Zitat von Gast am 9. Oktober 2023, 09:37 Uhr
Stabilitätspakt: Spanien macht neuen Vorschlag zu EU-Schuldenregeln – Lindner lehnt ab
Christian Lindner (FDP) pocht auf weitere Veränderungen an den neuen EU-Schuldenregeln. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Im Streit um neue EU-Schuldenregeln kommt ein Kompromisspapier dem deutschen Finanzminister entgegen. Doch Christian Lindner findet die Vorschläge „noch nicht hinreichend“.
Die spanische EU-Ratspräsidentschaft hat den Mitgliedstaaten einen neuen Entwurf zur Reform der europäischen Schuldenregeln vorgelegt. Man habe eine „Landezone“ für einen Kompromiss identifiziert, heißt es in dem vierseitigen Papier, das dem Handelsblatt vorliegt.
Die 27 EU-Finanzminister beraten seit Monaten über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der Regeln für Haushaltsdefizite und Schuldenquoten festlegt. Er ist seit Beginn der Coronapandemie ausgesetzt und soll zum Ende des Jahres runderneuert wieder in Kraft treten.
Die Finanzminister wollen sich bis dahin einigen, liegen aber in mehreren Punkten noch auseinander: Während vor allem südeuropäische Länder auf mehr Flexibilität drängen, fordern Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und einige nordeuropäische Staaten möglichst verbindliche Vorgaben zum Schuldenabbau.
Die spanische Regierung schlägt nun folgende Änderungen vor:
Haltelinien für Schulden: Zwei Haltelinien, sogenannte „Safeguards“, sollen verhindern, dass hochverschuldete Länder den Schuldenabbau verschleppen. Dazu sind verschiedene Vorgaben geplant. Eine sogenannte „No-backloading“-Klausel soll sicherstellen, dass der Schuldenabbau gleichmäßig über die vier Jahre verteilt und nicht bis zum Ende aufgeschoben wird. Außerdem sollen überschuldete Regierungen jedes Jahr einen bestimmten Mindestprozentsatz an Verbindlichkeiten reduzieren müssen. Der Schuldenabbau wird über einen Zeitraum von 14 Jahren kalkuliert.
Ausnahmen für Investitionen: Für bestimmte Staatsausgaben sind Sonderregeln angedacht. So sollen Ausgaben, die bei der Kofinanzierung von EU-Programmen wie dem Coronafonds anfallen, bei der Bestimmung des Abbaupfads nicht mit eingerechnet werden. So würde verhindert, dass Regierungen wegen des Defizitabbaus auch ihre Ausgaben für Investitionen kürzen, die die EU mitfinanziert.
Auch sollen Verteidigungsausgaben gesondert berücksichtigt werden, bevor die Kommission ein Defizitverfahren gegen ein Land startet. Details dazu lässt das Papier offen.
Stärkere Rolle für den EU-Rat: Eine entscheidende Frage ist, wer den Weg des Schuldenabbaus festlegt und überwacht. Die EU-Kommission hat für sich selbst eine wichtige Rolle vorgesehen – was viele nationale Regierungen skeptisch sehen, da sie Brüssel für zu nachgiebig halten.
Spanien schlägt nun vor, dass der Rat der Mitgliedstaaten die Kommission bei der Erstellung der nationalen Abbaupläne stärker kontrolliert. Eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten der Länder, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Europäischen Fiskalausschusses (EFB) soll die Methode der Schuldentragfähigkeitsanalyse verbessern. In dieser Analyse wird untersucht, ob ein Staat seine Schuldenlast stemmen kann.
Für jede Seite etwas dabei
Mit ihrem Papier greifen die Spanier die Wünsche verschiedener Staaten auf. Mit den Haltelinien erfüllt die Ratspräsidentschaft eine der deutschen Forderungen. Finanzminister Lindner hatte im April einen eigenen Vorschlag verschickt, die Haltelinien waren ein Kernelement. Lindner schlug vor, dass hochverschuldete Länder ihren Schuldenstand um mindestens einen Prozentpunkt jährlich abbauen müssen. Bei einem mittleren Schuldenstand sollte es eine Reduzierung um 0,5 Prozentpunkte geben.
Dieses Konzept greift die spanische Regierung auf. Allerdings fehlt in ihrem Papier eine genaue Zahl, dort steht vorerst nur ein X. Aber die Tatsache, dass nun über eine Ziffer gesprochen wird, kann Lindner als Erfolg verbuchen.
Die Ausnahmen für bestimmte Staatsausgaben hingegen sind eine zentrale Forderung der Südländer. „Am Ende muss ein Kompromiss beides enthalten – ausreichende Safeguards und Spielraum für Investitionen“, sagt ein EU-Diplomat.
Bundesregierung ist noch nicht zufrieden
Die Bundesregierung hält den Vorschlag allerdings für „noch nicht hinreichend“, wie es im Finanzministerium heißt. Man erkenne die Bemühungen der spanischen Ratspräsidentschaft um eine Lösung an und arbeite daran „konstruktiv“ mit. Es brauche jedoch „klare, für alle verbindlich geltende quantitativ ausgestaltete Kriterien“, so das Ministerium. „Nur so können wir die vielfach zu hohen Schuldenstände in den Mitgliedstaaten zurückführen – und auch die Defizite auf Dauer und verlässlich deutlich unter drei Prozent senken.“
Berlin argumentiert, dass die Mitgliedstaaten sich nur so fiskalische Spielräume für die anstehende Transformation der Wirtschaft erarbeiten könnten. Auch wenn mit dem spanischen Papier nun wieder Bewegung in die Verhandlungen kommt, rechnet man im Finanzministerium mit weiteren schwierigen Gesprächen: „Es liegt noch ein gutes Stück gemeinsame Arbeit vor uns.“