Zitat von Gast am 16. Oktober 2023, 05:37 Uhr
Wahl in Polen: Polens rechte Regierungspartei verfehlt absolute Mehrheit klar – Machtwechsel mit Tusk an der Spitze ist möglich
Tusk und Kaczynski prägen die polnische Politik wie niemand sonst. (Bild aus dem Jahr 2009) Foto: imago images / BEAMPERSANDWdata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Die seit acht Jahren in Polen regierende PiS ist laut Prognosen auch bei der Parlamentswahl am Sonntag stärkste Partei geworden. Doch das Oppositionsbündnis verfügt laut Prognosen über eine klare Mehrheit.
Am Sonntag haben die knapp 30 Millionen stimmberechtigten Polinnen und Polen ein neues Parlament gewählt. Laut Prognosen bleiben die Nationalkonservativen stärkste politische Kraft im Land – dennoch könnten drei Oppositionsparteien die neue Regierung bilden.
Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kommt auf 36,8 Prozent der Stimmen, wie am Sonntagabend Nachwahlbefragungen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergaben. Sie büßte im Vergleich zu 2019 aber fast sieben Prozentpunkte ein.
Zweitstärkste Kraft mit 31,6 Prozent wurde demnach die oppositionelle liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk.
In den Prognosen wurden der PiS 200 Sitze im neuen Parlament vorhergesagt. Die Mehrheit liegt bei 231 der 460 Mandate. Als Koalitionspartner kommt nur die ultrarechte Konfederacja infrage, mit der es laut Prognosen aber ebenfalls nicht für eine Regierungsmehrheit reicht. Das endgültige Wahlergebnis steht wohl erst am Dienstag fest.
Der starke Mann der PiS, Jaroslaw Kaczynski, sprach zwar vor Anhängern von einem Sieg und davon, dass der Weg zu einer dritten Regierungszeit noch nicht verschlossen sei. Allerdings war den Parteiführern die Enttäuschung klar anzusehen.
Zweckoptimistisch meinte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, man werde mit allen sprechen, „die unsere Vision für Polen teilen“. Aber ihm fehlen dafür die Partner, zumal die als wahrscheinlichster Koalitionär gehandelte radikale Rechtspartei Konfederacja mit zwölf Mandaten ein äußerst enttäuschendes Resultat erzielte. Sie wäre trotz einer gewissen ideologischen Nähe angesichts zahlreicher inhaltlicher Differenzen auch ein schwieriger Partner.
Die Oppositionsallianz versprach nach Jahren der Konfrontation mit Brüssel und dem Abbau des Rechtsstaats eine versöhnlichere und international konstruktivere Politik Polens. Bereits 2019 war es ihr gelungen, im Senat eine Mehrheit zu holen. Das Resultat ist umso bemerkenswerter, als die PiS das einflussreiche staatliche Fernsehen TVP als Propagandainstrument missbrauchte.
Nun haben Bürgerkoalition, Dritter Weg und das Linksbündnis Lewica gute Karten beim Bestreben, an die Macht zu kommen, wenn sie nicht daran scheitern, ihre vom konservativen Zentrum bis weit nach links reichenden Positionen unter einen Hut zu bringen.
Dank seiner guten Beziehungen nach Brüssel dürfte es Tusk immerhin relativ leicht fallen, den Streit um blockierte Fördergelder der EU zu entschärfen. Dabei geht es um Milliarden, die Polen dringend braucht. Das Land hat mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und seine Armee als Antwort auf die Bedrohung durch Russland stark ausgebaut. Das von der PiS ausgelöste rechtsstaatliche Chaos kann aber auch die Opposition nicht so leicht ordnen.Beide Seiten mobilisieren die Wähler mit dramatischen Worten
Auch wenn die klaren Gründe für den Erfolg der Opposition im Detail noch unklar sind, dürfte die bessere Mobilisierung ein wichtiger sein. Die Opposition wiederum brachte ihre Leute an die Wahlurnen, indem sie eine Richtungswahl zwischen dem Weg in die Diktatur und der Rückkehr zur Demokratie ausgerufen hatte. Sie sprach auch Frauen stark an. Die konservative Gesellschaftspolitik und vor allem das 2021 eingeführte Abtreibungsverbot hat viele Polinnen verängstigt und wütend gemacht.
Die PiS versuchte ihrerseits, die Kernwähler und -wählerinnen zur Wahl zu bewegen, indem sie nicht nur die beiden Parlamentskammern neu bestellen, sondern auch über vier Vorlagen abstimmen ließ. In diesen Referenden stellte die Regierung nach ungarischem Vorbild vier höchst tendenziös formulierte Fragen über ausländische Investoren, die Erhöhung des Rentenalters und zum Schutz der Grenzen. Deren realpolitische Bedeutung war größtenteils fiktiv.
Für die Regierungsgegner ging die Strategie offenkundig besser auf: Laut den Prognosen lag die Stimmbeteiligung bei 73 Prozent. Dies wäre ein absoluter Rekordwert, der den bisherigen von 1989 um mehr als zehn Prozentpunkte überträfe. An den „Volksbefragungen“ beteiligten sich hingegen nur 40 Prozent, womit diese ungültig sind. Die Wählerinnen und Wähler der Opposition boykottierten sie offenkundig größtenteils.