Ein Hauptzeuge im Wirecard-Prozess bestätigt einen Kernpunkt der Anklage: Der Konzern habe Bilanzen frei erfunden. Die wichtigste Frage sei gewesen: »Ist der Wirtschaftsprüfer glücklich?«
Kronzeuge im Wirecard-Prozess: Wirecard soll Dokumente für Wirtschaftsprüfer »gebastelt« haben© Lukas Barth / dpa
Nach Darstellung des Angeklagten Oliver Bellenhaus haben Manager bei Wirecard wichtige Bilanzen frei erfunden. Man habe die Bücher stets passgenau zur Täuschung der Wirtschaftsprüfer gefälscht, erklärte der Kronzeuge am Mittwoch im Strafprozess vor dem Landgericht München. Das sei oft in großer Hektik geschehen.
»Der Wirtschaftsprüfer brauchte was, und dann entstand die Panik«, erläuterte der frühere Statthalter von Wirecard in Dubai. »Dann haben wir versucht, was zu basteln.« Entscheidend sei dabei die Frage gewesen: »Ist der Wirtschaftsprüfer glücklich?«
Bellenhaus hatte sich kurz nach der Pleite von Wirecard im Sommer 2020 der Münchner Staatsanwaltschaft gestellt und dort umfassend ausgesagt. Seine Anwälte haben dafür einen Strafnachlass und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft verlangt, was das Gericht und die Staatsanwaltschaft bisher abgelehnt haben. Bellenhaus sitzt seit rund zweieinhalb Jahren in U-Haft.
In der Befragung des Kronzeugen Bellenhaus durch den Richter drehte sich erneut viel um die sogenannten Drittpartner, an die Wirecard angeblich einen Großteil des Geschäfts in Asien ausgelagert hatte. Nach Darstellung des Konzerns soll das Geschäft in den letzten Jahren den kompletten Konzerngewinn erwirtschaftet haben, doch Bellenhaus bekräftigte am Mittwoch erneut, dass es dieses Drittpartnergeschäft nicht gegeben habe. »Ich sage in aller Deutlichkeit nein«, sagte der Kronzeuge. Bereits als er 2013 die Zuständigkeit für dieses Geschäft übernommen habe, sei ihm klar gewesen, dass »window dressing« betrieben werde, also Zahlen geschönt wurden. »Aber ab 2016 war völlig klar, dass es das Geschäft nicht gab.«
»Da gingen die Millionen raus«
Nach seiner Einschätzung habe man bereits 2010 angefangen, dass erfundene Drittpartnergeschäft aufzubauen. Die vermeintlichen Partner hätten »alle keine Lizenz« und aufsichtsrechtliche Zulassung für die Zahlungsabwicklung gehabt. Wie da ein Zahlungsabwicklungsgeschäft von 100 Milliarden Euro binnen fünf Jahren hätte existieren sollen, sei »illusorisch«. Schon 2013 habe Wirecard nicht mehr genug Geld verdient, um die explodierenden Kosten zu decken. »Da gingen Millionen raus, so schnell konnten Sie gar nicht nachzählen.«
Er sei von dem früheren Finanzvorstand Burkhard Ley in seine Aufgabe in Dubai eingeführt worden, sagte Bellenhaus. Gegen Ley wird ebenfalls ermittelt, er weist alle Vorwürfe zurück. Bellenhaus beschrieb, wie er mit Excel-Dateien die falschen Zahlen vorgegaukelt habe. Er habe solche Dateien über Weihnachten noch einmal nachgebaut. Die Originaldateien existierten jedoch nicht mehr, sie seien im Laufe des Verfahrens »untergegangen«. Die Verteidigung von Ex-Wirecard-Chef Braun wirft Bellenhaus vor, gezielt Daten vernichtet zu haben. Auf die Frage, warum die Dateien untergegangen seien, sagte Bellenhaus: »Die Dateien lagen in der Cloud. Wenn Sie die Cloud nicht mehr bezahlen, dann gehen die Daten unter, so ist das nun mal.«
Braun, der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt, hat sich in dem Prozess bisher nicht persönlich zur Anklage geäußert. Ob er wie vom Gericht geplant am 19. Januar das Wort ergreift oder schweigt, ist bislang unklar. Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm hatte erklärt, zunächst müsse das Gericht über seinen Antrag entscheiden, den Prozess auszusetzen. Den Antrag hatte Dierlamm mit einer nicht zu bewältigenden Flut neuer Prozessakten begründet.
Der Dax-Konzern war im Juni 2020 zusammengebrochen, als bekannt wurde, dass in der Kasse 1,9 Milliarden Euro fehlten. Die Wirecard-Pleite ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte.