Mit dem „Digital Markets Act“ will die EU die Macht von großen Digitalkonzernen einschränken. Doch auch Delivery Hero und Zalando warnen vor den Auswirkungen.
Es ist ein großes Kaliber, mit dem die Europäische Union auf die Digitalkonzerne aus den USA schießt. Mit einem neuen Gesetz will sie neue Regeln für eine Handvoll Konzerne schreiben, Zehntausende kleine Unternehmen sollen davon profitieren. Dafür sollen Verhaltensweisen verboten werden, mit denen die Konzerne bislang Milliarden verdienen.
Das Gesetz mit dem Namen „Digital Markets Act“ oder „DMA“ würde die Marktmacht der großen Konzerne in vielen Bereichen brechen. Kleine Unternehmen, die über Amazon verkaufen oder Apps für das iPhone programmieren, könnten einen enormen Vorteil von dem Gesetz haben.
Dazwischen stehen einige Unternehmen, die fürchten, zu Unrecht zu den großen gezählt zu werden. Auch für sie würden dann zusätzliche Pflichten gelten. In Deutschland sehen sich vor allem Zalando und Delivery Hero betroffen. Gemeinsam mit anderen europäischen Unternehmen haben sie im Oktober einen offenen Brief geschrieben, in dem sie vor den Folgen des Gesetzes warnen.
Wenn Zalando in den Anwendungsbereich des DMA fällt, dürfte das Unternehmen die von ihm verkauften Produkte nicht anders oder prominenter präsentieren als Produkte von Drittanbietern. Auch dürfte es nicht verhindern, dass diese Drittanbieter einen Link auf eine andere Website setzen, wo sie Produkte eventuell billiger anbieten als über Zalando.
Als Gatekeeper darf das Unternehmen eigene Produkte nicht bevorzugen
Auch bei Delivery Hero können die Anbieter bisher keine Links zu anderen Webseiten setzen. Außerdem hat das Unternehmen angekündigt, künftig mehr auf eigene Lagerhäuser zu setzen. Als Gatekeeper müsste es dann darauf achten, eigene Produkte auf seiner Plattform nicht zu bevorzugen.
Wie Zalando befürwortet Delivery Hero die Regeln des DMA für die ganz großen Plattformen. „Es ist jedoch wichtig, dass die Unternehmen, die in einem bereits dynamischen und wettbewerbsorientierten Umfeld agieren, nicht eingeschränkt werden“, sagt ein Sprecher von Delivery Hero. „Dies würde das Risiko bergen, dass die EU ihre eigenen Innovationen und den digitalen Fortschritt ausbremst.“
Geraten die erfolgreichsten deutschen Plattformen in die Schusslinie, obwohl eigentlich nur die ganz großen getroffen werden sollen? Das hängt davon ab, wie im Gesetz letztendlich definiert wird, wer ein „Gatekeeper“ ist, also ein Türsteher, an dem andere Unternehmen nur vorbeikommen, wenn er sich fair verhält. Dass Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft dazugehören, ist klar. Wer noch dazugehören wird, ist offen.
Die Mitgliedstaaten der EU haben sich inoffiziell bereits auf eine Definition dafür geeinigt. Darin gibt es Schwellenwerte, ab denen ein Unternehmen als Gatekeeper gilt. Noch würden Zalando und Delivery Hero wohl nicht darunterfallen. Wenn sie weiter wachsen, könnte das aber bald der Fall sein.
Die Verhandlungen gingen schneller, als von vielen erwartet wurde. Manche Unternehmen und Verbände scheinen mit mehr Zeit gerechnet zu haben, um ihre Kritik anbringen zu können. In ihrem Brief fordern die Unternehmen, dass die Zahl ihrer Nutzer anders bewertet wird als die Zahl der Nutzer bei Google oder Facebook.
Sie weisen darauf hin, dass sie nur mit Nutzern und Nutzerinnen Geld verdienen, die auch etwas kaufen. Gezählt werden soll aber jeder Besucher der Seite. „Das DMA sollte in keiner Weise ein regulatorisches Wachstumshemmnis für europäische Unternehmen darstellen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des europäischen E-Commerce-Verbandes.
Das Europaparlament könnte sich an diesem Montag auf einen Gesetzentwurf und damit auch auf die Gatekeeper-Definition einigen. Wenn das Gesetz auf die großen sechs Konzerne beschränkt sein soll, dann müsste das Parlament diesen Vorschlag jetzt machen.
Danach sieht es allerdings nicht aus. Im zuständigen Binnenmarktausschuss wollen viele Abgeordnete den Anwendungsbereich des Gesetzes lieber ausweiten als einschränken. „Wir wollen nicht nur die ganz großen Konzerne treffen, sondern möglichst viele Plattformen, die wichtige Zugangstore für Kunden betreiben und von denen andere Firmen abhängig sein können“, sagt die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt.
Und die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sagt: „Wir Grüne halten die grundsätzliche Ausweitung des Anwendungsbereichs für begrüßenswert.“ Dahinter steht die Frage, ob sich die EU erst einmal um die großen Digitalkonzerne kümmern sollte oder ob es neue Regeln für große Bereiche der Internetwirtschaft braucht.
Andreas Schwab (CDU), der die Verhandlungen im Parlament führt, will eine enge Gatekeeper-Definition. „Das Ziel des DMA war nie, E-Commerce-Start-ups am Wachsen zu hindern, sondern jene digitalen Märkte wieder zu öffnen, die durch wettbewerbsschädigendes Verhalten der Gatekeeper unbestreitbar sind“, sagt er.
Bisher dauern Verfahren viele Jahre
Unterstützung bekommt er vom Ökonomen Achim Wambach: „Jede Regulierung schneidet in die Freiheitsrechte von Unternehmen ein. Wir sollten aufpassen, dass der DMA die Dynamik in der Digitalwirtschaft nicht stört“, sagt Wambach. Auch jetzt schon gebe es Gesetze, mit denen sich Fehlverhalten von kleineren Unternehmen abstellen ließe. Handlungsbedarf sieht Wambach dort, wo Unternehmen ganze Ökosysteme an Dienstleistungen geschaffen haben.
Denn dort können sie die Marktmacht in einem Geschäftsfeld ausnutzen, um ein anderes Geschäftsfeld zu fördern. Das Urteil gegen Google von vergangenem Mittwoch hat wieder gezeigt, wie das funktioniert: Weil Google den Markt für Internetsuchen dominiert, kann es seinem Produktvergleich einen Vorteil verschaffen, was anderen Vergleichsportalen schadet.
Das EU-Gericht hat klargestellt, dass diese Praxis verboten ist – zwölf Jahre nachdem die EU-Kommission ihre Untersuchung eingeleitet hatte. Mit dem DMA wären solche Verfahren unnötig. Das wäre zum Vorteil aller Unternehmen, die davon abhängig sind, dass ihre Angebote von Google gefunden werden – also auch für Zalando und Delivery Hero.