Die Preise für Holz sind enorm gestiegen. Foto: picture alliance/dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Einer Studie zufolge haben einige Branchen ihre Preise deutlich stärker erhöht als ihre Kosten bei Vorleistungen gestiegen sind. Ein Beweis für das „Gierflation“-Phänomen?
2022 war ein Jahr der Kostenschocks. Die Energiekrise und die Teuerung bei Nahrungsmitteln haben dafür gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich tiefer in die Tasche greifen mussten.
Auch die Wirtschaft trifft die stark gestiegenen Preise. Die Unternehmen haben aber die Möglichkeit, die erhöhten Kosten in Form von eigenen höheren Preisen an ihre Kunden weiterzugeben – und die Preise vielleicht noch stärker anzuheben als nötig. Haben die Unternehmen 2022 also unter dem Kostenschock gelitten oder vielmehr daran verdient?
Antworten darauf gibt eine neue Studie von Ökonomen des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), die zuvor in leitenden Positionen beim Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) tätig waren. Demnach hat der Großteil der Unternehmen die höheren Kosten eins zu eins weitergegeben. Doch es gibt durchaus Sektoren mit auffälligen Abweichungen – insbesondere in Richtung überbordender Preiserhöhungen.
Der eine Datensatz zeigt, wie sehr sich die Vorleistungen verteuert haben, die in die Produktion des jeweiligen Sektors eingehen. Diese Zahlen verglichen die Ökonomen mit einem Datensatz zu den tatsächlichen Preisanpassungen der Branche.
Preise unterproportional erhöht: Wasserversorger, Pharma
18 der 23 untersuchten Branchen haben ihre Preise in ähnlicher Höhe wie die gestiegenen Kosten angepasst. In einigen Sektoren ist es den Unternehmen hingegen nicht gelungen, die erhöhten Kosten zu überwälzen.
Die Wasserversorger etwa mussten mit elf Prozent höheren Kosten klarkommen, erhöhten ihre Preise aber nur um etwa drei Prozent an. In der Pharmabranche hätte eine vollständige Überwälzung Preissteigerungen in Höhe von sechs Prozent bedeutet. Geworden sind es 2,3 Prozent, auch, weil es für viele Arzneimittel Preisbindungen gelten.
Preise überproportional erhöht: Landwirtschaft, Holz- und Papierindustrie
Es gibt allerdings einige Branchen, die mehr als die für die Unternehmen höheren Kosten auf die Preise draufgeschlagen haben. Dazu gehört die Landwirtschaft. Dort verteuerten sich die Vorleistungen um zehn Prozent, die Branche steigerte ihre Preise aber um 27 Prozent.
Bei der Papierindustrie wurden aus 19 Prozent höheren Kosten fast 30 Prozent höhere Preise. Unternehmen aus der Holzverarbeitung erhöhten ihre Preise nicht wie bei den Vorleistungen um 13 Prozent, sondern um 21 Prozent.
Mit Blick auf diese Zahlen drängt sich eine Frage auf: Ist das der Beweis, dass es eine „Gierflation“ gibt? In den vergangenen Monaten ist unter Ökonomen eine intensive Debatte entbrannt, welchen Ursprung die hohe Inflation hat. Bis dahin wurde ausschließlich auf die importierten hohen Energiepreise Bezug genommen.
Manche Ökonominnen und Ökonomen sehen inzwischen aber vielmehr die Unternehmen als Hauptschuldigen für die Inflation. Diese hätten die schwierig durchschaubaren Preisentwicklung genutzt, um ihre Gewinne zu steigern und die Preise noch stärker als nötig erhöht.
Erkenntnisgewinn, aber kein Beweis für „Gierflation“
Die Frage, wie die Preissetzung der Unternehmen die Inflation beeinflusst, ist von großer Bedeutung. Vor allem für die Notenbanken ist es entscheidend zu wissen, wo die Inflation herkommt.
Die Präsidentin der Europäische Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat das Thema zuletzt in den Fokus gerückt. Während einige Sektoren „den Vorteil genutzt haben, die Kosten voll weiterzugeben, ohne die Gewinnspannen zu schmälern“, sagte Lagarde kürzlich, seien andere noch weiter gegangen und hätten „die Preise über den reinen Kostenanstieg hinaus erhöht“.
Die VFA-Berechnungen zeigen nun, dass es diese Verhaltensweisen in einigen Branchen durchaus gegeben hat. „Das ist eine wichtige Erkenntnis für die weitere Diskussion“, sagt Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Ob sich von einer Gierflation sprechen lasse, sei aber „noch völlig unklar“.
Ähnlich sieht es VFA-Chefökonom Claus Michelsen. „Die Diskussion um Gierflation ist an dieser Stelle zumindest irreführend – es gibt keine über alle Wirtschaftszweige hinweg koordinierte Preisdynamik“, sagt er.
Die Ökonomen sehen eine Reihe von offenen Fragen, die zuvor noch beantwortet werden müssten:Ob die Unternehmen die Preissteigerungen überwälzen können, hängt nicht bloß von den Kosten ab. „Wahrscheinlicher ist es, dass unterschiedliche Preissetzungsspielräume für Unternehmen bestehen“, erklärt Michelsen. Das liegt an unterschiedlich stark ausgeprägtem Wettbewerb je nach Branche. Je mehr Marktmacht ein Unternehmen hat, desto leichter fällt es, Preise zu erhöhen.
Überproportionale Preiserhöhungen können zudem auch durch eine erhöhte Nachfrage ausgelöst sein. Preise sind kein Kosten-, sondern ein Knappheitssignal. Das könnte für die Holzindustrie gelten. Durch die Coronabeschränkungen gaben viele Leute ihr Geld für Möbel statt im Einzelhandel oder für Kultur aus. Das Werken daheim boomte, der Umsatz bei Holzwaren in Baumärkten legte 2022 um 25 Prozent zu. Außerdem ließen Konjunkturprogramme die Nachfrage nach Bauholz stark ansteigen. Der bloße Blick auf Kosten und Preise „blendet die anderen preisbestimmenden Faktoren völlig aus“, sagt Denny Ohnesorge, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Holzindustrie (HDH)
Auch bilden die VFA-Berechnungen nur einen Ausschnitt ab. Preisanpassungen von Unternehmen können dauern. Kostensteigerungen, die Ende 2021 für die Unternehmen aufkamen, aber erst 2022 in Preissteigerungen umgesetzt wurden, würden zum Beispiel in der Studie fehlen.
Neben den Vorprodukten kann es weitere Faktoren geben, die die Kosten der Unternehmen möglicherweise gesteigert haben, die Löhne etwa.
Oder die Unternehmen haben sich mit der Entwicklung der Rohstoffpreise verschätzt, erklärt IMK-Direktor Dullien, und haben deshalb ihre Preise mehr erhöht.Mehr: Auch „Gierflation“ läge in der Verantwortung der Notenbanken