© WELTDie Präsidenten Russlands, der Türkei und des Iran treffen sich zu einem Gipfel in Teheran. Nach US-Angaben gebe Hinweise, dass Moskau iranische Kampfdrohnen erwerben wolle. Russland und der Iran dementieren das. Verfolgen Sie die Entwicklungen und weitere Nachrichten in unserem WELT-Liveprogramm. Quelle: WELT
Es ist noch nicht lange her, da diktierte Moskau, was in Syrien passiert. Kreml-Chef Wladimir Putin ist der wichtigste Verbündete des syrischen Regimes, das ohne russische Unterstützung wohl längst kollabiert wäre.
Doch der Krieg in der Ukraine hat die politischen Gewichte in der Region verschoben – und Recep Tayyip Erdogan wittert seine Chance. Wenn sich am Dienstag die Präsidenten Russlands, der Türkei und des Irans in Teheran treffen, wollen sie offiziell über eine Verbesserung der Lage in dem Bürgerkriegsland sprechen. Hinter den Kulissen aber wird es darum gehen, den eigenen Einfluss in der Region auszubauen. Für den Westen stehen Kerninteressen auf dem Spiel.
Vor allem Erdogan erhofft sich, seinen strategischen Zielen näherzukommen. Seit Wochen spricht er von einer neuen Offensive in Nordsyrien. Dort will er eine 30 Kilometer breite Pufferzone schaffen und die Kurdenmiliz YPG zurückdrängen, die Erdogan als verlängerten Arm der PKK sieht, einer auch in Europa als Terrororganisation gelisteten Vereinigung.
Gleichzeitig würde ihm eine solche Zone erlauben, syrische Flüchtlinge aus der Türkei dort anzusiedeln – ein Thema, bei dem der türkische Präsident innenpolitisch immer mehr unter Druck gerät.
USA befürchten Erstarken der Terrormiliz IS
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Das Pentagon ist alarmiert. Wenn kurdische Kräfte durch eine türkische Invasion gebunden wären, so die Sorge, könnten tausende IS-Terroristen aus kurdisch bewachten Behelfsgefängnissen in der Region entkommen. „Wir sind entschieden gegen jede türkische Operation in Nordsyrien und haben unsere Einwände gegenüber der Türkei deutlich gemacht“, sagte Dana Stroul, die im US-Verteidigungsministerium für den Nahen Osten zuständig ist, vor wenigen Tagen.
Tatsächlich überlappen sich an dieser Stelle amerikanische, iranische und russische Interessen: Keine der drei Regierungen will eine neue türkische Militäroffensive in Nordsyrien.
Doch dort enden die Gemeinsamkeiten. Moskau und Teheran haben sich beide massiv dafür eingesetzt, dass der syrische Diktator Baschar al-Assad an der Macht bleibt. Syrien ist Moskaus Tor zum Nahen Osten und dem Mittelmeer. Es betrachtet sein erfolgreiches Eingreifen in Syrien als Zeichen der Wiederherstellung alter Macht in der Region – und braucht dafür eine stabile syrische Regierung, welche seine starke militärische Präsenz akzeptiert.
Der Zugang zum Mittelmeer ist auch ein Eckpfeiler der iranischen Nahost-Politik. Darüber hinaus ist Syrien der einzige konstante Verbündete seit der islamischen Revolution 1979 im Iran. Durch Syrien liefert der Iran Waffen an seine wichtigste Stellvertreter-Miliz, der im Libanon beheimateten Hisbollah. Mit ihren Kämpfern versucht der Iran seine Präsenz an der Grenze zu Israel zu stärken. Das Regime hat mehrfach erklärt, den jüdischen Staat vernichten zu wollen.
Ukraine-Krieg schwächt Russland in Syrien
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bindet die Ressourcen des Kremls – und führt zu Machtverschiebungen in Syrien. Moskau musste Einheiten von dort abziehen und verlegte Soldaten in die Ukraine. Zudem hat es Söldner der privaten Sicherheitsfirma Wagner aus Syrien in die Ost-Ukraine gebracht und syrische Söldner dorthin entsandt.
Dass die Türkei sowohl den Bosporus für Kriegsschiffe als auch den türkischen Luftraum für russische Truppentransporte nach Syrien sperrte, erschwert zudem den Nachschub für die russische Militärpräsenz in Syrien. Erdogan ist sich bewusst, dass Putin in Syrien in der Defensive ist – und rechnet sich offenbar Chancen aus, Moskau zumindest eine begrenzte türkische Offensive abringen zu können.
Angesichts der Strafmaßnahmen des Westens gegen Russland und die sich verändernde russische Energiepolitik sei es für Moskau „zentral, dass die Türkei keine Sanktionen erlässt“, sagt Sinan Ülgen, ehemaliger türkischer Diplomat und Direktor des Thinktanks Edam. Auch wolle Russland die Türkei nicht verprellen, weil sie als einziges Nato-Land eine politische Beziehung zum Kreml unterhalte. Das gebe der Türkei „ein gewisses Druckmittel“.
Für sein Vorhaben aber braucht Erdogan auch die Zustimmung des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi. Teheran ist skeptisch: Erdogan will Regionen erobern, die nahe an die iranische Einflusssphäre heranreichen. Wenn überhaupt, dürfte Raisi seine Zustimmung für eine Invasion nur mit Sicherheitsgarantien für seine schiitischen Schützlinge geben. Denn auch Teheran nutzt das russische Vakuum in Syrien. So sollen, zur Missgunst Moskaus, iranische Kräfte an strategisch wichtige Stellen zurückgekehrt sein, wie etwa in die Nähe des Flughafens von Damaskus und unweit der israelischen Grenze entfernt.
Kurdische Kräfte nehmen die türkischen Drohungen ernst – und gehen bereits schwierige Allianzen ein. Ihr Kommandant Mazloum Abdi hat Russland und den Iran aufgefordert, einen türkischen Einmarsch zu verhindern. Zudem sollen syrische Regierungstruppen in Abstimmung mit kurdischen Vertretern ihre Militärpräsenz an einigen Orten der Region verstärkt haben.
Entscheidende Woche für Weizenkorridor im Schwarzen Meer
Neben dem Dreiergipfel ist am Dienstag auch ein bilaterales Treffen zwischen Putin und Erdogan geplant. Dabei dürfte es vor allem um den Krieg in der Ukraine gehen, speziell um einen Korridor im Schwarzen Meer, um Getreideexporte aus der Ukraine zu erlauben. Da Russland die ukrainischen Häfen und damit die Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten über das Schwarze Meer bisher blockiert, könnten laut den Vereinten Nationen weltweit 1,4 Milliarden Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein: in Afrika, aber auch in Syrien, Jemen, Libanon und Afghanistan.
In der vergangenen Woche hatten russische und ukrainische Vertreter in der Türkei über einen Vorschlag der Vereinten Nationen zur Freigabe von Getreideexporten verhandelt. Ankara unterhält gute Beziehungen sowohl nach Kiew als auch Moskau und kann daher als Vermittler auftreten. Die Gespräche am Mittwoch waren die ersten direkten Verhandlungen der Kriegsgegner seit Wochen. Auch türkische Militärs und UN-Vertreter nahmen an der Unterredung teil.
Dabei soll es einen ersten Durchbruch gegeben haben. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar teilte mit, Russland und die Ukraine hätten sich mit Blick auf eine „gemeinsame Kontrolle“ der Exportschiffe bei der Abfahrt und Ankunft geeinigt. In Istanbul solle ein Koordinierungszentrum eingerichtet werden.
Kiew sorgt sich vor allem, dass ein möglicher Weizenkorridor von Russland missbraucht werden könnte, Ziele in der Ukraine anzugreifen. Deshalb haben ukrainische Kräfte die Seegegend um Odessa herum vermint. Für den Export von Getreide müssten die Minen entfernt werden.
Die laufende Woche ist für den Deal entscheidend, denn laut Akar sollen sich die Konfliktparteien wieder in der Türkei treffen. Dort würden Abkommen unterzeichnet, sagte er. Für die Türkei wäre eine solche Vermittlung ein großer diplomatischer Erfolg, der im besten Fall dazu beitragen kann, eine globale Hungerkrise abzufedern.
Dennoch dürfte das Treffen Erdogans, Putins und Raisis im Westen mindestens für gemischte Gefühle sorgen. Mehrmals hat der türkische Präsident in der Vergangenheit bewiesen, dass ihm seine eigene Machtpolitik mitunter wichtiger ist als eine einheitliche Nato-Position.
Im Falle des Weizenkorridors indes solle die Rolle der Türkei positiv gewertet werden, findet Experte Ülgen. Es gebe schließlich einen Grund, warum die Gespräche ausgerechnet in der Türkei stattfinden. „Der Westen muss dies als Vorteil sehen.“