Die Lage in der Chemiebranche ist dramatisch, vor allem Mittelständer leiden unter den hohen Energiekosten. Die Regierung muss sofort handeln und die Gaspreise deckeln, fordert der Chemie-Manager Uwe Brunk.
Uwe Brunk leitet das Frankfurter Chemieunternehmen Weylchem. Foto: Pressedata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Wirtschaftswoche
Uwe Brunk arbeitet seit gut dreißig Jahren als Manager in der Chemiebranche. Zunächst war er für große Konzerne wie Bayer und Lanxess tätig, später wechselte er zum mittelständischen Hersteller CABB. Seit Oktober 2018 leitet er das Frankfurter Chemieunternehmen Weylchem mit mehr als 600 Millionen Euro Jahresumsatz. Weylchem stellt unter anderem Chemikalien für die Pharma- und Agrarindustrie sowie für Reinigungs- und Körperpflegemittel her. Das Unternehmen gehört zur International Chemical Investors Group in Luxemburg, die mehrere mittelgroße Unternehmen unter ihrem Dach vereint.
WirtschaftsWoche: Herr Brunk, die Prognosen für die Chemieindustrie sind düster. Wie schlimm ist die Lage im Mittelstand?
Uwe Brunk: Die Bedrohung ist existentiell. Eine solche Dramatik wie jetzt habe ich in meinem über 30-jährigen Berufsleben noch nicht erlebt. Die hohen Energiepreise erdrücken uns. Wenn man verhindern will, dass große Teile der Chemieproduktion nach Asien abwandern, muss die Regierung jetzt sofort handeln. Hier stehen Hunderte mittelständischer Unternehmen und Hunderttausende Jobs auf der Kippe.
Die Chemieindustrie braucht ab Oktober eine Deckelung der Strom- und Gaspreise. Anfang 2022 kostete Gas 80 Euro pro Megawattstunde, Strom 50 Euro pro Megawattstunde, heute ist es das Fünf- bis Siebenfache. Ich kann mir vorstellen, dass die Chemiefirmen 80 Prozent ihres Strom- und Gasbedarfs zu den Preisen vom Jahresanfang beziehen. Was darüber hinaus geht, zumindest für einen Basisbedarf, muss die Regierung kompensieren, so wie es in Frankreich und Spanien praktiziert wird. Und die Gasumlage würde die Preise noch weiter treiben. Die Unternehmen benötigen die Unterstützung jetzt und nicht irgendwann im kommenden Jahr, weil Teile der Industrie die nächsten sechs Monate möglicherweise nicht überleben.
Das würde weitere Milliarden kosten. Und bis zum Oktober ist es nicht mehr lange hin. Wie soll die Regierung in so kurzer Zeit eine Deckelung auf den Weg bringen?
In anderen Fällen hat die Regierung auch schnell gehandelt – als es etwa darum ging, Anlagen für LNG-Terminals zu beschlagnahmen. Die bisherigen Entlastungspakete zielten vor allem auf Gruppen, die persönlich betroffen sind, vor allem sozial schwächere Bürger. Das ist auch völlig in Ordnung. Jetzt allerdings muss die Regierung betroffene Branchen entlasten, um Schlimmeres zu verhindern.
Mal ganz konkret: Wie stark belasten die hohen Energiepreise die Chemiebranche?
Fast alle Produktionsprozesse in der Chemie laufen über Dampf, der wiederum mithilfe von Gas erzeugt wird. Vor gut einem Jahr lag der Preis pro Tonne Dampf zwischen 20 und 40 Euro, heute bezahlen wir das Fünffache. Nehmen wir zum Beispiel einige Vorprodukte für Pflanzenschutzmittel. Dort machten die Energiekosten vor gut einem Jahr 15 Prozent des Umsatzes aus. Mittlerweile hat sich dieser Anteil auf 65 Prozent erhöht. Damit sind wir international nicht mehr wettbewerbsfähig, denn schon die Herstellkosten liegen um 50 Prozent über dem Weltmarktpreis.
Aber Sie können doch die dramatisch gestiegenen Energiekosten über höhere Preise an ihre Kunden weiterreichen?
Das hat bis zum zweiten Quartal dieses Jahres funktioniert. Aber inzwischen sind die Kunden nicht mehr bereit, weitere Preissteigerungen zu akzeptieren. Selbst europäische Kunden kaufen stattdessen lieber in Japan, China, Indien und den USA, wo Energie günstiger ist. Die Folge ist, dass Aufträge wegbrechen und europäische und deutsche Hersteller ihre Kapazitäten nicht mehr auslasten können. Sie brauchen aber in der Chemiebranche eine Kapazitätsauslastung von 85 bis 90 Prozent, um profitabel arbeiten zu können. Das ist nicht zu erreichen, wenn die Aufträge nach Übersee abwandern.
Gibt es schon Beispiele für Unternehmen, die ihre Produktion in Europa deswegen stillgelegt haben?
Ich weiß von Fabriken in Spanien, die wegen der hohen Energiekosten keine Antibiotika und keine Vorprodukte für Pflanzenschutzmittel mehr produzieren. Das kann auch in Deutschland passieren.
Wo spüren Sie die hohen Energiekosten noch?
Bei den gestiegenen Preisen für Rohstoffe und Zwischenprodukte, die wir für die Produktion bei Weylchem einkaufen müssen. Der Preis für Natronlauge hat sich pro Tonne innerhalb eines Jahres von durchschnittlich rund 400 auf 1300 Euro erhöht. Auch Chlortoluole aus Europa, die für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten gebraucht werden, sind um das Dreifache teurer geworden – wenn man überhaupt noch welche bekommt.
Die Chemieindustrie hat jahrzehntelang gut vom günstigen Gas gelebt. Wie weit sind die Unternehmen denn damit, ihre Energieversorgung entsprechend umzustellen?
Deutschland hatte schon vor der aktuellen Krise mit die höchsten Energiepreise der Welt. Laufende Prozessoptimierung gehört daher ohnehin zur DNA der Chemiebranche. Wir prüfen jetzt weitere Optionen wie die Umstellung von Gas auf Öl oder Wasserstoff-Lösungen. Aber dafür benötigt man Monate, alleine schon wegen der Genehmigungen. Diese Zeit haben wir nicht. Die Energiekosten laufen uns gerade davon – wir brauchen jetzt unmittelbar eine Lösung.