© Getty Images/Westend61Schafe fühlen sich unter schattigen Solarpanelen wohl Quelle: Getty Images/Westend61
Im Jahr 1981 erschien in der Zeitschrift „Sonnenenergie“ ein Beitrag der Wissenschaftler Adolf Götzberger und Armin Zastrow. Er trug den Titel „Kartoffeln unter dem Kollektor“. Die Autoren schlugen vor, Äcker so zu nutzen, dass dort zweierlei geerntet würde: Kartoffeln und Solarstrom. Denn der Kartoffel bekommt der Schatten der Photovoltaikmodule (PV) besser als Sonnenschein im Zenit.
Die Idee der „Agri-PV“ war geboren. Es dauerte dann mehr als 40 Jahre, bis sich die Politik dafür begeisterte. Anfang Juli beschloss der Bundestag eine
Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Darin steht, dass Agri-PV fortan auch auf Grünland erlaubt ist. Und das Bundesagrarministerium teilte mit, dass für die Kombination von Kollektor und Kartoffel oder Grünland
auch weiterhin die für Landwirte lebenswichtigen EU-Flächenprämien ausgezahlt würden. Das bedeutet: Agri-PV ist auch juristisch als Landwirtschaft zu betrachten, nicht als Kraftwerkbau. Zwei wichtige Stellschrauben sind verändert, um den Ausbau zu forcieren.
Im Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg beschäftigt man sich schon länger mit dem Thema. Max Trommsdorff leitet dort die Forschung zu Agri-PV. In seinen Augen ist ihre Zeit gekommen, ,,schneller als gedacht“.
Über die Durchsetzung entscheiden in der Praxis aber nicht nur gute wissenschaftliche Argumente, sondern vor allem betriebswirtschaftliche. Jetzt haben die Landwirte Klarheit: Die EU-Agrarförderung gibt es weiter, wenn „landwirtschaftliche Hauptnutzung“ vorliegt, also nicht mehr als 15 Prozent des üblichen Ertrages durch die Solaranlagen verloren gehen. Klare Kriterien für die Tierhaltung fehlen aber noch.
Die erste wissenschaftliche Versuchsanlage in Deutschland entstand 2015 in Heggelbach am Bodensee, betreut unter anderem vom ISE. Sechs Meter hoch beschirmen in Heggelbach PV-Module die Felder, auf denen Sellerie, Kartoffeln, Klee und Weizen wachsen. Viel Licht dringt hindurch, und schon die ersten Forschungsergebnisse waren vielversprechend.
© Hofgemeinschaft Heggelbachin der Versuchsanlage Heggelbach wird die erste Getreideernte unter der APV-Anlage eingebracht. Quelle: © Hofgemeinschaft Heggelbach
Die Ernten gingen durch die Beschattung zurück – bei Kartoffeln und Weizen rund 18 Prozent, aber die Stromausbeute verbessert die Gesamtbilanz. Das Land wurde um 60 Prozent effektiver genutzt als im Falle der reinen Feldwirtschaft. Im besonders heißen Sommer 2018 waren die Getreideernten unter PV-Schatten sogar etwas größer als auf den offenen Vergleichsfeldern. Die Früchte wurden geschützt.
Die zunehmend sonnigeren Sommer führen auch in anderen Bereichen zur Idee einer zusätzlichen Beschattung durch PV-Dächer. Im Weinbau lassen Hitze und Trockenheit die Trauben früher reifen, oft zu früh, hier könnte die Bedachung besonders positiv wirken, meinen Wissenschaftler von der Hochschule Geisenheim mit der berühmten Weinbauschule im hessischen Rheingau.
© Infografik WELTQuelle: Infografik WELT
Am Geisenheimer Fuchsberg soll im Idealfall im kommenden Jahr unter Agri-PV-Dächern Weintrauben geerntet werden. Drei Meter hoch überdecken hier Solardächer die jungen Reben. Die Fläche ist gering: ein halber Hektar. Hier geht es nicht um Marktreife – sondern, wie es im Forschungsantrag heißt, um neue Wege für die Anpassung an den Klimawandel zu eröffnen und um „gesellschaftliche Partizipation bei der Ausgestaltung der Energiewende am praktischen Beispiel“ zu erlangen. Die Ertragsauswirkungen werden dokumentiert. Eine weitere Frage in Geisenheim ist, was man über die Integration sogenannter Biodiversitätsinseln – Blüh- und Nistfelder inmitten der Dächer – erreichen kann.
Was sagen die Landwirte? Grund, über Agri-PV nachzudenken, haben sie: Die Dürre drückt, Schattenspender sind überlebenswichtig. Auch in der bayerischen Rhön stauben die Böden wieder. Wie ernährt uns künftig solches Wüstenland?
Der Bauer Mathias Klöffel beackert in Großbardorf mit seinem Sohn 180 Hektar Land. Hier reifen Weizen, Mais und anderes. Er hat schon vieles dafür getan, um den Ackerbau an die neuen Klimabedingungen anzupassen. Weg vom Mais, hin zu Fruchtfolgen mit Triticalen, tief wurzelnden Luzernen, Leguminosen, Salbei. Vieles davon kommt in die Biogasanlage.
Klöffel wäre ein idealer Interessent für Agri-PV. Paneele könnten seine Äcker vor dem schnellen Austrocknen schützen. Klöffel, auch Geschäftsführer der Energiegenossenschaft Agrokraft, denkt aber vor allem an Mehraufwand und rechnet am Beispiel seines Betriebes vor: 300 Euro spüle ein Hektar Weizenland in seine Betriebskasse, und das sei nicht eben viel. Da müsse die Arbeit unkompliziert sein. „Wenn dazwischen fünf PV-Anlagen stehen, wird die Arbeitszeit für das Mähen viel zu lang.“
Er denkt nicht daran. Sein eigener Weg zur Sonnenenergie war weniger kompliziert: Klöffel ließ schon vor 20 Jahren seine Stalldächer mit PV-Modulen eindecken. Und die Genossenschaft betreibt eine klassische Solaranlage, die Fläche frisst.
Aber die Agri-PV-Technik entwickelt sich fort. Große Traktoren und Mähdrescher könnten durch die Reihen fahren – die Höhe der PV-Dächer liegt bei sechs Metern, der Abstand der Paneelreihen bei 18 Metern.
Markus Haastert will Bedenken zerstreuen. Der Unternehmer in Berlin berät mit seiner AgroSolar Europe GmbH Landwirte und berichtet von stark gestiegenem Interesse nach dem Parlamentsbeschluss vom Juli. Fragen kommen aus dem ganzen Land: Es geht um die optimale Beschattung von Obst im Alten Land, von Beeren in Brandenburg, von Kartoffeln und Rüben im Rheinland. Aber auch, sagt Haastert, um naturnähere Anlagen. „Wir wollen nicht Beton auf den Acker gießen, sondern Anlagen auf filigrane Stahlverankerungen stellen, die wie Baumwurzeln gemacht sind.“
Noch sind viele Fragen offen: Wie lassen sich Paneele so aufstellen, dass sie im Frühling vor Hagel schützen und im Sommer das Mikroklima verbessern? Wie kann man Bewässerungsanlagen integrieren? Wird die Artenvielfalt beeinflusst, werden Vögel geblendet?
In der Agrarwissenschaft werden sinnvolle Antworten oft nur für sehr konkreten Anwendungen gegeben. Jede Frucht, jeder Boden, jede Klimaregion hat eigene Bedarfe. Welche Anwendungsfelder landwirtschaftlich sinnvoll sind, ist bekannt: Dauergrünland oder Getreide vertragen eine Beschattung am Morgen und Abend. Damit experimentiert etwa der süddeutsche Energieversorger Lechwerke seit gut einem Jahr im Allgäu. Diese Paneele lassen etwa die Beweidung durch Schafe, Ziegen oder Hühner zu.
Obstkulturen wie Birnen und Äpfel oder Kartoffeln, die Sonnenschutz in der Mittagszeit benötigen, lassen sich eher mit dachförmigen, auf Stelzen stehenden PV-Modulen kombinieren. Davon gibt es in Deutschland bislang nur wenige Versuchsanlagen – eine etwa am Bodensee, eine in Rheinland-Pfalz, wo auf Apfelplantagen die Früchte erfolgreich vor Sonnenbrand geschützt werden.
Wie viel teurer ist eine hochgeständerte PV-Anlage, wie sie in Heggelbach eingesetzt wird? Das Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe im bayerischen Straubing hat Daten dazu: 1234 Euro fallen an Investitionskosten je Kilowatt Peak – die maximale Leistung unter Standardbedingungen – Stromertrag für diese Anlagen an, bei gängigen Freiflächenanlagen sind es im Vergleich nur 572 Euro. Weil unter dem teureren Solardach aber eine Bewirtschaftung möglich ist, kommt der Getreide- oder Obstverkauf hinzu, ebenso wie die rund 300 Euro EU-Flächenprämie. Agri-PV wird sich zunächst auf sehr ertragreichen Böden rentieren.
Für die sogenannte integrierte Photovoltaik wie Agri-PV kommen mehreren Möglichkeiten infrage, überall dort, wo Solarpaneele in bestehende Infrastrukturen eingebaut werden, an Hausfassaden, in Gleisen, auf Autodächern bis hin zu Baggerseen, auf denen Anlagen schwimmen. Das Ausbaupotenzial der Agri-PV ist aber besonders groß, hat Forscher Trommsdorff mit Kollegen errechnet.
Dazu verglich er den Stromertrag der Agri-PV mit anderen Bereichen: Auf 1700 Gigawatt Peak kamen sie, das ist deutlich mehr als jeweils für den Solarausbau der Gebäude, der Straßen- und Schienenwege, der Wasserflächen, Lärmschutzwände oder einer entsprechenden Nutzung der Autoflächen. Und es wäre vielfach mehr, als für die Klimaneutralität im Energiesektor laut Berechnungen des ISE nötig wäre.
© Infografik WELTQuelle: Infografik WELT
Der Ausbau von Agri-PV geht nicht mit der Brechstange, es gibt auch Vorbehalte in der Bevölkerung. Am Freiburger ISE wird auch die Akzeptanz der Agri-PV erforscht. Erste Ergebnisse: Die Kombination von Agrarwirtschaft und Photovoltaik wird von Menschen weniger störend wahrgenommen als reine PV-Flächen am Boden oder vor allem als Windparks.