Kalter Krypto-Winter: Frostige Zeiten für digitale Goldschürfer© Bereitgestellt von Berliner Zeitung
In einer Rewe-Filiale in Offenbach können Kunden neuerdings die Kryptowährungen Bitcoin und Ether kaufen. Man steckt einen Geldschein in den Schlitz, dann werden die Coins auf ein Krypto-Wallet gebucht, ein kryptografisch gesichertes Bankkonto, das man vorher eröffnet haben muss. Über 40 solcher Automaten stehen mittlerweile in deutschen Elektronikmärkten, Bankfilialen und Kiosks, in Österreich sind es sogar über 100.
Kryptowährungen sind auf dem Vormarsch. Zwar lässt sich der Einkauf an der Supermarktkasse noch nicht mit Bitcoin bezahlen, doch immer mehr Unternehmen wie Lieferando oder die Fluggesellschaft Baltic Air akzeptieren die Kryptowährung als Zahlungsmittel. Die Frage ist nur, wie lange noch.
Kryptowährungen sind extrem energieintensiv. Sogenannte Miner müssen komplizierte kryptografische Rätsel lösen, um als Belohnung Bitcoin zu erhalten. Die Suche nach dem Hash – einer kryptischen Zahlen-und-Buchstaben-Folge von 64 Zeichen – erfordert spezielle Computer-Hardware mit einer hohen Prozessorleistung. Rechenzentren, groß wie Fabrikhallen, rattern Tag und Nacht.
Lange Zeit war China das El Dorado für Krypto-Miner. Die Regierung lockte mit billigem Strom, der aus schmutziger Kohlekraft erzeugt wurde. Im September 2021 allerdings hat die chinesische Zentralbank den Minern den Stecker gezogen: zum einen, weil sie eine eigene Digitalwährung herausgeben will. Zum anderen, weil sich die Regierung ambitionierten Klimaschutzzielen verschrieben hat: China will bis 2060 klimaneutral sein.
Das Reich der Mitte kämpft schon länger mit Energieproblemen. Wegen stockender Kohleimporte aus Australien kam es immer wieder zu Stromausfällen, in deren Folge Fabriken schließen mussten. Im April 2021 mussten in der autonomen Region Xinjiang wegen eines Wassereinbruchs in einem Bergwerk Kohlekraftwerke heruntergefahren werden. Das führte zu einem Stromausfall, von dem auch Bitcoin betroffen war: Die Hashrate, also die Rechenleistung des Netzwerks, brach weltweit um ein Drittel ein, auch der Kurs des Bitcoin stürzte ab.
Und jetzt kommt auch noch die Dürre in China dazu, die die Stromerzeugung aus Wasserkraftwerken empfindlich drosselt. Energiehungrige Krypto-Farmen sind das Letzte, was Peking derzeit braucht. Die Miner müssen sich daher andere Produktionsstätten suchen. Allein, die Standortsuche gestaltet sich als schwierig. Denn rohstoffreiche Länder wie Ägypten, Irak und Katar haben Krypto-Aktivitäten verboten. Und das noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.
Chinas Nachbarland Kasachstan, der zweitgrößte Bitcoin-Produzent nach den USA, ist zuletzt schärfer gegen illegale Bitcoin-Farmen vorgegangen, weil die heiß laufenden Server zu Engpässen in der Energieversorgung führen. Auch die iranische Regierung hat die Daumenschrauben angezogen und 7000 Mining-Computer beschlagnahmt, um drohende Blackouts zu verhindern. Die Lage ist angespannt, nicht nur in Teheran.
Im US-Bundestaat Texas, dem neuen Hotspot der Krypto-Industrie, mussten im Juli alle Bitcoin-Rechner abgeschaltet werden, weil die Stromnetze überlastet waren. Bereits im Februar 2021, als Millionen Texaner nach einem Kälteeinbruch ihre elektrischen Heizungen anwarfen, stand die Energieversorgung des Bundesstaates kurz vor dem Zusammenbruch.
Die Versorgungsunsicherheiten und weltweit hohen Energiepreise machen das Mining zunehmend unprofitabel. Einige Mining-Firmen mussten ihre Rechner bei Strompreisspitzen vom Netz nehmen, andere in der Not Coins verkaufen, um an Liquidität zu gelangen. Der Stromverbrauch des Bitcoin ist nach Schätzungen der Online-Plattform Digiconomist seit Juni um ein Drittel gesunken.
Zwar ist dem Blockchain-Netzwerk ein Mechanismus, die sogenannte Mining Difficulty, eingebaut, die dafür sorgt, dass die Geldmenge beziehungsweise Ausgabemenge an Bitcoin konstant bleibt. Je weniger Teilnehmer dabei sind, desto geringer ist die einzusetzende Rechenpower beziehungsweise Energie, um einen Block zu minen. Doch dieser Schwierigkeitsgrad ist zuletzt immer weiter gestiegen, weil mehr Teilnehmer ans Netz gingen. Je schwieriger das Mining, desto energieintensiver ist es.
Ethereum, die zweitgrößte Kryptowährung der Welt, die im Gegensatz zu Bitcoin auch mit handelsüblichen (Gamer-)Grafikkarten geschürft werden kann, wird demnächst vom stromintensiven Mining auf das sogenannte Proof-of-Stake-Verfahren umstellen. Statt über ein Rätsel wird der richtige Hash für einen Transaktionsblock über eine Art Lotterie gefunden. Damit soll der Energieverbrauch um 99 Prozent reduziert werden.
Investoren setzen große Hoffnung in die klimafreundliche Alternative, die auch den NFT-Markt auf eine ökologische Grundlage stellen könnte. Doch der „Merge“, wie die Umstellung heißt, ist nicht ohne Risiken: Es sei so, als würde man bei einem fliegenden Jet den Motor wechseln, warnte der Krypto-Experte Chandler Guo in der New York Times. Guo spricht für Tausende Miner, die die großen Verlierer der Umstellung sind. Ihre teuren Grafikkarten und Stromverträge könnten vom einen auf den anderen Tag nutzlos sein.
Die immer geringeren Margen haben in den vergangenen Monaten zu einer regelrechten Hardware-Schwemme geführt. Chinesische Miner, die wegen des Verbots ihre Farmen stilllegen mussten, werfen kiloweise Grafikkarten auf den Markt, die teils unter Einstandspreisen verscherbelt werden. Sollte der Merge gelingen, könnte das den Druck auf den Stromfresser Bitcoin weiter erhöhen.
In Schweden, wo wegen des kühlen Klimas zahlreiche Rechenzentren stehen, hat die Regierung vor wenigen Wochen angekündigt, dass die Stahlproduktion im Land den Vorzug vor Kryptowährungen erhält. „Wir brauchen Energie für nützlichere Dinge als Bitcoin“, sagte der schwedische Energieminister Khashayar Farmanbar. Der Krypto-Winter könnte sehr kalt werden.