Eine von Lürssen für die Bundesmarine gebaute Korvette© dpa
Nur eine gute Woche nachdem die Hoffnungen von Rheinmetall auf einen weiteren milliardenschweren Auftrag in Australien zerstoben, bewerben sich deutsche Rüstungsunternehmen abermals um einen Großauftrag auf dem fünften Kontinent. Die Werften Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) und Lürssen wollen für ein geschätztes Volumen von 5 Milliarden australische Dollar (2,98 Milliarden Euro) Korvetten bauen. Einfach wird das nicht: Denn europäische Rüstungskonzerne fühlen sich von den Australiern unfair behandelt.
Niemand aus der Branche spricht offen darüber aus Sorge, sich von weiteren Aufträgen auszuschließen. In Kreisen in Canberra heißt es aber, der europäische Flugzeughersteller Airbus fühle sich etwa bei einem Auftrag für Satelliten im Wert von rund 6 Milliarden australische Dollar von der Politik ausgebremst. Auch deshalb sehe er eine künftige Fertigung eher in den Vereinigten Staaten als in Australien.
Problematisch ist auch die politische Dimension: Denn die Australier verkünden schon, dass sie in Redbank auch Boxer für die Bundeswehr bauen würden. Das ist zwar beabsichtigt, nicht aber vertraglich vereinbart. Die Australier gaben ihre Entscheidung gegen den Lynx dann genau in der Woche bekannt, in der Mitglieder des Verteidigungsausschusses aus Berlin Australien bereisten. Ob der Bundestag nun noch einem Liefervertrag der Boxer aus Australien zustimme, sei völlig offen: „Die Australier wollen uns beliefern, aber unsere Produkte nicht kaufen“, heißt es in Canberra. „Wir erwarten, dass sie sehr schnell ein klares Gespräch mit Rheinmetall führen werden, woran die Absage gelegen hat.“ Zwar habe es die Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Ministerpräsident Anthony Albanese über die Lieferung von Boxer aus Brisbane gegeben. Doch: „Das ist nicht mehr als eben eine Absicht. Genehmigen müssen das die Abgeordneten – die aber sind mehr als verschnupft.“
Amerikaner stechen Airbus aus
Airbus zeigt sich nach der Absage des Baus seiner Satelliten verärgert. Die Zusage ging an Amerikaner. Die Reihe der Niederlagen der Europäer setzt sich damit fort: Als es bei den U-Booten 2017 noch um konventionelle Antriebe ging, hatte auch TKMS auf den Großauftrag im Wert von mehr als 100 Milliarden australische Dollar über die Lebenszeit der Boote gehofft. Auch damals hieß es nach dem Ausscheiden, die schlussendliche Vergabe an die heutige französische Staatswerft Naval Group sei nicht fair verlaufen. Zu einem rechtlichen Nachspiel kam es nicht.
So kann sich TKMS nun um einen Großauftrag bewerben: Australien braucht zehn Korvetten. Peter Lürßen, einer der Besitzer der gleichnamigen Bremer Werft, wird an diesem Mittwoch in Canberra den australischen Verteidigungsminister Richard Marles und führende Mitarbeiter der Ministerien und Militärs in der australischen Hauptstadt treffen. Schon im November vergangenen Jahres hatten TKMS-Manager in Canberra Gespräche über Korvetten geführt. Mit den rund 90 Meter langen Schiffen wollen die Australier ihre drei Zerstörer der Hobart-Klasse ergänzen.
Noch ist sehr vieles offen: Denn die australische Regierung prüft in diesem Monat auch die Aufstellung ihrer Marine. Der gleiche Prozess für die Landstreitkräfte führte zu einer Neuausrichtung, die unter anderem deutlich geringere Bestellvolumina für Panzer mit sich brachte. Australien richtet seine Streitkräfte direkt auf die wachsende Bedrohung aus China und auch die Folgen einer Auseinandersetzung um Taiwan aus.
In unruhigem Fahrwasser
Die Deutschen bewegen sich in sehr unruhigem Fahrwasser: So bewerben sich neben TKMS und Lürssen auch die spanische Navantia um denselben Auftrag und den Bau weiterer Zerstörer, die britische Babcock bietet eine leichtere Fregatte. Das gesamte Einkaufsvolumen von Marles für die Marine wird auf rund 50 Milliarden australische Dollar geschätzt. Hinzu kommen die atomaren Unterseeboote unter dem Aukus-Programm, entwickelt, gebaut und ausgerüstet mit Amerikanern und Briten.
Wie groß der Einfluss Washingtons auf seine regionalen Partner im Pazifik ist, zeigt die Planung Canberras: Die unabhängige Untersuchung der Aufstellung der australischen Navy leitet der frühere amerikanische Vizeadmiral William Hilarides. Der pensionierte U-Boot-Fahrer soll für seine Beratungsdienste einen Tagessatz von 4000 australische Dollar bekommen.
Die Entscheidung für einen amerikanischen Offizier als Berater kam in Canberra nicht überall gut an. Zumal Hilarides nicht allein steht: Australien verlässt sich seit Langem auf hoch bezahlte frühere US-Offiziere, die als Berater ein zweites Leben führen. Die amerikanische Zeitung „Washington Post“ berichtete, neben sechs pensionierten Admiralen stünden auch drei zivile frühere Spitzenkräfte der amerikanischen Marine und drei amerikanische Marine-Werftmanager in Canberras Diensten.
Die Regierung steht unter Druck
Das wird es für Europäer schwer machen. So dürfte es Werftchef Lürßen auch nicht nur um einen weiteren Auftrag gehen. Denn auch hinter dem von Lürssen gewonnenen Auftrag für zwölf Patrouillenboote im Schätzwert von 3,6 Milliarden australische Dollar stehen unter Hilarides wieder Fragezeichen. Schon zuvor hatte das Verteidigungsministerium den Bau als „Projekt mit Bedenken“ eingestuft. Eines ist gebaut, das Gesamtprojekt aber soll um ein Jahr hinter dem Zeitplan liegen. Zudem erscheinen die Schiffe den Australiern inzwischen als unterbewaffnet – nicht ganz grundlos betont Lürßen, die neuen Korvetten würden „schwer bewaffnet“ werden. In Canberra wird nun mit der Idee gespielt, den Bau der Bremer Patrouillenboote beim halben Dutzend einzustellen.
Das wäre möglich. Doch hatte der überaus raue Entzug des Auftrags zum Bau konventioneller U-Boote von Frankreich durch die Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Scott Morrison zu tiefen Verstimmungen zwischen Canberra und Paris geführt. In Zeiten der zähen Schlussverhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union wäre ein weiteres Übersehen der europäischen Rüstungsindustrie eine zusätzliche Belastung. Hinter den Kulissen klagen nicht nur Airbus, TKMS und Rheinmetall über die Vergabeverfahren. Sie seien „einseitig“ ausgerichtet, und „die Torpfosten werden noch auf den letzten Metern so lange verschoben, bis es passt“, heißt es bei europäischen Diplomaten.
Doch steht auch die neue Regierung unter Druck: Denn der Bau von neun Fregatten der Hunter-Klasse durch die britische BAE Systems Maritime Australia im südaustralischen Adelaide ist aus dem Ruder gelaufen. Er wird zu teuer, die Bauzeiten haben sich über Jahre verzögert, Gewicht und Bewaffnung der Schiffe sind umstritten. Der jüngste Bericht des australischen Rechnungshofes weist darauf hin, dass das erste der rund 10.000-Tonnen-Schiffe nun wohl erst 2032 einsatzfähig wäre. Unter anderem ging es bei einer Prüfung auch um Weihnachtskarten und -dekorationen im Wert von 50.000 australische Dollar. Das im Preis von 30 auf rund 50 Milliarden australische Dollar gestiegene Projekt könnte geschrumpft werden, um dafür den Bau der Korvetten zu finanzieren. Vor allem aber weisen auch hier die australischen Auditoren auf einen sehr fragwürdigen Vergabeprozess unter der damaligen Regierung von Ministerpräsident Malcolm Turnbull hin.
Den deutschen Werften und ihrem Engagement für die Korvetten könnten die Probleme mit den Fregatten zugutekommen. Lürssen könnte auf Pläne zurückgreifen, die für den Bau bulgarischer Korvetten vorliegen, TKMS baut unter anderem für die Israelis Korvetten. Für die Bundesmarine bauen Lürssen und TKMS gemeinsam Korvetten – ein Bau für die Australier müsste zwar unbedingt in australischen Werften stattfinden, doch könnte Wissen aus Deutschland transferiert werden und damit auch Arbeitsplätze 16.000 Kilometer im Westen erhalten. Ob es sinnvoll ist, dass zwei deutsche Werften in Australien konkurrieren, bezweifeln manche in Canberra.