Die Angst vor einer großen Pleitewelle geistert seit Jahren durchs Land. Passiert ist nichts. Selbst im Fall der Fälle gingen Großinsolvenzen oft glimpflich aus, zeigen neue Daten. Ist nun ein Wendepunkt erreicht?
Steigende Preise für Energie, Vorleistungsgüter und Löhne sowie steigende Refinanzierungskosten stellen viele Unternehmen vor Probleme. Dennoch gab es zuletzt kaum größere Firmenpleiten. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Wirtschaftswoche
Die Daten wirken surreal: Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen ist nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Juli um 4,2 Prozent gegenüber Juni gesunken. Bereits im Juni war sie um 7,6 Prozent gegenüber Mai zurückgegangen. Weniger Insolvenzen? Und das, obgleich die Statistik schon seit Jahren einen Pleiterückgang zeigt und die Krisen nicht weniger werden. Von Personalengpässen bis zu Lieferkettenproblemen und geopolitischen Verwerfungen reicht das Spektrum potenzieller Gefahrenquellen. Nur, wann wird sich die Lage in den Zahlen spiegeln?
Im Nachbarland Österreich scheint es bereits so weit zu sein. Laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform sind die Firmeninsolvenzen dort im ersten Halbjahr so stark wie nie zuvor um 121 Prozent auf 2429 Verfahren gestiegen und erreichen annähernd das Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019. Und in Deutschland?
Steigende Preise für Energie, Vorleistungsgüter und Löhne sowie steigende Refinanzierungskosten stellten viele Unternehmen vor Probleme. Hinzu komme, dass die Coronakrise die zuvor weitgehend robuste Eigenkapitalausstattung der Unternehmen angegriffen haben dürfte. „Vor dem Hintergrund der Vielzahl ökonomischer Probleme und Unwägbarkeiten ist in den nächsten Monaten mit höheren Insolvenzzahlen als im Vorjahr zu rechnen“, sagte Müller. Eine Insolvenzwelle sei aber trotz der steigenden Risiken nicht in Sicht. Dabei hatten viele Beobachter schon 2020 und 2021 vor massenhaften Pleiten gewarnt. Passiert ist wenig, zeigt eine Datenauswertung von Falkensteg.
Der Immobilienmarkt hat sich gedreht
Demnach mussten 2021 nur 161 Unternehmen mit einem Umsatz von 10 Millionen Euro oder mehr Insolvenz anmelden. 2020 waren es noch 291 Unternehmen und im Jahr davor 185. Für fast die Hälfte der betroffenen Unternehmen im vergangenen Jahr wurde laut der Analyse bis Juni 2022 eine Lösung gefunden. „57 Firmen wurden verkauft, bei 19 Unternehmen stimmten die Gläubiger einem Insolvenzplan zu und sechs Verfahren wurden zurückgenommen“, sagt Eckhardt. „Für 38 Firmen gibt es dagegen kaum noch Hoffnung.“ Die Rettungsquote von 49,1 Prozent kann in den nächsten Monaten weiter steigen, da noch 41 Verfahren aus dem Jahr 2021 laufen.
Zu den Käufern insolventer Unternehmen zählten neben deutschen auch internationale Investoren. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre kamen die internationalen Firmenretter laut Falkensteg beispielsweise aus Tschechien (8 Übernahmen), der Schweiz (6), China (4), USA (4) und Österreich (4). Auch aktuell sieht der Experte im Markt durchaus Interesse am Kauf notleidender Unternehmen.
„Die Kassen der Finanzinvestoren sind gut gefüllt“, sagt Eckhardt und fügt hinzu: „aber es gibt für sie wenige Verfahren, die eine relevante Größenordnung haben“. Das gelte auch für internationale Investoren. „Gerade für chinesische Unternehmen, die in den vergangenen Jahren sehr aktiv waren, sind die meisten Fälle inzwischen zu kleinteilig“, so Eckhardt. Zudem würden die Vorstellungen von Verkäufern und Käufern aktuell recht stark auseinanderklaffen. „Gerade im Immobilienbereich haben viele Akteure noch nicht registriert, wie stark und wie schnell sich der Markt gedreht hat.“
Klingt ganz so, als würden sich die Insolvenzzahlen und die wahrgenommene Krisenrealität demnächst wieder stärker angleichen.