Zitat von Gast am 29. September 2023, 09:47 Uhr
„I want my money back“. Mit diesem Satz begann die damalige Premierministerin Maggie Thatcher 1979 ihren Kampf um den britischen EU-Beitrag. Ihr Land dürfe nicht mehr Geld an die Union zahlen, als aus EU-Töpfen nach Großbritannien fließe. Thatcher handelte den „Britenrabatt“ aus. Ihren Frieden mit der EU machten die Briten dennoch nicht. 2016 stimmten sie für den Brexit.
In Deutschland war die europäische Idee stets populärer. Es ist Konsens, dass Deutschland als Land in der Mitte Europas politisch und wirtschaftlich besonders stark von der EU profitiert. Dennoch kam immer wieder die Frage auf, ob der Preis, den Deutschland als Nettozahler dafür zahlt, angemessen sei.
Bis 2019 veröffentlichte die EU Zahlen zu diesen Nettopositionen der Mitgliedsländer. Dann beendete sie die Praxis mit der Begründung, diese Rechnung sei in einer eng verwobenen Union wenig aussagekräftig. Der frühere deutsche EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) nannte sie sogar „Blödsinn“.
Das sind die größten Nettozahler der EU
Im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2020 habe Deutschland mit 13,5 Milliarden Euro weniger gezahlt. Die Ökonomen führen die Steigerung seither auf den Brexit zurück, den EU-Austritt Großbritanniens. Denn danach mussten Finanzströme neu geordnet werden. "Die schwächelnde deutsche Konjunktur dürfte das Gewicht aber zumindest leicht in Richtung florierender Staaten wie Spanien verschieben."
Insgesamt waren nach Rechnung des IW 2022 neun EU-Staaten Nettozahler, 18 Mitgliedsländer Nettoempfänger. In den Top fünf der Zahlerländer folgen auf Deutschland und Frankreich: Italien (3,9 Milliarden Euro), die Niederlande (3,2 Milliarden), Schweden (2,1 Milliarden) und Österreich (1,3 Milliarden).
Größter Nettoempfänger in der EU ist der Rechnung zufolge Polen, das 11,9 Milliarden Euro mehr von der EU erhalte als es einzahle. Mit einigem Abstand folgen Rumänien (5,6) Ungarn (4,4) sowie Griechenland (3,9 Milliarden Euro).
Nun ist Deutschland auch die größte Volkswirtschaft in der EU mit den meisten Menschen. Auch Polen gehört zu den großen EU-Ländern. Das IW setzte die absoluten Beitragssalden daher ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl der jeweiligen Länder. Für die Wirtschaftskraft ziehen die Ökonomen das Bruttonationaleinkommen (BNE) heran. In dieser Betrachtung sind die Abstände deutlich kleiner, auch die Reihenfolge verschiebt sich etwas. Deutschland bleibe aber größter Zahler mit einem Beitrag von 0,51 Prozent des BNE. Es folgten hier Frankreich mit 0,38 Prozent sowie in geringen Abständen Schweden (0,37) sowie die Niederlande und Finnland mit je 0,34 Prozent.
Bei den Nettoempfängern im Verhältnis zur Wirtschaftskraft ist Polen nicht mehr unter den größten Empfängern. Vorn liegen hier die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen sowie Ungarn mit mehr als 2,5 Prozent des BNE.
In der folgenden Tabelle findet ihr die Angaben für alle 27 Mitgliedsländer sowohl in absoluten Beträgen als auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft und zur Einwohnerzahl. Ihr könnt über das Suchfeld einzelne Länder suchen.
Debatte über Sinn und Unsinn der Nettozahler-Zahlen
Das IW hatte bereits vorher an die EU-Kommission appelliert, die Zahlen wieder selbst zu veröffentlichen. Zwar ließen sich die Effekte der europäischen Integration nicht auf die Nettopositionen der Mitgliedsstaaten reduzieren. Die Berechnung sei für die Transparenz aber wichtig.
Die EU hält die Nettozahlerbetrachtung für überholt. EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn sagte dazu: „Diese Nettozahler- und Nettoempfänger-Sichtweise wird der Komplexität des EU-Budgets nicht gerecht und kann daher in dieser Form nicht mehr angewandt werden“. Oettinger hatte es 2018 drastischer ausgedrückt: „Die Nettozahlerdebatte ist zunehmend sinnentleert. (…) Bei Agrarmitteln und Kohäsion kann man noch einigermaßen erkennen: Was zahlt ein Mitgliedstaat ein, was bekommt er raus. Aber bei grenzüberschreitender Infrastruktur, gemeinsamem Grenzschutz, Forschung und Entwicklungshilfe ist die Nettozahlerbetrachtung schlicht Blödsinn“.