Die Europäische Union benötigt zusätzliche 99 Milliarden Euro. In der Ampelkoalition aber ist man sich uneins, ob das Geld überwiesen werden sollte. Die Grünen sind dafür, die FDP dagegen.
Christian Lindner und Ursula von der Leyen verhandeln um zusätzlichen Finanzbedarf der EU. Das Foto von 2018 zeigt die frühere Verteidigungsministerin und den FDP-Chef.© Foto: dpa/Michael Kappeler
In der EU hat wieder einmal das Pokern begonnen. Es ist gerade einmal zweieinhalb Jahre her, dass sich die Gemeinschaft auf einen mehrjährigen Etat einigte. Ganze 1,1 Billionen Euro umfasst der Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027. Inzwischen fordert EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen aber zusätzliche 99 Milliarden Euro von den EU-Mitgliedstaaten. Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) zeigt sich zugeknöpft.
Aus der Sicht von der Leyens müssen die EU-Mitgliedstaaten für Europas Haushalt zusätzliches Geld geben, da ansonsten die gegenwärtigen Ukraine-Hilfen aus Brüssel nicht mehr wie bisher aufrechterhalten werden könnten. Tatsächlich konnte niemand bei der Aufstellung des EU-Haushaltes im Jahr 2020 ahnen, dass gut ein Jahr später Kremlchef Wladimir Putin die Ukraine überfallen und damit auch ökonomisch an den Rand des Ruins bringen würde.
Doch die Auflistung der Brüsseler Wünsche überzeugt Lindner nicht. Angesichts der ernsten Haushaltssituation in vielen Mitgliedstaaten sei jetzt der falsche Moment, zusätzlichen Finanzbedarf anzumelden, ließ er die EU-Kommission wissen. „Stattdessen sollte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen existierende Spielräume und Restrukturierungen im Haushalt in den Blick nehmen“, erklärte er auf Twitter.
In der Bundesregierung wird mit Sorge gesehen, dass in der EU große Volkswirtschaften wie Frankreich und Italien eine Gesamtverschuldung von über 100 Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung aufweisen und damit weit oberhalb des eigentlich im Rahmen der EU-Schuldenregeln vorgesehenen Limits liegen. Zusätzliche Überweisungen nach Brüssel würden auch in diesen Ländern den Schuldenstand weiter in die Höhe treiben. Ab dem kommenden Jahr sollen für die EU-Länder modifizierte Schuldenregeln gelten, die wegen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges ausgesetzt worden waren.
Die Liberalen führen vor allem die knappe Haushaltslage in Deutschland ins Feld, wenn sie den Brüsseler Wünschen eine Absage erteilen. Mit der Vorlage des Regierungsentwurfes für den Bundeshaushalt 2024 in der zurückliegenden Woche sei „die Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität“ eingeleitet worden, argumentiert der FDP-Bundestagsabgeordnete Thorsten Lieb. „Wir müssen wieder mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln auskommen und den Bundeshaushalt konsolidieren“, sagte der Haushaltspolitiker dem Tagesspiegel weiter.
Eine Sprecherin des Finanzministeriums erklärte, dass die Vorschläge der Kommission derzeit intensiv geprüft würden. Zwar ist damit zu rechnen, dass die Bundesregierung im weiteren Verlauf des Pokers um die zusätzlichen Milliarden in den kommenden Monaten die Schatulle nicht völlig verschlossen halten wird. Aber in der Zwischenzeit erhält Lindner Rückendeckung von FDP-Fachpolitikern wie Lieb. Er stimme mit dem Finanzminister darüber überein, „dass derzeit nicht der richtige Zeitpunkt für zusätzliche Finanzierungswünsche aus Brüssel ist“, sagte er.
Nicht nur der europäische, sondern auch die nationalen Haushalte würden durch den Krieg in der Ukraine belastet, sagte Lieb zur Begründung. Die FDP setze sich daher dafür ein, dass die EU-Kommission auch die Umschichtung ungenutzter Mittel, beispielsweise aus den EU-Fonds, prüft, um den zusätzlichen Finanzbedarf zu decken.
Die Ampel-Partner von den Grünen zeigen hingegen mehr Verständnis für die Milliarden-Forderung von der Leyens. „Die Mittel für die Ukraine müssen auf jeden Fall bereitgestellt werden“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter. „Wenn die Ukraine wirtschaftlich kollabiert, wird uns das am Ende noch teurer zu stehen kommen“, fügte der Grünen-Politiker hinzu.
Auch Chantal Kopf, die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Europapolitik, sieht durchaus einen zusätzlichen Finanzbedarf. „Wir begrüßen, dass die Kommission einen klaren Schwerpunkt bei der Unterstützung der Ukraine setzt“, sagte sie.
„Allein durch Umschichtungen lässt sich der offenkundige zusätzliche Bedarf der EU nicht bewältigen“, zeigte sich die Bundestagsabgeordnete überzeugt. Neben der Hilfe für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine seien auch die von der EU-Kommissionspräsidentin geforderten zusätzlichen Gelder zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sinnvoll.
Dies gelte insbesondere für die Förderung grüner Technologien in der EU. Wichtig sei angesichts dieser Aufgaben vor allem eine ernsthafte Debatte über neue EU-Eigenmittel, verlangte Kopf.