Die Regierung in Paris kämpft in der EU mit harten Bandagen für die Atomkraft. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Mit der Blockade eines EU-Textes will Frankreich Zugeständnisse bei der Atomkraft erreichen. Nimmt sich Paris das deutsche Vorgehen im Streit um das Verbrenner-Aus zum Vorbild?
Eigentlich hatten sich die EU-Staaten und das Europaparlament bereits Ende März auf die neue Richtlinie zum Ausbau der erneuerbaren Energien geeinigt. Die Verabschiedung im Mai galt nur noch als Formsache – doch nun sperrt sich Frankreich gemeinsam mit einigen verbündeten Staaten in letzter Minute gegen den Text. Paris will in der EU-Erneuerbaren-Richtlinie, kurz RED III, die Rolle der Atomkraft als „grüne Energie“ stärker hervorheben lassen.
Offiziell äußert sich die französische Regierung nicht. In Kreisen hieß es aber, dass man sich seit Beginn der Verhandlungen für eine „Technologieneutralität“ beim Erreichen der Klimaziele eingesetzt habe. Erneuerbare Energien und die CO2-arme Atomkraft dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Den Franzosen geht es insbesondere darum, die Bedingungen für aus Atomstrom hergestellten Wasserstoff für die Industrie zu verbessern.
Dass die Kompromisse dann im Nachhinein infrage gestellt werden, ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass Frankreich auf Arbeitsebene zuerst zustimmte, dann aber eine Koalition zusammenstellte, um das Gesetz in der endgültigen Abstimmung zu blockieren.
Ein solches Vorgehen kam in der jüngeren Vergangenheit nur einmal vor: als Deutschland im Februar auf Druck der FDP und deren Verkehrsminister Volker Wissing das Gesetz zum Verbot neuer Verbrennungsmotoren blockierte.
Verwunderung über „Wissing-Move“ der Franzosen
Die Bundesregierung setzte durch, dass nach 2035 weiter Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen, die klimaneutrale Kraftstoffe tanken. Die Kritiker, die eine Veränderung der Gepflogenheiten der EU-Entscheidungsfindung befürchteten, sehen sich nun bestätigt.
Während in Brüssel von einem „Wissing-Move“ der Franzosen die Rede ist, wird in der französischen Regierung die Darstellung zurückgewiesen, dass man sich vom deutschen Gebaren beim Verbrenner-Aus habe inspirieren lassen. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft habe sich zu einer Verschiebung der Erneuerbaren-Richtlinie entschieden, da mehrere Mitgliedstaaten „zusätzliche Arbeiten“ an dem Text für nötig hielten.
„Wir befinden uns derzeit mit der Ratspräsidentschaft, unseren Partnern und der Kommission in Diskussionen, um diese Elemente zu berücksichtigen, von denen die Industrie in ganz Europa profitieren wird“, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute französische Quelle dem Handelsblatt. Das Ziel sei, den Text „sehr schnell“ und „mit den entsprechenden Änderungen“ bis zum Ende der schwedischen Präsidentschaft Ende Juni zu verabschieden.
Das Ziel der Richtlinie, den Anteil erneuerbarer Energien in der EU bis 2030 auf 42,5 Prozent des Verbrauchs zu steigern, wird in Paris nicht infrage gestellt. Frankreich hatte kürzlich ein Gesetz verabschiedet, um den Ausbau von Solar- und Windkraft zu beschleunigen.
In Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass das Land den Anteil der Erneuerbaren an seinem Energiemix seit 2012 bereits um 46 Prozent erhöht habe. 2021 seien 19,3 Prozent des französischen Bruttoendenergieverbrauchs durch Erneuerbare gedeckt worden – ein mit Deutschland vergleichbares Niveau.
Auf Solar- und Windenergie allein wollen sich die Franzosen allerdings nicht verlassen und als zweiten Pfeiler auch weiter in Atom investieren. In der EU trat dagegen vor allem Deutschland dem französischen Wunsch entgegen, die weitgehend dekarbonisierte Atomkraft als „grüne Energie“ einzustufen.
Bei den ursprünglichen Verhandlungen zur Erneuerbaren-Richtlinie konnte sich Paris nur damit durchsetzen, dass Atomenergie unter bestimmten Bedingungen bei den Zielen für grünen Wasserstoff angerechnet wird.
Paris sorgt sich um Europas Industrie
Frankreich, das in den vergangenen Monaten rund ein Dutzend gleichgesinnte EU-Staaten in einer „Atomallianz“ versammelte, möchte diese Bedingungen nun weiter fassen und mehr Atomkraft beim Erreichen der EU-Klimaziele ermöglichen. Paris befürchtet, dass die Hürden für eine europäische Wasserstoffproduktion aus Atomstrom zu hoch seien und am Ende sogar zu einer Abwanderung von Industriebetrieben aus der EU führen könnten.
„Die grüne Transformation muss eine Chance für die Reindustrialisierung Europas sein“, sagte die französische Quelle dem Handelsblatt. „Sie darf nicht zu einer Verlagerung in Länder mit höheren Emissionen und niedrigeren Umweltstandards führen.“
Die Formulierungen der Richtlinie anzupassen würde aber ein neues Verfahren im Parlament erfordern, wogegen sich die Abgeordneten wehren würden. „Wir werden uns nicht auf Nachverhandlungen des Gesetzestextes einlassen“, sagte Berichterstatter Markus Pieper (CDU).