Die neue Nummer drei auf dem deutschen Tankstellenmarkt ist auf den ersten Blick ein alter Bekannter: Mit dem Zukauf von rund 300 Tankstellen überholt die zum Ölkonzern Exxon gehörende Marke Esso hierzulande den Konkurrenten Total und rückt einen Platz vor.
Allerdings steckt gar nicht Esso hinter dem jüngsten Zukauf, und das wiederum ist typisch für die zukünftige Ausrichtung des internationalen Tankstellengeschäfts. Käufer ist die Londoner EG Group, der seit vier Jahren das deutsche Tankstellennetz von Esso gehört.
Der Name steht für Euro Garages, und die Gruppe ist auf den Einzelhandel spezialisiert. Sie bringt Laden- oder Restaurantketten an die Benzinstationen und ist mit etwa 20 Milliarden Euro Umsatz eines der größten privaten Unternehmen Großbritanniens.
Bei dem jüngsten Deal in Deutschland geht es um Stationen des österreichischen Energiekonzerns OMV, der seine Aktivitäten zusammenstreicht und die Tankstellen an die EG Group verkaufte. Dadurch verfügt die Gruppe jetzt über rund 3700 Stationen in Europa.
Gerade der deutsche Markt für Benzin und Diesel ist begehrt in Europa. Die Konzerne liefern sich einen intensiven Wettbewerb um Marktanteile. Der französische Konzern Total hatte zuletzt dreistellige Millionen-Euro-Summen in das Deutschlandgeschäft investiert, um seine Marktstellung zu festigen – und Esso aus dem Spitzentrio zu verdrängen.
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Das Modell von Exxon und der EG Group, das sie so ähnlich auch in Frankreich, Großbritannien oder Italien praktizieren, steht für einen Trend: Die Ölkonzerne wissen, dass der Verkauf von Benzin und Diesel mit der zunehmenden Elektromobilität abnimmt. Die eigenen Tankstellen benötigen zum Ausgleich ein wachsendes Geschäft im Einzelhandel, in der Gastronomie oder mit Dienstleistungen.
Im Vor-Corona-Jahr 2019 haben deutsche
Tankstellenshops mit dem Verkauf von Lebensmitteln 2,8 Milliarden Euro umgesetzt. Bei etwa zehn Millionen Tankstellenkunden am Tag ist diese Summe aus Sicht von Handelsexperten allerdings zu gering und noch stark ausbaubar.
Doch die Ölkonzerne verfügen nicht über Kenntnisse des Einzelhandels, dafür benötigen sie kompetente Partner. Ein Beispiel ist Marktführer Aral mit den Rewe-to-go-Shops an den Benzinstationen.
Das Beispiel Esso ist ein anderer Ausweg aus dem Dilemma. Vor vier Jahren hat der Ölkonzern Exxon Mobil das gesamte deutsche Tankstellennetz seiner Marke Esso an EG Group verkauft. Rund 1000 Esso-Stationen gingen damals an den britischen Handelsexperten. Angaben zum Preis wurden nicht gemacht.
Exxon gibt das Risiko komplett ab
Fraglich ist, ob bei dem Geschäft überhaupt viel Geld geflossen ist. Denn Exxon sichert sich über diesen Weg für zwei Jahrzehnte den Absatz von Benzin und Diesel aus der eigenen Ölförderung und den Raffinerien.
Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen bei der Belieferung mit Ölprodukten wurde zunächst für 20 Jahre vereinbart. Gleichzeitig gibt der Ölkonzern die Verantwortung für die Immobilien und das Personal ab – damit sind die Tankstellen für ihn kein finanzielles Risiko mehr.
Das Konzept der EG Group ist weltweit etwa in den USA oder auch in Großbritannien bereits verbreitet. „Diese Tankstellenbetreiber holen mehrere große Marken etwa aus dem Handel oder der Gastronomie an den Standort und schaffen dadurch ein anderes Umfeld für das Tankstellengeschäft“, sagt Rainer Wiek, Chefredakteur des Fachmagazins Tankstellen-Welt. Beispiele sind Filialen von Burger King, Subway oder Lebensmittelläden wie 7-Eleven.
Für Exxon sei die Strategie alles andere als ein Abschied aus dem deutschen Tankstellenmarkt. „Im Gegenteil, hier versucht ein Konzern das Beste aus zwei Welten zu verbinden: aus dem Verkauf von Kraftstoff und dem Wissen um den Einzelhandel“, sagt Wiek. Generell müssten sich die Tankstellenketten im Zuge der Mobilitätswende Gedanken über ihre zukünftige Ausrichtung machen.
Die Zahl der Esso-Stationen schrumpfte jedes Jahr
Mit dem Verkauf kam es zu einem erstaunlichen Wandel. Davor gehörte die Marke Esso zu den Verlierern im deutschen Tankstellengeschäft, die Zahl der Stationen schrumpfte jedes Jahr. Der Verkauf an EG Group hat die Lage verändert. „Auf einmal wurden aus den alten Rostlauben wieder ansprechende Benzinstationen“, sagt ein Branchenexperte zum Auftritt der Marke Esso.
Dahinter stehen das Engagement und die Investitionen der EG Group. Das Unternehmen wurde im Jahr 2001 von den Brüdern Zuber Issa und Mohsin Issa gegründet und sitzt im Nordwesten Englands in Blackburn. „Der deutsche Markt bietet uns großartige Wachstumschancen und ist die logische Erweiterung unseres Geschäfts in ganz Europa“, äußerte sich Vorstandschef Mohsin Issa nach dem jüngsten Zukauf.
Neben Esso-Stationen in Europa gehören EG Group in den USA Tankstellen etwa von Fastrac oder Certified Oil. Noch umfangreicher waren in den vergangenen Jahren die Übernahmen von Supermärkten. Namen wie Kroger in Großbritannien, Woolworths in Australien oder die Walmart-Tochtergesellschaft Asda sind darunter zu finden.
Hinzu kommen Ketten wie 7-Eleven und Restaurants wie Kentucky Fried Chicken, Burger King, Subway oder Hunt Brothers Pizza, bei denen EG Group als Franchisenehmer eine größere Zahl an Filialen in Europa oder Übersee betreibt. In den USA, dem größten Tankstellenmarkt der Welt, dominieren seit jeher die sogenannte Convenience Stores das Tankstellengeschäft. Rund 117.000 dieser Läden sind zugleich Benzinstationen.
Bei dem jüngsten Zukauf in Deutschland musste EG Group allerdings Einschränkungen akzeptieren. Das Bundeskartellamt verlangte für die Zustimmung zu dem Geschäftsabschluss einige Änderungen.
Die Bonner Behörde sah die Gefahr, dass der Zusammenschluss in diesen Regionen „zur Entstehung oder Verstärkung einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung der führenden Anbieter BP/Aral, Shell und EG Group führen“ könnte. Deshalb muss EG Group in Bayern und Baden-Württemberg 25 Tankstellen unter der Marke Esso sowie 23 Stationen von OMV an andere Branchenunternehmen veräußern.