Teilnehmer an den Ständen in der Start-up-Halle der Digitalmesse OMR in Hamburg© dpa
Die Gründer- und Jungunternehmerszene in Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Wagniskapital erhalten als im Jahr 2021. In den vergangenen zwölf Monaten steckten Investoren alles in allem 9,9 Milliarden Euro in junge und auch nicht mehr ganz so junge Unternehmen der Technologiebranche. Das waren mehr als 40 Prozent weniger als im bisherigen Rekordjahr 2021.
Zwar markiere das immer noch den zweithöchsten Wert der Geschichte, schreiben in ihrem Jahresbericht die Marktbeobachter des Analystenhauses EY, welche die Daten in ihrem „Start-up Barometer EY“ seit dem Jahr 2015 erheben. Doch der Rückgang sei signifikant – und das hat Gründe: Die Inflation legt zu, und die
Zinsen steigen, gleichzeitig sinken Marktbewertungen von Unternehmen, Börsenkurse fallen und die Bereitschaft vieler Investoren, höhere Risiken einzugehen, lässt spürbar nach.
So sei auch bei deutschen Start-ups die Zahl der im vergangenen Jahr eingegangenen Geschäfte über Kapitalbeteiligungen niedriger ausgefallen. Vor allem größere und große Abschlüsse standen im Jahr 2022 nicht mehr so häufig auf dem Programm wie noch im Jahr zuvor. Hatte es im Jahr 2021 noch 72 Investitionen in der Größenordnung von mehr als 50 Millionen Euro gegeben, waren es im vergangenen Jahr lediglich 37.
Schon im Dezember hatte der britische Wagniskapitalgeber Atomico in seiner jährlichen Bestandsaufnahme der europäischen Start-up-Szene erklärt, dass die Branche in den zurückliegenden zwölf Monaten mit Kapitalrunden im Wert von alles in allem rund 85 Milliarden Euro deutlich weniger eingenommen hatte als im Jahr 2021. Damals konnte sie mehr als 100 Milliarden Euro auftreiben. Die deutschen Gründer rangierten mit einer Summe von rund 10 Milliarden Euro hinter Frankreich mit knapp 20 Milliarden Euro und Großbritannien mit etwa 30 Milliarden Euro.
Die gute Nachricht für Deutschland: „Es wird weiter investiert – wenn auch weniger und unter anderen Voraussetzungen“, schreibt Thomas Prüver, Partner bei EY im Bericht. Die vielleicht weniger gute Nachricht: „Was sich verändert hat, sind die Rahmenbedingungen.“ Angesichts der politischen Unsicherheiten im Osten Europas, der allgemein steigenden Kapitalkosten und der schärferen Wertansätze achteten Investoren bei ihren Engagements in junge Unternehmen seit Monaten schon mehr auf die Rentabilität als auf die Wachstumsversprechen.
Jungunternehmen seien gefordert, sich darauf einzustellen, erklärt Prüver weiter. Mehr als in den Jahren zuvor müssten sie auf die reale oder zumindest potentielle Profitabilität ihrer Geschäfte achten. So gab es zwar immer noch größere Beteiligungsabschlüsse. Doch die Anzeige auf dem Barometer dieser Anlageklasse wies deutlich nach unten.
Von den zehn größten Finanzierungsrunden gingen sechs nach Berlin, zwei nach Bayern und je eine nach Hamburg und Hessen. Die höchste Summe, knapp 400 Millionen Euro, floss gleich zwei Mal: Zum einen an das Berliner Unternehmen Wefox, ein Start-up aus der Versicherungsbranche, das im Jahr 2014 mit einer digitalen Plattform zur Verwaltung von Policen startete und seit dem Jahr 2018 auch selbst als Versicherer tätig ist. Ebenfalls 400 Millionen Euro warb das bayerische Software-Start-up Celonis ein, das Computerprogramme entwickelt, mit denen man Daten in digital abgebildeten Geschäftsprozessen analysiert.
Unter der Spitze allerdings tut sich einiges. EY-Partner Prüver erklärt: „Die Zahl der mittelgroßen Deals ist sogar gestiegen. Das zeigt, dass es für Jungunternehmen nach wie vor absolut möglich ist, auch hohe Summen zu erhalten, mit denen Wachstum finanziert werden kann.“ Hier standen Unternehmen vor allem aus den Sparten Software und Analytics, digitalen Handel (E-Commerce) und erneuerbare Energien vorn. Im Jahr 2022 waren etwas mehr als 1,5 Milliarden Euro in Jungunternehmen mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit gesteckt worden, also 15 Prozent der ausgereichten Gelder.