Zitat von Gast am 27. September 2023, 05:51 Uhr
Streit mit Polen: Olaf Scholz droht mit Grenzkontrollen und legt sich mit Jaroslaw Kaczynski an
Jaroslaw Kaczynski streitet sich nun mit Olaf Scholz.© Montage: Berliner Zeitung Fotos: dpa, imago
Wenn man sich mit den Feinheiten polnisch-deutscher Politik nicht auskennt, könnte man es als ganz normalen Vorgang bezeichnen: Da tritt der Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Hessen auf und sagt dem Publikum dort, dass im Nachbarland Polen „absurde“ Visa-Verteilungsmechanismen herrschten und man wieder Grenzkontrollen einführen müsste, um den Zustrom illegaler Migration aus dem Osten nach Westen einzuschränken.
Für einen unvoreingenommenen Beobachter klingt die Forderung von Scholz nach hessischer Wahlkampfpolemik und AfD-naher Harter-Hund-Rhetorik. Doch so einfach ist es nicht. Olaf Scholz muss gewusst haben, dass in Polen Wahlkampf herrscht und dass seine Worte von der polnischen Presse genau studiert werden. Und dort wird jede Behauptung mit der Hypothese, Polens Regierung würde illegale Migration stützen, aufgegriffen und sofort kommentiert.
Die polnischen Oppositionsmedien schlachten den Skandal nun aus und werfen der PiS-Regierung vor, dass ihr Wahlslogan, Polen gegen jegliche Art von Migration zu verteidigen, nur eine hohle Phrase sei. Kaczynski wird als korrupter Machtpolitiker vorgestellt, der sich nicht für Polens Wohlergehen, sondern allein für seine Partei interessiert.
Die PiS reagiert mit aggressiven Attacken. Polens Außenminister Zbigniew Rau warf Olaf Scholz bereits vor, er würde sich in die inneren Angelegenheiten Polens einmischen. Die polnischen Staatsmedien berichten nun sogar, Deutschland sei an einem Komplott beteiligt, der vorsieht, die polnische rechtsnationale Regierung zu stürzen. Eine Journalistin schrieb, dass Scholz sogar die Ukraine eingespannt hätte, um gegen die polnische Regierung zu wettern, damit am Ende das Land der EU beitreten könne.
Und was hat Olaf Scholz wirklich getan? Hat er bloß eine Rede im hessischen Wahlkampf gehalten? Durchaus nicht. Er wusste, dass er sich mit seiner Aussage tatsächlich in den Wahlkampf Polens einmischt und der PiS-Regierung große Probleme bereitet. Scholz wird sich wohl nun über die Aufregung amüsieren. Wundern sollte man sich nicht über den Trick. Immerhin setzen PiS-Politiker, wenn Wahlkampfzeiten anstehen, immer wieder selbst auf die unfreundliche antideutsche Karte.
In diesem Jahr ging Jaroslaw Kaczynski sogar so weit, dass er sich dazu hinreißen ließ, in einem Wahlkampf-Spot als Schauspieler zu agieren: In dem ausgestrahlten Clip wird er (angeblich) vom deutschen Botschafter in Warschau angerufen, der ihm vorschreibt, das Rentenalter in Polen zu erhöhen. Kaczynski ruft erbost ins Handy: Hier in Polen regiert nicht die Oppositionspartei, hier regiert nicht der Gegenkandidat Donald Tusk, der Liebling der Deutschen, sondern der harte Hund Jaroslaw Kaczynski, der Verteidiger Polens (obwohl er eigentlich kein offizieller Herrscher oder Ministerpräsident, sondern auf dem Papier bloß Vorsitzender der Regierungspartei ist). Man kann leicht annehmen, dass das deutsche Kanzleramt nicht gerade amüsiert war über Kaczynskis Wahlkampfspot.
Nun hat Olaf Scholz zurückgeschossen, er hat sich gerächt. Die polnische Oppositionspartei wird sich nun freuen: Denn jede schlechte Nachricht für die PiS-Partei ist eine Hilfe, um eine rechtsnationale Regierung zu verhindern. Nach den Wahlen, ob nun die PiS oder Donald Tusks Bürgerplattform gewinnt, wird sich sowieso der geopolitische Alltag einstellen und man wird wieder freundlichere Töne anschlagen. Dennoch ist einiges an Porzellan zerbrochen. Und das tut den Beziehungen mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die weiteren internationalen Krisen wirklich nicht gut.