Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, bei einer Pressekonferenz IMAGO/ABACAPRESS© IMAGO/ABACAPRESS
Ursula von der Leyens EU-Kommission geht das Geld aus. Die Mitgliedstaaten sollen fast 66 Milliarden Euro nachschießen. Am Rande des Budgetlochs zankt sich die Berliner Ampel mal wieder. In bewährter Manier verhaken sich vor allem Grüne und Liberale ineinander.
Wenn man gar keine Freundschaft hat, kann sie beim Geld auch nicht aufhören – es können sich nur die Differenzen vertiefen. Zwischen den Ampelkoalitionären Grüne und SPD auf der einen sowie der FDP auf der anderen Seite geschieht dies gerade in Hinblick auf die EU-Finanzen. Ein Brüsseler Hilfeschrei um frisches Geld lässt die Berliner Regierungspartner schon wieder aneinanderrasseln und liefert auch Zündstoff für den EU-Gipfel nächste Woche.
Philosophie des „Koste es, was es wolle“ in EU-Hauptstädten passé
Von der Leyen und ihr Haushaltskommissar Johannes Hahn haben jede Menge Budget-Löcher zu stopfen, mit deren Auftreten bei Verabschiedung des Mittelfristigen Finanzrahmens für die EU (MFR) niemand gerechnet hatte. Hahn begab sich auf Betteltour durch die europäischen Hauptstädte. Der Österreicher nahm dort wahr, dass nach all den Krisen der vergangenen Jahre und einer Periode des „Koste es, was es wolle“ die Zeichen mittlerweile auf Konsolidierung der Nationalbudgets stehen. Er brauche aber bis Oktober oder November eine positive Entscheidung.
CSU-Finanzfachmann: EU-Budget „ausgequetscht wie eine Zitrone“
Eile scheint geboten, denn der derzeitige MFR ist nach dem Urteil des CSU-Wirtschafts- und Finanzexperten im Europäischen Parlament, Markus Ferber, „bereits heute ausgequetscht wie eine Zitrone“. Zusammen mit dem schuldenfinanzierten Corona-Hilfsprogramm wurden für die EU im Jahr 2020 Mittel in Höhe von rund zwei Billionen Euro bis 2027 veranschlagt.
Ferber ermahnte die Staats- und Regierungschefs, auf diese Summe draufzulegen: „Man kann nicht gleichzeitig eine handlungsfähige EU einfordern, ihr immer neue Aufgaben übertragen und sich dann wegducken, wenn es um die Finanzierung ebendieser Ausgaben geht.“
Höherer Finanzbedarf durch Ukraine-Hilfe, Zinslast und Subventionswettlauf
Die Ukraine-Unterstützung ist der größte Brocken im Nachforderungspaket. Für sie soll die europäische Staatengemeinschaft nach dem Willen Brüssels für die nächsten vier Jahren zusätzliche 50 Milliarden Euro lockermachen, als Mix aus Finanzhilfen und Darlehen.
Auf der Wunschliste der Kommission stehen außerdem mehr Mittel für gestiegene Zinsen auf Schulden, die sie für die Corona-Hilfe machte. Außerdem will sie staatlichen Subventionen für die chinesische und US-Wirtschaft eigene Programme entgegensetzen und mehr Geld für die Flüchtlingspolitik aufwenden.
Top-Grüne beklagen leere Brüsseler Töpfe
Rückendeckung bekam die Kommissionspräsidentin durch eine konzertierte Aktion der Grünen in Berlin und Brüssel. Der Vorsitzende des EU-Bundestagsausschusses, Anton Hofreiter, und der Chef der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, meldeten sich gemeinsam mit einem Namensbeitrag für die Tageszeitung „Welt“ zu Wort, noch bevor von der Leyens Wunschliste mit konkreten Zahlen vorlag. Sie warnten: „Die Töpfe sind leer. Hinzu kommt, dass steigende Zinskosten den EU-Haushalt auffressen.“
Ohne Inflationsausgleich, so die beiden Grünen, dürfte der EU-Haushalt um bis zu 15 Prozent schrumpfen. Sie befanden außerdem: „Die gerade in Deutschland weit verbreitete Mär, dass Gelder aus dem EU-Budget brach liegen und nicht ausgegeben werden, entspricht nicht der Wahrheit.“
FDP-Haushaltsexperte widerspricht Grünen: „EU schwimmt bereits in Geld“
Als Anhänger genau dieser Sichtweise entpuppte sich postwendend der FDP-Haushaltsexperte im Europäischen Parlament, Moritz Körner. Er sagte FOCUS online: „Die EU schwimmt so sehr in Geld, dass die Mitgliedstaaten mit dem Abrufen der Mittel nicht hinterherkommen.“ Dies gelte zum Beispiel für die so genannten Kohäsionsmittel, Leistungen aus dem Brüsseler Topf für die Angleichung der Lebensverhältnisse und Leistungsfähigkeit in der EU.
Körner zufolge würde es ausreichen, Mittel im Haushalt zu verschieben. „Es ist mehr als genug Geld vorhanden, von der Leyen hätte nur mutiger sein müssen, mit der Überarbeitung des Finanzrahmens auch Umschichtungen nicht genutzter Kohäsionsmittel vorzuschlagen. Damit hätte man die neuen Prioritäten problemlos finanzieren können.“
Neue Einnahmequellen für EU ebenfalls umstritten
Das lehnen die Grünen aber vehement ab. Andresen hält ein reines Umschichten für den falschen Weg, seine Kollegin Henrike Hahn wird noch deutlicher: „Es wird nicht ausreichen, hauptsächlich bestehende Mittel virtuos umzuschichten und damit gleichzeitig widersinnig Geld von anderen Prioritäten abzuziehen.“
Wie auch der Chef der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Jens Geier, halten die Grünen es für geraten, der EU zusätzliche eigene Einnahmequellen zu erschließen, über Zölle und Abgaben. Geier kündigte an: „Wir garantieren die Funktionsfähigkeit des Haushalts“, in dem im Stile von „Haushalts-Voodoo“ derzeit bereits „umgeflaggt und umbenannt“ werde. Wiederum kam Sperrfeuer von Körner: Es brauche „keine Erhöhung der Eigenmittel der EU“.
SPD-Beschwichtigung: „Relativ übersichtliche Beträge“
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hat vorsorglich bereits erklärt, er sehe keine Spielräume für höhere Überweisungen des größten Beitragszahlers Deutschland in die EU-Kasse. Das stieß bei den Grünen auf eine heftige Reaktion Hahns: „Wir werden sehen, ob er das Projekt eines ambitionierten EU-Souveränitätsfonds mit klarem Finanzierungsbedarf zur Unterstützung europäischer, wettbewerbsfähiger und grüner Industriepolitik aktiv ausbremsen will, statt an der Seite der Unternehmen in Europa zu stehen.“
Grüne und Liberale steuern wieder einmal auf eine Kollision zu. SPD-Mann Geier bemühte sich, die erregten Gemüter zu beruhigen. Er spielte den Brüsseler Finanzbedarf mit einem bewährten Vergleich herunter: „Es geht hier um relativ übersichtliche Beträge. Ich weise immer wieder gern darauf hin, dass der EU-Jahreshaushalt gerade mal doppelt so groß ist wie der Nordrhein-Westfalens.“ Das Aufregungspotenzial in der Ampel ist jedenfalls hoch. Bundeskanzler Olaf Scholz hätte Ende nächster Woche beim EU-Gipfel Gelegenheit, Klarheit in die deutsche Position zu bringen.