Noch nie haben Unternehmen so viel Geld aus Deutschland abgezogen wie im vergangenen Jahr, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Die Zahlen alarmieren: Im schlimmsten Fall ist das der Beginn der Deindustrialisierung“, kommentiert das arbeitgebernahe Institut.
Im vergangenen Jahr seien rund 132 Milliarden US-Dollar (125 Milliarden Euro) mehr Direktinvestitionen aus Deutschland abgeflossen, als aus dem Ausland in Deutschland investiert wurden. Der Saldo beschreibt also die Differenz zwischen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland. 125 Milliarden Euro stellten „die höchsten Netto-Abflüsse dar, die jemals in Deutschland verzeichnet wurden“, teilte das IW mit.
Die negative Entwicklung für Deutschland habe bereits vor der Corona-Pandemie mit ihren Lieferengpässen und Russlands Krieg gegen die Ukraine und den steigenden Energiepreisen begonnen.
Der Grund für den Rekord-Abfluss 2022 liege in den geringen ausländischen Investitionen in Deutschland. Sie seien nach Zahlen der Industrieländer-Organisation OECD-Zahlen fast vollständig eingebrochen: 2022 hätten ausländische Unternehmen nur noch rund 10,5 Milliarden Euro direkt in Deutschland investiert.
Zuletzt hatten einige große Investitionen aus dem Ausland in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Darunter die Ansiedlung von Tesla bei Berlin. Intel will in den Bau zweier Chipfabriken in Magdeburg sogar 33 Milliarden Euro investieren. Der deutsche Staat beteiligt sich daran mit rund zehn Milliarden Euro. Dies ist nach Angaben der Bundesregierung die bisher größte ausländische Direktinvestition in Deutschland überhaupt. Diese Investition geht in die IW-Rechnung noch nicht ein.
Für die ihrer Analyse nach alarmierende Entwicklung bis 2022 nennen Ökonomen des IW drei Entwicklungen, die den Standort Deutschland unattraktiv machten:
Deindustrialisierung: Drei Gefahren für Deutschland
- Fachkräftemangel: Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften belaste Unternehmen enorm. In einer Umfrage hätten 76 Prozent der Firmen im industriellen Mittelstand Arbeitskosten und Fachkräftemangel als größte Herausforderung genannt – noch vor hohen Energiepreisen und zunehmender Bürokratie.
- Subventionen im Ausland: Programme wie der Inflation Reduction Act in den USA machten Investitionen außerhalb Deutschlands attraktiver. Bei ähnlichen europäischen Initiativen wie dem NextGenerationEU-Programm fließe das meiste Geld an Deutschland vorbei.
- Autoindustrie: „Mit dem Wegfall des Verbrennungsmotors verliert die deutsche Wirtschaft ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal in ihrer Schlüsselindustrie“, warnt das IW.
„Die Investitionsbedingungen in Deutschland haben sich aufgrund der hohen Energiepreise und des zunehmenden Fachkräftemangels zuletzt noch einmal verschlechtert“, sagt IW-Ökonom Christian Rusche. Er kritisiert, dass viele Probleme hausgemacht seien und nennt als Beispiele „hohe Unternehmenssteuern, ausufernde Bürokratie und eine marode Infrastruktur“.