ist nicht klar. Womöglich fehlt den B-Zellen ein Entwicklungsschritt oder die Umgebung, die sie brauchen, um zu langlebigen antikörperproduzierenden Zellen zu werden, wie sie sich etwa im Knochenmark finden. Sander geht daher nicht davon aus, dass nasale Impfstoffe eine Ansteckung über Jahre verhindern können.
Christine Falk rechnet zumindest damit, dass mit einer Nasenimpfung auch T-Gedächtniszellen entstehen, die virusinfizierte Zellen erkennen können und die lange in den Schleimhäuten verbleiben. Sie könnten dafür sorgen, dass bei Kontakt mit Sars-CoV-2 eine Infektion zwar nicht komplett verhindert wird, das Immunsystem aber schon in der Schleimhaut schnell und effektiv reagieren und somit einem schweren Verlauf entgegenwirken kann.
Der regelmäßige Nasenbooster
Ungewiss ist ebenfalls, wie flächendeckend ein Nasenimpfstoff zur Anwendung käme. Emanuel Wyler und Florian Krammer etwa glauben, dass das stark davon abhängt, wie schwer Infektionen mit dem Coronavirus noch verlaufen, wenn die Bevölkerungsimmunität weiter zunimmt: Werden sie so harmlos sein wie die endemischen Corona-Erkältungsviren oder eher so schwer wie die Influenza? Außerdem ist entscheidend, ob bei wiederholten Infektionen ein Long-Covid-Risiko bestehen bleibt.
Falls Corona auf lange Sicht so schwere Wellen auslöst wie die Grippe, dann könnten regelmäßige Booster per Nasenspray oder Inhalation große Abhilfe verschaffen. "Ich könnte mir vorstellen", sagt Wyler, "dass wir Risikogruppen dann jährlich oder halbjährlich mit angepassten Schleimhautimpfstoffen boostern und den Rest der Bevölkerung vielleicht alle fünf Jahre."
Damit es eines Tages so weit kommt, müssten sich allerdings einige Annahmen als richtig herausstellen. Allem voran, dass Booster, die über die Schleimhäute verabreicht werden, auch das systemische Immunsystem stimulieren, also die im Blut zirkulierenden Immunzellen.
"Wir wissen nicht, wie gut das gelingt, aber ich bin ganz hoffnungsfroh", sagt Florian Krammer – und verweist auf erste Daten aus China (medRxiv: Zhang et al., 2022). Im Rahmen der Studie bekamen 900 Versuchspersonen, die bereits zwei Impfungen mit einem Totimpfstoff bekommen hatten, einen Booster. Ein Viertel davon inhalierte einen Adenovirus-Impfstoff, die anderen bekamen verschiedene andere Impfstoffe gespritzt. Dann verglichen die Forscherinnen, wie stark die Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut anstiegen. Das Ergebnis: Auch bei denjenigen, die den Impfstoff inhaliert hatten, nahm die Zahl der Antikörper – mit geringer Verzögerung – stark zu.
Wie oft man die Immunität mit einem Nasenspray auffrischt, dürfte dabei auch von der Verträglichkeit dieser Impfstoffe abhängen. Bei Impfstoffen mit abgeschwächten Lebendviren etwa besteht theoretisch ein Restrisiko, dass die verabreichten Viren Menschen doch krank machen. Das kann passieren, wenn sie etwa in ihren Ausgangszustand zurückmutieren. Das hat man in extrem seltenen Fällen beim Polio-Impfstoff beobachtet (Cell: Kew et al., 2005). Allerdings war dessen Erbgut nur an wenigen Stellen entscheidend verändert. Anders ist das bei dem Impfstoffkandidaten sCPD9, an dem Emanuel Wyler forscht. "Unser Virus müsste 150 Mutationen durchmachen, um wieder aggressiv zu werden", sagt Wyler. Das sei extrem unwahrscheinlich.
Bedeutsamer sei, dass die Lebendimpfstoffe Menschen mit bestimmten Krankheiten womöglich nicht empfohlen werden dürften. Aus Angst davor, dass ihr Immunsystem das Impfvirus nicht ausreichend bekämpfen kann. "Bei Lebendimpfstoffen stellt sich immer die Frage, bei welchem Grad von Immunschwäche man sie noch geben kann", sagt Wyler. "Darf man sie jemandem geben, der Asthma hat und inhalative Cortison-Präparate nimmt? Vielleicht." Bei anderen Krankheiten sei die Antwort klarer: Menschen, die bestimmte Immunsuppressiva nehmen, etwa wegen einer Multiplen Sklerose, würden wohl ausscheiden. In solchen Fällen könnten Schleimhaut-Impfstoffe im Vorteil sein, die per mRNA funktionieren, also kein abgeschwächtes Virus enthalten.
Außerdem, sagt die Immunologin Christine Falk, sei es gerade bei abgeschwächten Lebendimpfstoffen wichtig, auf unerwünschte Autoimmunreaktionen als mögliche Nebenwirkungen zu achten. Schließlich verabreiche man eben nicht nur das Stachelprotein, sondern das ganze Virus mit all seinen etwa 30 Proteinen. Das steigere theoretisch die geringe Wahrscheinlichkeit, dass Antikörper gebildet würden, die sich gegen körpereigene Strukturen richteten.
Klinische Studien müssen jetzt zeigen, dass die Schleimhaut-Impfstoffe gut verträglich und wirksam sind. Doch Untersuchungen sind immer schwieriger durchzuführen. Einerseits, weil es immer weniger Menschen gibt, die weder geimpft noch genesen sind, also keine immunnaive Vergleichsgruppe. Außerdem, sagt Florian Krammer, hätten viele Gruppen auf Antigene des Wildtypvirus gesetzt, jetzt aber zirkuliere mit Omikron ein deutlich verändertes Virus. "Das ist eine relativ komplizierte Situation", sagt er.
Auch wenn einige Impfstoffe sich in Asien – etwa im Iran und in China – schon in der klinischen Phase 3 befänden, sei die Chance, dass sie hierzulande schnell zugelassen würden, sehr gering, da die Anforderungen westlicher Zulassungsbehörden sehr hoch seien. "Ich schätze, dieses und nächstes Jahr wird in Europa und den USA noch kein Schleimhaut-Impfstoff auf den Markt kommen", sagt Krammer. Es könnte also noch etwas dauern, bis wir künftig zum Boostern einfach nur noch die Nase hinhalten müssen.