Ein Stahlwerk in Duisburg© Frank Röth
Deutschland gehört zu den zehn Ländern mit dem höchsten CO2-Ausstoß der Welt – was es nach populärer Auffassung als besonders klimaschädlich qualifiziert. Zwar ist China der mit Abstand größte Emittent, denn von dort kommen fast ein Drittel aller Kohlendioxidemissionen. Deutschland steht dagegen mit einem Anteil von 1,8 Prozent „nur“ auf Platz 7 dieser Weltrangliste – dies aber mit einer Bevölkerungszahl, die kaum mehr als ein Zwanzigstel der chinesischen beträgt. Wie der „Global Carbon Atlas“ ausweist, wurden 2021 hier wie dort rund 8 Tonnen CO2 je Einwohner in die Luft gesetzt.
Dies ist allerdings noch nicht das ganze Bild. Denn es sieht für Deutschland viel günstiger aus, wenn man die Emissionen stattdessen auf die jeweilige Wirtschaftsleistung bezieht. Dazu hat nun das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) in Düsseldorf eine Auswertung vorgelegt: In Anlehnung an die in seinem Aufgabenfeld geläufige Kenngröße der Arbeitsproduktivität betrachtet es die sogenannte CO2-Produktivität. Diese Größe gibt an, wie viel Wirtschaftsleistung je Tonne Kohlendioxidausstoß in einem Land erzeugt wird. Und damit sortiert sich die Rangliste völlig neu.
Frank Lennings, Fachbereichsleiter des von den Metall-Arbeitgeberverbänden getragenen Instituts, sieht in den Berechnungen weit mehr als mathematische Spielerei. Denn diese zeigten eine zentrale Bedingung für den Erfolg von Klimaschutzpolitik: Würden Regulierungen und teure Energie hiesigen Industrieunternehmen das Produzieren schwer machen (oder geriete Deutschland gar auf den von Aktivisten erhofften Pfad einer Deindustrialisierung), so wäre für das Klima nichts gewonnen. Vielleicht würden dann die deutschen Emissionen sinken – aber: „Die unausweichliche Verlagerung in Wachstumsländer würde das Emissionswachstum dort noch beschleunigen und die Entwicklung und Erprobung ressourcenschonender Technologien in den Industrieländern verzögern oder behindern.“
Der „Produktivitätschampion“
Zur Illustration hat Lennings berechnet, was es für die globalen Emissionen hieße, falls alle Länder unter den hier betrachteten zehn größten Emittenten die hohe deutsche CO2-Produktivität hätten: Dann wäre die Gesamtmenge ihrer Emissionen – bei gleicher Wirtschaftsleistung – um 55 Prozent geringer. Statt 23,5 Gigatonnen Kohlendioxid hätten sie 2021 zusammen nur 10,5 Gigatonnen emittiert. Und der Gesamtausstoß aller Länder dieser Welt wäre unter dieser Annahme um 40 Prozent geringer.
Dies sei natürlich Theorie, gesteht der Forscher zu. Die CO2-Produktivität eines Landes hänge schließlich stark von der bestehenden Wirtschaftsstruktur ab, und die lasse sich nicht sprunghaft ändern. Umso mehr spreche insofern aber dafür, die Industrie vor allem dort zu halten, wo sie ohnehin schon recht klimaschonend produziert. Dass Länder längerfristig dennoch Fortschritte machen können, zeigt indes auch Deutschland: Während sein Bruttoinlandsprodukt seit 1991 real um mehr als 40 Prozent gewachsen ist, sind seine jährlichen Kohlendioxid-Emissionen um fast 40 Prozent auf 770 Millionen Tonnen gesunken (das sind 0,77 Gigatonnen); die Emissionen der Industrie sanken prozentual sogar noch stärker.
In Lennings’ Produktivitätsberechnung ist schon berücksichtigt, dass Länder wie Deutschland eigentlich mehr Ausstoß verantworten, als auf ihrem Staatsgebiet zu Buche schlägt: Die weltweit vernetzte Industrie verarbeitet viele Vorprodukte aus dem Ausland, die dort für Emissionen sorgen. Der „Global Carbon Atlas“ weist aber auch darauf angepasste Werte aus. Damit erhöht sich der Deutschland zugerechnete Ausstoß um rund 20 Prozent – seine Rolle als „Produktivitätschampion“ unter den größten Emittenten gefährdet das aber nicht.
Allerdings lassen sich die Emissionen technisch noch viel stärker senken, wie sich etwa an Frankreich zeigt. In Lennings’ Analyse der zehn Großemittenten blieb es außen vor, weil es „nur“ auf Platz 17 der Rangliste steht. Aber mit 4,7 Tonnen je Einwohner emittiert Frankreich auch größenbereinigt noch einmal deutlich weniger als Deutschland, und das bei sehr ähnlicher Wirtschaftsstruktur. Es liegt an seiner Stromversorgung, die auf Kernkraft baut. Vor diesem Weg, Emissionen ohne neue Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu mindern, scheut Deutschland aber bekanntlich zurück.