Der Kollaps von FTX hat die Kryptoszene erschüttert. Das Vertrauen in zentralisierte Börsen schwindet: Viele Kryptoanleger verwahren ihre Währungen nun in sogenannten Self-Custody- Wallets. Sie werden ihr eigener Banker.
Self-Custody-Wallets: Krypto-Anleger vertrauen eigener Offline Brieftasche© Silas Stein / IMAGO
Anlegergeld im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar ist verschwunden: Die Insolvenz der Bitcoin-Börse FTX stellt die Zukunftsfähigkeit der gesamten Kryptobranche infrage. Laut dem Daten-Anbieter Glassnode haben Krypto-Anleger im November so viele Bitcoin verkauft wie selten zuvor: Der weltweite Bitcoin-Saldo ist durch die Nettoabflüsse innerhalb einer Woche um 729.000 Bitcoin gefallen. Dies ist vergleichbar mit nur drei Perioden in der Vergangenheit: Den Verkaufswellen im April 2020, November 2020 und Juni bis Juli 2022.
Krypto-Anleger haben in vielerlei Hinsicht das Vertrauen verloren. Erstens hat die Zuversicht, dass sich Bitcoin und Co rasch wieder erholen werden, stark gelitten. Und zweitens vertrauen viele Anleger nach dem FTX-Desaster den großen Kryptobörsen nicht mehr: Sie vertrauen nicht mehr darauf, dass ihre Krypto-Vermögenswerte in einem zentralisierten Online-Netzwerk sicher aufbewahrt werden.
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Kein Wunder, dass nun so genannte Self-Custody-Wallets an Bedeutung gewinnen. Sie ermöglichen Krypto-Anlegern die Selbstverwahrung ihrer Währungen. Da kam das neue Projekt von iPod-Gründer Tony Fadell (53) gerade Recht: Eine Hardware-Wallet zur Offline-Speicherung von Kryptowährungen. Anleger werden mit Hilfe der Self-Custody-Wallet gewissermaßen zu ihrem eigenen Banker. Sie sind zugleich aber auch persönlich für die Sicherheit ihrer aufbewahren Kryptowährungen verantwortlich, denn nur sie haben den privaten Schlüssel dazu.
Fadell hat sich mit dem französischen Technologieunternehmen Ledger zusammengetan, um eine neue Kryptowährungs-Brieftasche zu entwickeln. Das Gerät ist kreditkartengroß, mit einem gebogenen Rücken und einem Display. Frühere von Ledger herausgebrachte Modelle wie Nano S hatten die Form von USB-Speichersticks. Von der Ledger Nano-Serie wurden mehr als fünf Millionen Stück verkauft und nach Unternehmensangaben keine einzige gehackt. Der Erfolg der USB-Sticks hat das Unternehmen 2021 nach einer Finanzierungsrunde in Höhe von 380 Millionen Dollar zum Unicorn gemacht.
Die neue Brieftasche "Ledger Stax" soll zum Verkaufsstart im März 2023 279 US-Dollar kosten. Das Gerät lässt sich, wie mittlerweile fast jedes Smartphone, kabellos aufladen. Unterstützt werden sollen mehr als 500 verschiedene Coins und Token. Das Display der Krypto-Brieftasche hat einen besonderen Zweck – es kann NFTs darstellen.
"Die sichere Hardware war bis zu diesem Zeitpunkt wie alle MP3-Player vor dem iPod, und es war Zeit für einen iPod", sagte jüngst Ian Rogers (62), Chief Experience Officer bei Ledger. Fadell verbrachte fast ein Jahrzehnt bei Apple unter Steve Jobs (56), wo er das Design des tragbaren Musikplayers beaufsichtigte. Doch bei den Krypto-Wallets geht es nicht mehr um Musikdateien, sondern vor allem um Verschlüsselung und komplexe Algorithmen.
Der Handel mit Kryptowährungen erfordert die Verwendung komplexer kryptografischer Schlüssel, die zur Autorisierung von Transaktionen verwendet werden. Diese Schlüssel werden meist online gespeichert, beispielsweise bei einer Online-Börse. Doch nach dem FTX-Zusammenbruch dreht sich der Trend: Laut dem Kryptoexperten Gilbert Fridgen steigt das Interesse an der Selbstverwahrung von Kryptoassets. "Nicht ihre Schlüssel, nicht Ihre Münzen", ist ein beliebtes Sprichwort in der Szene.
Selbstverwahrung erfordert viel technisches Verständnis
Wer den großen Plattformen wie FTX, Coinbase oder Binance nicht mehr vertraut, der steckt seine Kryptowährungen besser in eine eigene Brieftasche, die sogenannte Self-Custody-Wallet. Um die Kontrolle über das persönliche Anlagevermögen zu behalten, raten viele Experten den Krypto-Investoren dazu, die Vermögenswerte in solchen Self-Custody-Wallets aufzubewahren.
Doch auch die Selbstverwahrung hat Tücken. Da die Dienste ursprünglich nicht für den durchschnittlichen Krypto-Benutzer entwickelt wurden, ist ein gewisses Maß an Verständnis dafür erforderlich, wie Krypto funktioniert. Zunächst müssen Benutzer ihre eigene Brieftasche erstellen und ihr Geld manuell von allen anderen Wallets auf das neue Wallet übertragen, was ein komplizierterer Prozess ist als die Eröffnung eines neuen Bankkontos.
Vor allem sollten Wallet-Nutzer auch die Bedeutung ihrer privaten Schlüssel verstehen. "Eine falsche Eingabe oder ein falsch notierter Schlüssel kann im Extremfall zum vollständigen Verlust der Assets führen – ohne dass ein Anbieter diese wiederherstellen könnte", warnt Fridgen. Die Fälle, in denen Nutzer ein Millionenvermögen verloren, weil sie den Zugang zu ihrer Krypto-Wallet vergessen haben, gingen weltweit durch die Presse.
Vor allem bei Onlinediensten zur Selbstverwahrung ist laut Fridgen Vorsicht geboten: "Onlinedienste zur Selbstverwahrung sind nicht besser als FTX, da Nutzer nicht einschätzen können, was mit den Schlüsseln passiert." Der Quellcode mit den Lösungen bleibt verborgen.
Hardware-Wallets zur Selbstverwahrung wie die neue Offline-Kryptowährungs-Geldbörse Ledger Stax sind laut Experten wohl der aktuell praktikabelste Weg mit dem höchsten Sicherheitslevel. Mit dem iPod hat Tony Fadell gezeigt, dass man den umständlichen Umgang mit anderen MP3-Spielern drastisch vereinfachen kann. Dass dies für die Selbstverwahrung ebenfalls erreichbar ist, bleibt jedoch abzuwarten.
Der Hersteller Ledger steht jedoch in der Kritik, da die verwendete Software nicht open source ist, also der Quellcode nicht offen liegt und von Dritten überprüft werden kann. Der größte Konkurrent Trezor wirbt genau mit dieser Eigenschaft. Ein weiterer Konkurrent ist SafePal. Außerdem gibt es einige kleinere Anbieter mit speziellen Features wie etwa integrierten Fingerabdruckscannern.
Eine Optimallösung hat der Krypto-Markt bislang noch nicht. Investoren wünschen sich den Experten zufolge eine noch einfachere Methode, um ihre Assets sicher und kostengünstig zu verwahren. "Bitcoin, Ether und Co könnten 2023 erneut einem Reifeprozess unterliegen", sagt Marktanalyst Timo Emden. Der Zusammenbruch der FTX werde nicht die letzte Krise sein wird, mit der die Krypto-Industrie konfrontiert sein wird.