© Bereitgestellt von HandelsblattDer Kompaktwagen machte anfangs vor allem durch den Elchtest auf sich aufmerksam – und gewann danach an Beliebtheit. Foto: dpadata-portal-copyright=
Sie ist eines der meistverkauften Modelle, trotzdem wird die A-Klasse 2025 aus dem Angebot von Mercedes verschwinden. Nicht das einzige Modell, das gestrichen wird.
Bei Mercedes-Benz zählte über Jahrzehnte hinweg vor allem Größe. Der Traum von der „Welt AG“ mit Chrysler platzte zwar jäh, aber die Marke mit dem Stern konnte sich später immerhin damit trösten, mehr Autos zu verkaufen als Erzrivale BMW.
Um dauerhaft die Premiumliga zu dominieren, weitete Mercedes seine Modellpalette auf mehr als 40 Fabrikate und Derivate aus. Doch mit dieser Strategie ist nun Schluss.
Konzernchef Ola Källenius bricht mit dem Absatzmantra seiner Vorgänger. Bereits Ende Mai kündigte der Schwede an, dass er drei von sieben Kompaktwagen streichen wird. Die Investitionen sollen in Modelle fließen, die hohe Deckungsbeiträge abwerfen.
Marge geht in Zukunft vor Menge. Nur welche Modelle konkret wegfallen und welche bleiben, ließ Källenius bislang offen.
Von vier Insidern erfuhr das Handelsblatt nun, dass sich Mercedes künftig auf den Bau folgender Modelle konzentrieren wird: CLA Coupé, GLA, GLB und CLA Shooting Brake.
Mercedes-Benz will neben A-Klasse auch B-Klasse einstellen
Das Ende der A-Klasse ist eine Zäsur für den Dax-Konzern und die Branche. Die Baureihe ist das meistverkaufte Fahrzeug von Mercedes in Europa und zählt neben dem VW Golf, dem Skoda Octavia, dem Toyota Corolla und dem Ford Focus zu den absoluten Bestsellern unter den Kompaktfahrzeugen.
Verkehrsminister Hermann: „Ein Fehler, wenn man nur noch für Reiche und Superreiche Autos baut“
Intern hadern daher viele mit der Entscheidung. Mercedes setzt schon länger voll auf Luxus statt Masse. Doch einige im Führungskader plädieren für einen Mittelweg. Ein Aufsichtsrat warnt: „Kleinere Modelle müssen Teil der Familie mit Stern bleiben.“ Die Abkehr von A- und B-Klasse dürfe keinesfalls das schrittweise Aus aller Kompaktwagen bei Mercedes einleiten.
Extern fällt die Kritik teils harsch aus. „Ich halte diese Strategie für einen Fehler, das wird auch zu Akzeptanzproblemen führen, wenn man nur noch für Reiche und Superreiche Autos baut“, erklärte Winfried Hermann, grüner Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Selbst langjährige Szenekenner sehen die Strategie von Källenius skeptisch, künftig vor allem mit besonders großen und lukrativen Modellen wie S-Klasse, GLS oder G-Klasse zu wachsen, die allesamt bei ordentlicher Ausstattung mehr als 100.000 Euro kosten.
„Die Welt der Schönen und Reichen klingt spannend und verspricht auf den ersten Blick märchenhafte Renditen“, meint Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR). „Im Autogeschäft ist ein Schrumpfungsprozess aber ein sehr großes Risiko.“ Gerade jetzt, wo Fahrzeuge mit immer leistungsfähigeren Rechnern, Betriebssystemen und reichweitenstarken Batterien ausgestattet werden, seien Skaleneffekte wichtiger denn je.
„Software wird einmal entwickelt und dann quasi zu Null-Kosten vervielfacht“, sagt Dudenhöffer. Konzerne wie Volkswagen würden dank ihres großen Volumens davon in Zukunft profieren, während Mercedes in „erheblichem Maße Kostenvorteile verliert“.
Mercedes-Chef Källenius: Maximal 2,5 Millionen verkaufte Autos im Jahr
Källenius sieht das völlig anders. Immer wieder betont der 53-Jährige, keinesfalls mit Massenherstellern konkurrieren zu wollen. „Fokus ist eine Stärke“, bläut der Skandinavier seiner Truppe ein. Dafür verknappt er das Angebot und erhöht die Preise. Das Ziel seines Vorgängers Dieter Zetsche, den Jahresabsatz von zuletzt 2,1 Millionen Fahrzeugen bis 2030 auf mehr als drei Millionen Einheiten zu steigern, hat Källenius revidiert.
Mittelfristig strebt der Manager den Verkauf von maximal 2,5 Millionen Autos per annum an. Dafür verschiebt er den Produktmix. Das Volumen der Kompaktwagen soll auf dem Niveau des Vorjahres verharren, also bei rund 570.000 Fahrzeugen. In der gehobenen Mittelklasse will Mercedes dagegen mit Fabrikaten wie C-Klasse, EQC und E-Klasse ordentlich wachsen. Und ganz oben mit EQS, Maybach und AMG sogar um 60 Prozent zulegen.
Von einem „Schrumpfkurs“ könne daher keine Rede sein, heißt es im Umfeld von Källenius. Zudem sei Mercedes in seiner fast 140 Jahre währenden Historie die überwiegende Zeit gut ohne kleine Fabrikate wie die A-Klasse ausgekommen. Als „Baby-Benz“ gilt echten Fans der Marke ohnehin die C-Klasse. Dennoch wird auch der A-Klasse ein Legendenstatus nachgesagt.
Der Grund: Kurz nach der Markteinführung 1997 kippte die Baureihe beim sogenannten „Elchtest“ um. Ein Desaster. Mercedes stoppte daraufhin die Produktion, überarbeitete das Fahrwerk und stattete die A-Klasse serienmäßig mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm ESP aus.
Die Kunden goutierten die Aufwertung. 1998 verkaufte Mercedes von der A-Klasse aus dem Stand fast 120.000 Fahrzeuge in Europa, ein Jahr später kletterte der Absatz auf beinahe 180.000 Einheiten. Doch das Konzept des kurzen Minivans überlebte sich schnell. Von 2008 bis 2012 brachen die Auslieferungen drastisch ein.
Der damals neu installierte und heute immer noch amtierende Chefdesigner Gorden Wagener entsorgte die alte Sandwichkonstruktion und flachte die A-Klasse ab. Das Modell begeisterte plötzlich deutlich mehr junge Kunden. Der Erfolg kehrte zurück. Doch die Rendite ist seit jeher problematisch. Im Grundsatz gilt: je kleiner das Modell, desto kleiner der Deckungsbeitrag.
Ende der Mercedes-A-Klasse: zu wenig Marge, zu europäisch
Hinzu kommt: Mercedes will künftig nur noch „Weltautos“ bauen, also Fahrzeuge, die in den drei großen Regionen Europa, USA und China gleichermaßen funktionieren. So will der Konzern etwaige Marktschwankungen besser abfedern. Die A-Klasse findet allerdings in den Vereinigten Staaten kaum Anklang.
Die 2019 angestoßene Expansion nach Übersee ist gescheitert. Die erhofften Volumina wurden nicht erreicht. Im vergangenen Jahr wurden lediglich 8.100 Einheiten der A-Klasse-Limousine in den USA verkauft. Vor einigen Monaten zog das Management in Stuttgart die Reißleine. Der Sedan wird noch dieses Jahr aus dem Markt genommen.
In China sind die Verkaufszahlen der A-Klasse in extralanger Ausführung zwar ganz ordentlich, aber die Marge stimmt nicht; zu viele Fahrzeuge landeten offenbar in unrentablen Kanälen. Ein No-Go für Konzernchef Källenius. Jedes Modell, egal ob klein oder groß, kurz oder lang, muss künftig deutlich zweistellige Deckungsbeiträge generieren, lautet intern seine Vorgabe. Ansonsten wäre das Ziel gefährdet, bis 2025 eine Umsatzrendite von mehr als 14 Prozent auf Konzernebene zu erzielen.
Kurzum: Die A-Klasse ist zu europäisch und liefert zu wenig Profit. Zudem sind die Wachstumsperspektiven für kleine Limousinen mau; die halbe Welt fährt lieber SUVs. Für Källenius ist das Ende der A-Klasse eine rationale Entscheidung. Und bei der B-Klasse gibt es ohnehin keine Diskussionen. Das Segment der Minivans sei „mausetot“, sagt ein Manager. Tatsächlich sind die Verkaufszahlen der B-Klasse seit Jahren unter Plan.
Im vergangenen Jahr hat Mercedes sogar erstmals mehr Fahrzeuge der beiden kompakten SUV-Baureihen GLA und GLB in Europa, China und den USA verkauft als Fahrzeuge der A- und B-Klasse. Eine Zeitenwende. Die Stuttgarter fürchten durch den Wegfall der beiden Einstiegsmodelle keinen großen Kundenschwund. Die meisten A-Klasse-Fahrer würden einfach auf andere Mercedes-Modelle ausweichen, so die Hoffnung. Zumal die Schwaben ihre verbleibenden Kompaktwagen erheblich aufwerten wollen.
CLA als neues teureres Einstiegsmodell von Mercedes-Benz
In der zweiten Jahreshälfte 2024 geht mit dem CLA die erste Baureihe auf der neuen MMA-Plattform an den Start. Der Fokus bei dem Modell, das in China auch als Langversion erhältlich sein wird, liegt auf dem elektrischen Antrieb. Mercedes strebt bei der Limousine durch eine verbesserte Zellchemie eine Rekordreichweite von bis zu 850 Kilometern an. Das schaffen heute weder EQS noch Lucid Air.
Bulligere und damit ineffizientere Kompaktmodelle wie der GLB sollen immerhin noch 650 Kilometer ohne Nachladen schaffen. Alternativ wird eine letzte Benzinervariante zur Auswahl stehen. Alle MMA-Fabrikate bekommen das Linux-basierte Betriebssystem MB.OS sowie die Option auf hochautomatisierte Fahrfunktionen (Level 3).
Damit wird es absehbar teurer, einen Mercedes zu fahren. Der Einstiegspunkt in die Sternenwelt verschiebt sich von der A-Klasse zum Basispreis von 28.393 Euro hin zum CLA, der schon heute rund 6.000 Euro mehr kostet. Die vielen technischen Verbesserungen kommen preislich obendrauf. Es ist fraglich, ob Mercedes ab 2024 überhaupt noch ein Fahrzeug unter 40.000 Euro anbieten wird.
Mercedes-Benz: Auch andere Hersteller setzen auf Marge und Luxus
Andere Premiumhersteller verfolgen einen ähnlichen Kurs. So streicht auch Audi mit dem A1 und dem Q2 seine Einstiegsmodelle. Doch so konsequent wie Mercedes setzt kein anderer deutscher Autobauer auf Luxus. Im Kompaktsegment könnte der Konzern sogar mit einer spektakulären Zusatzbaureihe überraschen.
Intern wird eifrig gerechnet, ob sich die Produktion einer kleinen G-Klasse lohnt. Das Original, ein kantiger Geländewagen, ist in Deutschland aktuell ausverkauft. Källenius vergleicht die G-Klasse manchmal scherzhaft mit der „Birkin-Bag“ von Hermès, da Interessierte sowohl auf die noble Handtasche als auch auf das 2,4 Tonnen schwere Auto bis zu drei Jahre warten müssen.
Bei solch einer enormen Nachfrage liegt eine Miniatur-Version der G-Klasse nahe, um den Erfolg zu verbreitern. Die Idee hat bei Mercedes viele Fürsprecher. Und es gibt ein klares Indiz dafür, dass tatsächlich bald ein Mini-G anrollen könnte: Niemand dementiert.